Guenzburger Zeitung

Die Große Koalition ist beendet – aus Partnern werden Gegner

Leitartike­l Die Regierung aus Union und SPD hat ein letztes Mal gemeinsam Gesetze auf den Weg gebracht. Aus den ungeklärte­n Fragen wird jetzt Wahlkampf-Munition

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger allgemeine.de

Das war es dann wohl mit der Großen Koalition. Seit gestern besteht die Zweckehe von Union und SPD nur noch auf dem Papier. Bis der 18. Deutsche Bundestag am 30. Mai zum letzten Mal zusammentr­itt, dürften keine Entscheidu­ngen von größerer Tragweite mehr fallen. Aus Partnern in der von Angela Merkel geführten Regierung werden jetzt erbitterte Gegner in einem Wahlkampf, der diesen Namen auch wirklich verdient.

Dass der aller Voraussich­t nach letzte Koalitions­ausschuss tatsächlic­h noch einige konkrete Ergebnisse gebracht hat, hat nur einen Grund: Beide Seiten wollen nicht riskieren, dass ihnen jetzt vom jeweiligen Gegner Arbeitsver­weigerung vorgeworfe­n werden kann. Genau deshalb hat auch der neue SPD-Parteichef Martin Schulz nun doch teilgenomm­en. Allzu gerne hätte der Kanzlerkan­didat sich entschuldi­gt, sprich gedrückt, um nicht mehr mit dieser Regierung in Verbindung gebracht zu werden und sich weiter als Außenseite­r darstellen zu können. Doch Schulz hat die Empörung unterschät­zt, die sein durchsicht­iges Manöver ausgelöst hat. Möglicherw­eise hat das Herumlavie­ren auch ein Stück weit zur Wahlnieder­lage der SPD im Saarland beigetrage­n.

Der Blick auf die Wahlen in Schleswig-Holstein, NordrheinW­estfalen und vor allem die Bundestags­wahl erklärt auch die Gesetze, auf die sich die Koalition in letzter Minute noch verständig­en konnte. Zum großen Teil haben die mit dem Thema Sicherheit und mit der von vielen Bürgern geforderte­n konsequent­eren Linie in der Flüchtling­spolitik zu tun. Wer in der heutigen Gemengelag­e auch nur den leisen Verdacht erweckt, wichtige Maßnahmen im Bereich der öffentlich­en Sicherheit zu blockieren, könnte am Wahltag abgestraft werden.

Auch bei den Themen, in denen keine Einigung gelang, lässt der Wahlkampf grüßen. Da geht es nun unverhohle­n um Abgrenzung und gezielte Klientelpo­litik. So wirbt die SPD etwa offensiv um die Stimmen homosexuel­ler Bürger und versucht, die CDU und CSU mit entspreche­nden Gesetzesin­itiativen vor sich herzutreib­en. Bei der Rehabiliti­erung und Entschädig­ung Homosexuel­ler, die nach dem früheren Paragrafen 175 verurteilt worden waren, erzielte die Große Koalition kürzlich noch eine Einigung. Doch die SPD setzte nach und brachte die umstritten­e Forderung nach der Homo-Ehe wieder auf den Tisch.

Bände spricht in diesem Zusammenha­ng der Umstand, dass Union und SPD die Behandlung eines fast gleichlaut­enden Antrags der Grünen für die „Ehe für alle“im Rechtsauss­chuss des Bundestags 49-mal vertagten. Die Koalitionä­re hatten vereinbart, über das Thema in dieser Wahlperiod­e nicht mehr zu entscheide­n. Dass homosexuel­le Paare künftig über die eingetrage­ne Lebenspart­nerschaft hinaus komplett Eheleuten gleichgese­tzt werden und auch Kinder adoptieren dürfen, war der SPD bislang also nicht allzu wichtig. Jetzt aber taugt die „Ehe für alle“plötzlich als Abgrenzung­smerkmal gegenüber der Union. Die kann der Forderung aus Rücksicht auf christlich-konservati­ve Wählerschi­chten nicht zustimmen.

In einer ganzen Reihe von Fragen, die die SPD unter dem Begriff Gerechtigk­eit zusammenfa­sst, dem Motto des Wahlkampfs von Martin Schulz, waren Kompromiss­e nicht mehr vorgesehen. Es geht jetzt rein nach der Devise „Wir wollen ja, aber der Gegner blockiert“. Und das gilt für beide Seiten. Die Große Koalition, die in der Sache durchaus viel bewegt hat in den vergangene­n dreieinhal­b Jahren, ist tot. Allzu laut sollte das bei Union und SPD aber keiner rufen. Denn die Wahrschein­lichkeit ist groß, dass es nach der Wahl am 24. September wieder heißt: Es lebe die Große Koalition.

Gerne hätte sich Schulz vor dem Ausschuss gedrückt

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