Ein Maler, der uns die Augen öffnet
David Hockney Der britische Starkünstler wird in London gefeiert – auch als ein Meister genauer Beobachtung und als ein Verehrer der Natur. Über die Ernte eines Künstlerlebens
London Manchmal ändert sich die Sicht auf die Wirklichkeit, wenn man zuvor ein Kunstwerk erblickt hat: Wer vor einigen Jahren die damals brandneuen Baum-Bilder des britischen Maler-Stars David Hockney in der Kunsthalle Würth in Schwäbisch Hall betrachten konnte, der schaute von da an ganz anders auf Bäume, nämlich viel aufmerksamer und genauer. Er entdeckte sie als zarte, ätherische, lebendige Wesen. Solch eine nachhaltig wirkende Wahrnehmungsänderung erlebt man nicht oft, aber wenn es passiert, dann ist man der Kunst richtig dankbar dafür.
Jetzt kann den schönen Bäumen von David Hockney wieder begegnet werden – und dazu noch vielen anderen Bildern aus seiner Hand. Die Tate Britain in London hat ihm eine mit über 200 Werken höchst umfangreiche Retrospektive zum 80. Geburtstag im kommenden Juli ausgerichtet; sie präsentiert gewissermaßen die Ernte eines langen Künstlerlebens. Man erlebt einen Pop-Artisten von großer Wandlungsfähigkeit – Hockney als Geschichtenerzähler, Menschenfischer und Naturfreund, Hockney als neugierigen Reisenden, Hockney als Ironiker, Humoristen und Experimentator, der sich noch im Alter neuen Medien zuwendet.
Als junger Maler, nach seinem Studium am Royal College of Art, stürzte sich Hockney mit einem unbekümmerten Elan in die Kunst. Er erzählte mit malerischen Mitteln und auch mit Collage- und SchriftElementen aus seinem Leben – von seinen Freunden und seinen Reisen, von Modellen, Swimmingpools und kalifornischen Städten. Er erprobte das Vokabular der Pop-Art – mal hyperrealistisch oder naiv, mal gestisch oder abstrahierend-geometrisch. Er spielt mit Realität und Illusion, wendet sich offenkundig gegen künstlerische Konventionen, treibt immer wieder einen ironischen Keil, einen witzigen Kommentar in seine Bildkompositionen. „Play within a Play“(1966) sowie „Model with unfinished Self-Portrait“(1977) gehören zu dieser frühen Werkgruppe, die bis heute eine ungebrochen heitere, anregende Wirkung entfaltet: Vor diesen Bildern bleiben Besucher lächelnd stehen.
Später, vor allem bei seinem Aufenthalt in Kalifornien, wandte sich Hockney stärker der genauen Beobachtung zu, der Menschen-Beobachtung. Athletische junge Männer beim Sonnenbaden oder im Swimmingpool werden sein bevorzugtes Sujet. In kühler, fast künstlicher Farbigkeit, umgeben von modernistischer Architektur feiert er homoerotische Schönheit – und studiert nebenbei die malerische Darstellung von Glas, Haut, Wasser. Zuneh- mend werden seine Bilder vom Menschen naturalistischer: Seine Freunde Christopher Isherwood und Don Bachardy, das SammlerPaar Fred und Marcia Weisman, auch den Museums-Kurator Henry Geldzahler porträtiert er auf frappierend lebendige Weise. Zahlreiche Gemälde, aber auch Zeichnungen belegen Hockneys nahen und genauen Blick auf die Personen seiner Welt. Besonders anrührend in dieser Gruppe: das Bildnis seiner Eltern von 1977.
Hockneys Polaroid-Foto-Collagen bleiben indessen weit unter dem Niveau, das der Maler ansonsten einnimmt. Aber seine Zeichnungen, die er neuerdings auf dem iPad anfertigt, haben etwas höchst Interessantes – vielleicht weil eine geeignete Software auch den Prozess des Zeichnens abbildet. Man kann Hockney sozusagen beim Zeichnen zusehen.
Erst relativ spät entdeckte der berühmte, mehrfache documentaTeilnehmer die Natur. Hockney arbeitete sich gewissermaßen von „domestic spaces“, häuslichen Räumen – allesamt sehr dekorativ und eigenwillig in leuchtenden Farben gestaltet – ins Freie vor. Dann aber, ab den späten 1990er Jahren, scheint ihn die Liebe zur Natur geradezu zu überwältigen. Vor allem die Landschaften seiner Heimat Yorkshire bieten ihm bis heute ein nicht versiegendes Reservoir an Motiven: Blüten, Wiesen, Waldwege. Sie fährt er schon mal mit einer auf sein Fahrzeug montierten Videokamera ab; daraus sind vier Slow-MotionVideowände entstanden: der gleiche Landschaftsausschnitt in allen vier Jahreszeiten. Ein faszinierendes, geradezu meditatives Werk. Nicht minder beeindruckend ist die Ergänzung der Video-Arbeiten durch einen Zyklus von Landschaftszeichnungen.
Meist allerdings begnügt sich Hockney damit, seine Landschaften zu malen – immer noch in den kräftigen, nicht selten schrillen Farben der Pop-Art, mit verblüffenden Kontrasten und Tiefenwirkungen. Tief taucht er ein in die eigentlich unspektakulären Wälder und Hügellandschaften Yorkshires, verwandelt sie malend in flammende Szenerien. Und immer wieder hebt er aus ihnen die Bäume heraus – empfindliche Skelette zur Winterszeit, übertupft mit zartgrünen Knospen im Frühling, umhüllt mit einem Blütenschleier, in sattgrüner Wolke im Sommer, in lodernden herbstlichen Farben. Wahrhaftig eine Liebeserklärung eines alten Künstlers an die Natur seiner Heimat. O David Hockney in der Tate Britain läuft bis zum 29. Mai. Anschließend wandert die Ausstellung nach Paris und New York, doch leider nicht nach Deutschland.