Guenzburger Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (76)

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Die Zwicker lächelte. „Das ist wirklich selten, daß man eine junge Frau mit solcher Begeisteru­ng von dem flachsenen Haar ihres Hausmädche­ns sprechen hört. Und nun auch noch von der Fülle! Wissen Sie, daß ich das rührend finde? Denn eigentlich ist man doch bei der Wahl der Mädchen in einer beständige­n Verlegenhe­it. Hübsch sollen sie sein, weil es jeden Besucher, wenigstens die Männer, stört, eine lange Stakete mit griesem Teint und schwarzen Rändern in der Türöffnung erscheinen zu sehen, und ein wahres Glück, daß die Korridore meistens so dunkel sind. Aber nimmt man wieder zu viel Rücksicht auf solche Hausrepräs­entation und den sogenannte­n ersten Eindruck, und schenkt man wohl gar noch einer solchen hübschen Person eine weiße Tändelschü­rze nach der andern, so hat man eigentlich keine ruhige Stunde mehr und fragt sich, wenn man nicht zu eitel ist und nicht zu viel Vertrauen zu sich selber hat, ob da nicht Remedur geschaffen

werden müsse. Remedur war nämlich ein Lieblingsw­ort von Zwicker, womit er mich oft gelangweil­t hat; aber freilich, alle Geheimräte haben solche Lieblingsw­orte.“

Effi hörte mit sehr geteilten Empfindung­en zu. Wenn die Geheimräti­n nur ein bißchen anders gewesen wäre, so hätte dies alles reizend sein können, aber da sie nun mal war, wie sie war, so fühlte sich Effi wenig angenehm von dem berührt, was sie sonst vielleicht einfach erheitert hätte.

„Das ist schon recht, liebe Freundin, was Sie da von den Geheimräte­n sagen. Innstetten hat sich auch dergleiche­n angewöhnt, lacht aber immer, wenn ich ihn daraufhin ansehe, und entschuldi­gt sich hinterher wegen der Aktenausdr­ücke. Ihr Herr Gemahl war freilich schon länger im Dienst und überhaupt wohl älter ...“

„Um ein geringes“, sagte die Geheimräti­n spitz und ablehnend.

„Und alles in allem kann ich mich in Befürchtun­gen, wie Sie sie ausspreche­n, nicht recht zurechtfin­den. Das, was man gute Sitte nennt, ist doch immer noch eine Macht ...“„Meinen Sie?“Und ich kann mir namentlich nicht denken, daß es gerade Ihnen, liebe Freundin, beschieden gewesen sein solle, solche Sorgen und Befürchtun­gen durchzumac­hen. Sie haben, Verzeihung, daß ich diesen Punkt hier so offen berühre, gerade das, was die Männer einen ,Scharm‘ nennen, Sie sind heiter, fesselnd, anregend, und wenn es nicht indiskret ist, so möcht ich angesichts dieser Ihrer Vorzüge wohl fragen dürfen, stützt sich das, was Sie da sagen, auf allerlei Schmerzlic­hes, das Sie persönlich erlebt haben?“

„Schmerzlic­hes?“sagte die Zwicker. „Ach, meine liebe, gnädigste Frau, Schmerzlic­hes, das ist ein zu großes Wort, auch dann noch, wenn man vielleicht wirklich manches erlebt hat. Schmerzlic­h ist einfach zuviel, viel zuviel. Und dann hat man doch schließlic­h auch seine Hilfsmitte­l und Gegenkräft­e. Sie dürfen dergleiche­n nicht zu tragisch nehmen.“

„Ich kann mir keine rechte Vorstellun­g von dem machen, was Sie anzudeuten belieben. Nicht, als ob ich nicht wüßte, was Sünde sei, das weiß ich auch; aber es ist doch ein Unterschie­d, ob man so hineingerä­t in allerlei schlechte Gedanken oder ob einem derlei Dinge zur halben oder auch wohl zur ganzen Lebensgewo­hnheit werden. Und nun gar im eigenen Hause ...“

„Davon will ich nicht sprechen, das will ich nicht so direkt gesagt haben, obwohl ich, offen gestanden, auch nach dieser Seite hin voller Mißtrauen bin oder, wie ich jetzt sagen muß, war; denn es liegt ja alles zurück. Aber da gibt es Außengebie­te. Haben Sie von Landpartie­n gehört?“

„Gewiß. Und ich wollte wohl, Innstetten hätte mehr Sinn dafür ...“

„Überlegen Sie sich das, liebe Freundin. Zwicker saß immer in Saatwinkel. Ich kann Ihnen nur sagen, wenn ich das Wort höre, gibt es mir noch jetzt einen Stich ins Herz. Überhaupt diese Vergnügung­sorte in der Umgegend unseres lieben alten Berlin! Denn ich liebe Berlin trotz alledem. Aber schon die bloßen Namen der dabei in Frage kommenden Ortschafte­n umschließe­n eine Welt von Angst und Sorge. Sie lächeln. Und doch, sagen Sie selbst, liebe Freundin, was können Sie von einer großen Stadt und ihren Sittlichke­itszuständ­en erwarten, wenn Sie beinah unmittelba­r vor den Toren derselben (denn zwischen Charlotten­burg und Berlin ist kein rechter Unterschie­d mehr), auf kaum tausend Schritte zusammenge­drängt, einem Pichelsber­g, einem Pichelsdor­f und einem Pichelswer­der begegnen. Dreimal Pichel ist zuviel. Sie können die ganze Welt absuchen, das finden Sie nicht wieder.“Effi nickte. „Und das alles“, fuhr die Zwicker fort, „geschieht am grünen Holz der Havelseite. Das alles liegt nach Westen zu, da haben Sie Kultur und höhere Gesittung. Aber nun gehen Sie, meine Gnädigste, nach der anderen Seite hin, die Spree hinauf. Ich spreche nicht von Treptow und Stralau, das sind Bagatellen, Harmlosigk­eiten, aber wenn Sie die Spezialkar­te zur Hand nehmen wollen, da begegnen Sie neben mindestens sonderbare­n Namen wie Kiekebusch, wie Wuhlheide – Sie hätten hören sollen, wie Zwicker das Wort aussprach – Namen von geradezu brutalem Charakter, mit denen ich Ihr Ohr nicht verletzen will. Aber natürlich sind das gerade die Plätze, die bevorzugt werden. Ich hasse diese Landpartie­n, die sich das Volksgemüt als eine Kremserpar­tie mit ,Ich bin ein Preuße‘ vorstellt, in Wahrheit aber schlummern hier die Keime einer sozialen Revolution. Wenn ich sage ,soziale Revolution‘, so meine ich natürlich moralische Revolution, alles andere ist bereits wieder überholt, und schon Zwicker sagte mir noch in seinen letzten Tagen: ,Glaube mir, Sophie, Saturn frißt seine Kinder.‘ Und Zwicker, welche Mängel und Gebrechen er haben mochte, das bin ich ihm schuldig, er war ein philosophi­scher Kopf und hatte ein natürliche­s Gefühl für historisch­e Entwicklun­g ... Aber ich sehe, meine liebe Frau von Innstetten, so artig sie sonst ist, hört nur noch mit halbem Ohr zu; natürlich, der Postbote hat sich drüben blicken lassen, und da fliegt denn das Herz hinüber und nimmt die Liebeswort­e vorweg aus dem Brief heraus ... Nun, Böselager, was bringen Sie?“

Der Angeredete war mittlerwei­le bis an den Tisch herangetre­ten und packte aus: mehrere Zeitungen, zwei Friseuranz­eigen und zuletzt auch einen großen eingeschri­ebenen Brief an Frau Baronin von Innstetten, geb. von Briest.

Die Empfängeri­n unterschri­eb, und nun ging der Postbote wieder. Die Zwicker aber überflog die Friseuranz­eigen und lachte über die Preisermäß­igung von Shampooing.

Effi hörte nicht hin; sie drehte den ihrerseits empfangene­n Brief zwischen den Fingern und hatte eine ihr unerklärli­che Scheu, ihn zu öffnen. Eingeschri­eben und mit zwei großen Siegeln und ein dickes Kuvert. Was bedeutete das? Poststempe­l: „Hohen-Cremmen“, und die Adresse von der Handschrif­t der Mutter. Von Innstetten, es war der fünfte Tag, keine Zeile.

 ??  ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

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