Gottlieb war eine Marke
TV-Chefredakteur des BR geht in Ruhestand
Man kann es so schön formulieren wie Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerischen Rundfunks: „Wie kein anderer hat Sigmund Gottlieb über Jahrzehnte das Programm des Bayerischen Rundfunks geprägt: streitbar, sichtbar, meinungsstark.“Für seine vielen Fans, aber auch für Kabarettisten, sei er einfach Kult.
Am heutigen Freitag geht der gebürtige Nürnberger Gottlieb, seit 1995 Chefredakteur des BR Fernsehens, in den Ruhestand. Ob der 65-Jährige Kult ist? Zumindest ist er eine Marke – und bundesweit eines der bekanntesten Gesichter seines Senders. Er moderierte unter anderem den Polit-Talk „Münchner Runde“oder ARD-„Brennpunkte“. Und er kommentierte im Ersten für die „Tagesthemen“und erreichte damit ein Millionenpublikum.
Hier kommen die Kabarettisten ins Spiel und all jene Zuschauer, die sich über Gottlieb aufregten oder eben lustig machten. Deren Zahl dürfte sich mit der seiner Fans mindestens die Waage halten. Medienjournalist Boris Rosenkranz gab ihnen erst im Januar mit einem Video neues Futter. Ein Zusammenschnitt aus Gottliebs zwölf „Tagesthemen“-Kommentaren aus dem letzten Jahr. Die ersten frei montierten Gottlieb-Sätze: „Pillepalle auf intellektuell niedriger Flughöhe, und wir wissen auch warum. Seine Botschaft: Floskeln. Ohne Ende.“
Gottlieb mag sich über derlei ärgern, er kokettiert jedoch auch damit, wie er öffentlich wahrgenommen wird. Eine Marke muss schließlich einen Wiedererkennungswert haben. Und welcher Journalist hat es schon so weit gebracht, dass er parodiert wird? Anfang März saß Sigmund Gottlieb seinem langjährigen Alter Ego Traugott Sieglieb (Helmut Schleich) in der Kabarett-Sendung „SchleichFernsehen“dann gegenüber. Natürlich im BR Fernsehen. Er bewies Humor. Sein Gespräch mit Sieglieb über Herrenausstatter und Frisuren erinnerte an Loriots Herren im Bad.
Umstritten war Gottlieb vor allem wegen seiner vermeintlichen Nähe zur CSU und seiner Art, Interviews zu führen. So wurde er vor knapp einem Jahr heftig für sein Interview mit dem türkischen Präsidenten Erdogan gescholten, das er viel zu unkritisch geführt habe. Er hielt dagegen: Das Interview sei „knapp an der Kante“dessen gewesen, was Erdogan zum Abbruch bewegt hätte. Dass Gottlieb das Profil des BR als Nachrichtensender geschärft hat, wird im Gegensatz dazu selten erwähnt. 1999 wurden er und sein Team für die Berichterstattung über den Kosovo-Krieg ausgezeichnet, intensiv berichtete er über den „bayerischen Papst“Benedikt XVI. oder baute zuletzt das investigative Reporterteam „BR Recherche“auf.
In Mitteilungen schrieb der BR, eine Ära gehe zu Ende. Übertrieben ist das nicht. Auch, weil von April an Christian Nitsche als neuer Chefredakteur die Bereiche Fernsehen, Hörfunk und Online leiten wird.
Und Gottlieb? Unserer Zeitung sagte er: „Dem BR und meinen vielen Kolleginnen und Kollegen werde ich auch in Zukunft mit Herz und Hirn verbunden bleiben.“Schon am Sonntag sieht man ihn im BR wieder – als Gast in „Der Sonntags-Stammtisch“um 11 Uhr. Daniel Wirsching
Bei Helmut Schleich wird Gottlieb zu „Sieglieb“