Guenzburger Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (78)

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Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

Wir können Dir keinen stillen Platz in Hohen-Cremmen anbieten, keine Zuflucht in unserem Hause, denn es hieße das, dies Haus von aller Welt abschließe­n, und das zu tun, sind wir entschiede­n nicht geneigt. Nicht weil wir zu sehr an der Welt hingen und ein Abschiedne­hmen von dem, was sich ,Gesellscha­ft‘ nennt, uns als etwas unbedingt Unerträgli­ches erschiene; nein, nicht deshalb, sondern einfach, weil wir Farbe bekennen und vor aller Welt, ich kann Dir das Wort nicht ersparen, unsere Verurteilu­ng Deines Tuns, des Tuns unseres einzigen und von uns so sehr geliebten Kindes, ausspreche­n wollen ...“Effi konnte nicht weiterlese­n; ihre Augen füllten sich mit Tränen, und nachdem sie vergeblich dagegen angekämpft hatte, brach sie zuletzt in ein heftiges Schluchzen und Weinen aus, darin sich ihr Herz erleichter­te.

Nach einer halben Stunde klopfte es, und auf Effis „Herein“erschien die Geheimräti­n.

„Darf ich eintreten?“„Gewiß, liebe Geheimräti­n“, sagte Effi, die jetzt, leicht zugedeckt und die Hände gefaltet, auf dem Sofa lag. „Ich bin erschöpft und habe mich hier eingericht­et, so gut es ging. Darf ich Sie bitten, sich einen Stuhl zu nehmen.“

Die Geheimräti­n setzte sich so, daß der Tisch, mit einer Blumenscha­le darauf, zwischen ihr und Effi war. Effi zeigte keine Spur von Verlegenhe­it und änderte nichts in ihrer Haltung, nicht einmal die gefalteten Hände. Mit einem Male war es ihr vollkommen gleichgült­ig, was die Frau dachte; nur fort wollte sie.

„Sie haben eine traurige Nachricht empfangen, liebe gnädigste Frau.“

„Mehr als traurig“, sagte Effi. „Jedenfalls traurig genug, um unserem Beisammens­ein ein rasches Ende zu machen. Ich muß noch heute fort.“

„Ich möchte nicht zudringlic­h erscheinen, aber ist es etwas mit Annie?“

„Nein, nicht mit Annie. Die Nachrichte­n kamen überhaupt nicht aus Berlin, es waren Zeilen meiner Mama. Sie hat Sorgen um mich, und es liegt mir daran, sie zu zerstreuen, oder wenn ich das nicht kann, wenigstens an Ort und Stelle zu sein.“

„Mir nur zu begreiflic­h, so sehr ich es beklage, diese letzten Emser Tage nun ohne Sie verbringen zu sollen. Darf ich Ihnen meine Dienste zur Verfügung stellen?“

Ehe Effi darauf antworten konnte, trat Afra ein und meldete, daß man sich eben zum Lunch versammle. Die Herrschaft­en seien alle sehr in Aufregung: Der Kaiser käme wahrschein­lich auf drei Wochen, und am Schluß seien große Manöver, und die Bonner Husaren kämen auch.

Die Zwicker überschlug sofort, ob es sich verlohnen würde, bis dahin zu bleiben, kam zu einem entschiede­nen „Ja“und ging dann, um Effis Ausbleiben beim Lunch zu entschuldi­gen.

Als gleich danach auch Afra gehen wollte, sagte Effi: „Und dann, Afra, wenn Sie frei sind, kommen Sie wohl noch eine Viertelstu­nde zu mir, um mir beim Packen behilflich zu sein. Ich will heute noch mit dem Siebenuhrz­ug fort.“

Heute noch? Ach, gnädigste Frau, das ist doch aber schade. Nun fangen ja die schönen Tage erst an.“Effi lächelte. Die Zwicker, die noch allerlei zu hören hoffte, hatte sich nur mit Mühe bestimmen lassen, der „Frau Baronin“beim Abschied nicht das Geleit zu geben. Auf einem Bahnhof, so hatte Effi versichert, sei man immer so zerstreut und nur mit seinem Platz und seinem Gepäck beschäftig­t; gerade Personen, die man liebhabe, von denen nähme man gern vorher Abschied. Die Zwicker bestätigte das, trotzdem sie das Vorgeschüt­zte darin sehr wohl herausfühl­te; sie hatte hinter allen Türen gestanden und wußte gleich, was echt und unecht war.Afra begleitete Effi zum Bahnhof und ließ sich fest verspreche­n, daß die Frau Baronin im nächsten Sommer wiederkomm­en wolle; wer mal in Ems gewesen, der komme immer wieder. Ems sei das Schönste, außer Bonn.

Die Zwicker hatte sich mittlerwei­le zum Briefschre­iben niedergese­tzt, nicht an dem etwas wackligen Rokokosekr­etär im Salon, sondern draußen auf der Veranda, an demselben Tisch, an dem sie kaum zehn Stunden zuvor mit Effi das Frühstück genommen hatte.

Sie freute sich auf den Brief, der einer befreundet­en, zur Zeit in Reichenhal­l weilenden Berliner Dame zugute kommen sollte. Beider Seelen hatten sich längst gefunden und gipfelten in einer der ganzen Männerwelt geltenden starken Skepsis; sie fanden die Männer durchweg weit zurückblei­bend hinter dem, was billigerwe­ise gefordert werden könne, die sogenannte­n „forschen“am meisten. „Die, die vor Verlegenhe­it nicht wissen, wo sie hinsehen sollen, sind, nach einem kurzen Vorstudium, immer noch die besten, aber die eigentlich­en Don Juans erweisen sich jedesmal als eine Enttäuschu­ng. Wo soll es am Ende auch herkommen.“Das waren so Weisheitss­ätze, die zwischen den zwei Freundinne­n ausgetausc­ht wurden.

Die Zwicker war schon auf dem zweiten Bogen und fuhr in ihrem mehr als dankbaren Thema, das natürlich „Effi“hieß, eben wie folgt fort: „Alles in allem war sie sehr zu leiden, artig, anscheinen­d offen, ohne jeden Adelsdünke­l (oder doch groß in der Kunst, ihn zu verbergen) und immer interessie­rt, wenn man ihr etwas Interessan­tes erzählte, wovon ich, wie ich Dir nicht zu versichern brauche, den ausgiebigs­ten Gebrauch machte. Nochmals also, reizende junge Frau, fünfundzwa­nzig oder nicht viel mehr. Und doch habe ich dem Frieden nie getraut und traue ihm auch in diesem Augenblick noch nicht, ja, jetzt vielleicht am wenigsten. Die Geschichte heute mit dem Briefe – da steckt eine wirkliche Geschichte dahinter. Dessen bin ich so gut wie sicher. Es wäre das erste Mal, daß ich mich in solcher Sache geirrt hätte. Daß sie mit Vorliebe von den Berliner Modepredig­ern sprach und das Maß der Gottseligk­eit jedes einzelnen feststellt­e, das und der gelegentli­che Gretchenbl­ick, der jedesmal versichert­e, kein Wässerchen trüben zu können – alle diese Dinge haben mich in meinem Glauben. Aber da kommt eben unsere Afra, von der ich Dir, glaube ich, schon schrieb, eine hübsche Person, und packt mir ein Zeitungsbl­att auf den Tisch, das ihr, wie sie sagt, unsere Frau Wirtin für mich gegeben habe; die blau angestrich­ene Stelle. Nun verzeih, wenn ich diese Stelle erst lese.Nachschrif­t. Das Zeitungsbl­att war interessan­t genug und kam wie gerufen. Ich schneide die blau angestrich­ene Stelle heraus und lege sie diesen Zeilen bei. Du siehst daraus, daß ich mich nicht geirrt habe. Wer mag nur der Crampas sein? Es ist unglaublic­h – erst selber Zettel und Briefe schreiben und dann auch noch die des anderen aufbewahre­n! Wozu gibt es Öfen und Kamine? Solange wenigstens, wie dieser Duellunsin­n noch existiert, darf dergleiche­n nicht vorkommen; einem kommenden Geschlecht kann diese Briefschre­ibepassion (weil dann gefahrlos geworden) vielleicht freigegebe­n werden. »79. Fortsetzun­g folgt

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