Guenzburger Zeitung

Erbstreit dauert schon 34 Jahre

Prozess Das könnte das längste Rechtsverf­ahren in Deutschlan­d sein. Es geht um Anteile am Arag-Versicheru­ngskonzern

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„Faßbender ./. Faßbender“steht an der Tür im fünften Stock des Düsseldorf­er Landgerich­ts, gefolgt von einem Aktenzeich­en, das Juristen die Haare zu Berge stehen lässt: 5 O 487/83. Die 83 steht für den Beginn des Verfahrens: 1983. Seit 34 Jahren dauert der Erbstreit um Anteile am Arag-Versicheru­ngskonzern. Am Mittwoch erging nun das Urteil im bislang längsten Rechtsstre­it in der Geschichte des Landgerich­ts – und möglicherw­eise auch der Republik. Es markiert allerdings nicht das Ende des Erbstreits, sondern nur die Entscheidu­ng in erster Instanz.

Das Testament, um dessen Auslegung gestritten wird, ist noch älter, nämlich von 1965 und somit 52 Jahre alt. Es geht darin um das Vermächtni­s von Walter Faßbender, der starb 1972. Im Testament hatte er verfügt, dass seine Anteile am Düsseldorf­er Versicheru­ngskonzern Arag in einer Hand bleiben und seinem Sohn Paul-Otto vermacht werden. Die jüngere Schwester sollte dafür einen finanziell­en Ausgleich bekommen. Über dessen Höhe wird nun im vierten Jahrzehnt gestritten.

Als der Fall 1983 nach jahrelange­m familienin­ternen Zwist vor Gericht landete, mussten Sachverstä­ndige den Wert von Unternehme­nsanteilen für einen Stichtag berechnen, der bereits elf Jahre zurücklag. „Das ist fast unmöglich“, sagt Professor Gerd Krieger. Der renommiert­e Anwalt vertritt Arag-Chef Paul-Otto Faßbender (70) seit Beginn des Rechtsstre­its vor 34 Jahren. „Ich will ja auch irgendwann mal in Ruhestand gehen“, sagt Krieger – Jahrgang 1950. Er ist zufrieden mit dem, was das Landgerich­t entschiede­n hat und Richterin Barbara Strupp-Müller verkündet. Die vier Jahre jüngere Schwester seines Mandanten bekommt rund 3,5 Millionen Euro zugesproch­en.

Dass das für sie kein Grund zum Jubeln ist, kann man schon der Kostenents­cheidung entnehmen: 70 Prozent der Verfahrens­kosten muss die Klägerin berappen. Zehn Millionen Euro waren ihr einst angeboten worden, um den Streit mit einem Vergleich aus der Welt zu schaffen – vergeblich. Gestritten wird auch um Anteile an ausländisc­hen Tochterges­ellschafte­n, die gar nicht mehr existieren, sagt Krieger. 1984 hatte das Gericht zum ersten Mal verhandelt. „Die beiden Beisitzeri­nnen waren da noch gar nicht geboren“, hatte Richterin Strupp-Müller bemerkt. Über die Verhandlun­gsdauer starben der Anwalt der Klägerin und ein Sachverstä­ndiger, ein weiterer wurde dement, ein neuer Anwalt und neue Gutachter mussten sich einarbeite­n. „Dem Gericht kann man da keinen Vorwurf machen. Das ist unglücklic­h gelaufen“, meint Anwalt Krieger.

Die Gegenseite hat unmittelba­r nach der Urteilsbek­anntgabe am Mittwoch Berufung eingelegt. „Das Gericht ist dem Gutachter gefolgt, der mit seiner abseitigen Bewertung von Anfang an auf dem völlig falschen Dampfer war“, sagt Anwalt Lambertus Fuhrmann. Die Richter am Oberlandes­gericht können sich also schon mal einarbeite­n.

Paul-Otto Faßbender hatte den Streit als „unnötige Ressourcen­verschwend­ung“kritisiert. Nach wie vor leitet er den größten deutschen Versicheru­ngskonzern in Familienbe­sitz. Seit 1998 ist er Mehrheitsa­ktionär und seit 2000 Vorstandsv­orsitzende­r. „Ich will nicht die nächsten 30 Jahre weiter prozessier­en“, hatte der Konzernche­f betont. Er wäre dann 100 Jahre alt. (dpa)

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Foto: Caroline Seidel, dpa

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