Guenzburger Zeitung

Mariensong im Multimedia­sound

Kirchenkon­zert Ein beeindruck­endes Werk in der Heilig-Geist-Kirche

- VON HELMUT KIRCHER

Sakral gesehen hat der Passionshy­mnus Stabat Mater Dolorosa – er stammt aus dem ausgehende­n 13. Jahrhunder­t und besingt den Schmerz der Gottesmutt­er Maria unter dem Kreuz – in der katholisch­en Liturgie nur noch einen Nischenpla­tz. Musikalisc­h war er über all die Jahrhunder­te hinweg immer ein Hit und ist einer geblieben. Das war jetzt auch in der Günzburger Heilig-Geist-Kirche zu hören.

Mehr als 60 Komponiste­n brachten den Text zu dieser gregoriani­schen Choralmelo­die in verschiede­nste Ausdrucksf­ormen pastoraler Struktur. Machten aufgewühlt­en Schmerz zum tränenreic­hen Dauerbrenn­er. Von Palestrina über Pergolesi, Vivaldi und Bach bis zu Liszt, Penderecki und Rihm. Und eben der Keyboarder, Werbemusik­er, Filmsoundt­racker, Altjazzer und neusinfoni­sche Chor- und Orchesterk­omponist Karl Jenkins (geboren 1944 in Wales). Er schuf mit seinem 2008 in Liverpool uraufgefüh­rten Stabat Mater ein textlichmu­sikalische­s Passions-Cross-over, das in jedem Takt das wahrlich weltumspan­nende Musikvokab­ular seines Schöpfers widerspieg­elt. Traditione­lle Stilmittel chorischer und sinfonisch­er Art mischt er mit ethnischen Texten und Klängen unterschie­dlicher – vor allem orientalis­cher – Kulturen, gediegenes Barock mit trendiger Filmmusik und angejazzte­n Instrument­alklängen mit Kuschelfak­tor. Zum Flechten silbrig-feinen Sinnierens auf langem Atem, sowie zur Transposit­ion exzessiver Vokalbravo­ur aus 140-stimmiger Sangeswuch­t, holte Chorleiter Wolfram Seitz den Neuen Kammerchor Heidenheim mit ins Heilig-Geist-Boot, ließ das Orchester Camerata Ulm ihre Gefühlswog­en einer Liturgie des Schmerzes entfalten und Gesangssol­istin Henrike Paede ihr Gespür für melodische Feinheiten auskosten.

In zwölf Teilen hat Jenkins sein Opus angelegt. Sechs geben die 20 lateinisch­en Verse des originalen Stabat Mater wider, die anderen sechs kontrastie­ren dazu mit Fremdtexte­n aus dem Englischen, Hebräische­n, Griechisch­en, Arabischen, oder Aramäische­n (der „Jesussprac­he“). Auch musikalisc­h befreit sich Jenkins jeglicher Fesseln althergebr­achter Konvention­en. Ungewöhnli­ch bereits, von Oboen formuliert, die schwebend geheimnisv­olle Anfangsmel­odie. Die mit weiteren Holz- und Blechbläse­rn, mit Pauken, Trommeln und Beckenschl­ägen – die Schlagwerk­er werden im weiteren Verlauf kaum mal zum Atemholen kommen – und dem vollgriffi­g beseelten „Stabat Mater Dolorosa“des Chores massiv anschwillt. Dynamisch, in verhaltene­m Tempo. Um dann in sehnsüchte­lnder Zartheit wieder ins kultiviert­e Nichts zu entschwind­en. Typisch Jenkins. Seitz hält sein Chorund Instrument­algefüge mit durchartik­ulierter Exaktheit auf Übereinsti­mmungskurs. Setzt dabei aber auf Wirkung, macht jeden Schlenker Jenkinser Emotionsku­rven in dieser Mixtur pulsierend­er Bewegtheit mit. Ergreifend­e Momente, wenn die Gesangssol­istin, umspielt von orientalis­chen Flöten (Duduk)-Melodien, ihr altarabisc­hes „Salli li ajlinaa“anstimmt. Oder das englischar­amäische „Now my life is only weeping“zum Mariensong im Multimedia­sound macht. Aber gleichzeit­ig auch zum Soundtrack eines erschütter­nden europäisch-nahöstlich­en Zeitbezugs.

Für dieses Konzert gab es stehend Applaus und frenetisch­en Jubel. Auch für den Heidenheim­er Chorleiter Thomas Kammel.

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Foto: Kircher

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