Eine gute Nachricht für die Demokratie
Der Schatz ist da. Und er beflügelt die Fantasie. Wer ihn findet, dem winken Reichtum und Macht. Doch er muss, wie einst das Gold am legendären Klondike in Alaska, erst mühsam geborgen und aufbereitet werden. Der Schatz der Gegenwart heißt: Daten. Sie fallen immer und überall an und stehen dank der unbegrenzten Speicherkapazitäten und der enormen Rechnerleistungen allen zur Verfügung, die damit umzugehen vermögen. Das weckt nicht nur die Begehrlichkeiten der Industrie, die mit immer genaueren Algorithmen das Kaufverhalten der Kunden berechnen und optimieren, sondern auch der Wahlkämpfer, die dem Wähler, dem ebenso unbekannten wie unberechenbaren Wesen, auf die Spur kommen wollen.
Wie man den gehobenen Schatz für seine Zwecke nutzen kann, hat der neue US-Präsident Donald Trump eindrucksvoll bewiesen. Facebook und Twitter führten ihn ins Weiße Haus. Mit einer völlig neuen Form eines internetbasierten Wahlkampfes, in dem er die Nutzerprofile von Millionen Amerikanern analysierte und gezielt die sozialen Medien zur Verbreitung seiner Botschaften einsetzte, öffnete er die Tür in ein neues Zeitalter, hinter das kein Wahlkämpfer mehr zurückkann. Auch nicht in Deutschland, wo im September ein neuer Bundestag gewählt wird, selbst wenn die Parteien hierzulande noch meilenweit von den in den USA angewandten Möglichkeiten wie Methoden entfernt sind.
Aber CDU/CSU und SPD, Grüne und Linke, AfD und alle anderen werden in diesem Jahr massiv das Internet und die sozialen Medien nutzen, um ihre Botschaften unters Volk zu bringen und ihre Wähler zu erreichen. Denn darauf wird es in diesem Jahr nicht nur für CDU- Chefin Angela Merkel ankommen: Gewinnen wird nur der, dem es gelingt, seine Anhänger und Sympathisanten am besten zu mobilisieren und sein Wählerpotenzial möglichst umfassend auszuschöpfen. Die Merkel-Strategie der asymmetrischen Demobilisierung, also der Einschläferung der SPD-Wähler, die aus Resignation erst gar nicht an die Urne gingen, wird in diesem Jahr nicht mehr funktionieren. Mit Martin Schulz hat die SPD auf einmal einen Kandidaten, der seinerseits in der Lage ist, die eigene Basis zu mobilisieren und Wechsel- wie Wahltag zur Wahlurne zu bewegen. Zwei Prozentpunkte, so glaubt man bei der CDU mit Blick auf den Erfolg im Saarland, kann man auf diese Weise zusätzlich mobilisieren. Und nochmals zwei Prozentpunkte durch ein verstärktes Auftreten in den sozialen Medien. Vier Prozentpunkte, das klingt auf den ersten Blick nach nicht viel, doch es kann bei einem knappen Ausgang wahlentscheidend sein.
Für die Demokratie ist das eine gute Nachricht. Die Parteien entdecken den mündigen Bürger wieder. Er wird nicht mehr eingelullt und ruhig gestellt, sondern ernst genommen und umworben. Gleichzeitig steigt der Wettbewerb zwischen den Parteien. Sie müssen um jede Stimme kämpfen. Siegen kann nur, wer sein Potenzial möglichst umfassend ausschöpft. Das ist anstrengend. Doch die Mühe lohnt es. Es lockt die Macht – und der Wähler, der Souverän, bestimmt, wer sie erhält.