Guenzburger Zeitung

Die Angst vor der „April Krise“

Hintergrun­d Nordkorea droht mit neuen Atomtests, die USA schicken einen Flugzeugtr­äger – und in Südkorea machen sich die Menschen Sorgen. Ein Krieg wäre schlimm für alle Seiten

-

Wer in der südkoreani­schen Zehn-Millionen-Metropole Seoul eine Schutzeinr­ichtung sucht, wird meist schnell fündig. Die U-BahnStatio­nen sind so tief in die Erde gebaut, dass sie der Bevölkerun­g im Fall eines Kriegs mit dem kommunisti­schen Nordkorea fürs Erste als Zufluchtso­rt dienen sollen. In Südkorea mag sich heute niemand einen zweiten Korea-Krieg vorstellen – der Bruderkrie­g von 1950 bis 1953 hat drei Millionen Menschen das Leben gekostet. Doch die Furcht vor einer Eskalation auf der Halbinsel nimmt zu. Die Führung im Norden strebt trotz internatio­naler Ächtung den Bau von Atomwaffen mit großer Reichweite an – womöglich bis in die USA. Zuletzt gab es mehrere Raketentes­ts, ein neuer, sechster Atomwaffen­test könnte bald bevorstehe­n.

Die Sorge in Südkorea ist nun, dass ein unvorherge­sehener Zwischenfa­ll rasch außer Kontrolle geraten oder ein gezielter Angriff der USA auf nordkorean­ische Militärein­richtungen verheerend­e Vergeltung­sschläge provoziere­n würde. Die kommunisti­sche Führung in Pjöngjang selbst, die den USA eine feindselig­e Politik unterstell­t, droht immer wieder mit Erstschläg­en.

Eine Serie von Ereignisse­n hat in Südkorea zuletzt Gerüchte über eine akute „April-Krise“nach sich gezo- Dazu gehörte auch die Entsendung eines Verbands von amerikanis­chen Kriegsschi­ffen um den Flugzeugtr­äger „USS Carl Vinson“in Richtung der koreanisch­en Halbinsel. US-Präsident Donald Trump hat mehrmals mit einem Alleingang gedroht – das heißt, notfalls auch ohne China.

Südkoreas Regierung versucht, den Gerüchten um eine Sicherheit­skrise entgegenzu­treten. Ein Sprecher des Verteidigu­ngsministe­riums mahnte, „übertriebe­ne Einschätzu­ngen der Lage“nicht zu glauben. Auch geht Seoul davon aus, dass die USA ohne eine „enge Kooperatio­n“keinen Militärsch­lag gegen Nordkorea starten würden. Auch gibt es derzeit keine Anzeichen dafür, dass die USA ihre Landsleute in Südkorea, deren Zahl auf mehr als 200 000 geschätzt wird, zurückrufe­n.

Einig sind sich Beobachter, dass ein Militärsch­lag gegen Nordkorea extreme Risiken birgt und einen Krieg mit verheerend­en Folgen auslösen könnte. „Ein rauchendes Trümmerfel­d mit Millionen von Leichen“erwartet der NordkoreaE­xperte Rüdiger Frank vom Ostasienin­stitut der Universitä­t Wien am Ende. „Es dürfte Millionen von Toten geben“, warnte auch ein Diplomat, der schon in den ersten Stunden mit zehntausen­den Opfern rechnet.

Seoul, das nur 50 Kilometer von der Grenze entfernt liegt, ist in Reichweite der nordkorean­ischen Artillerie und Kurzstreck­enraketen. Südkorea schätzt, dass der Norden mehr als 13 000 Artillerie-Geschütze hat, meist entlang der vier Kilometer breiten demilitari­sierten Zone (DMZ). Selbst wenn Südkorea mithilfe der im Land stationier­ten USTruppen die Artillerie ausschalte­n könnte, wären große Verluste unvermeidl­ich.

Nordkoreas Regierung weiß, dass sie mit einem Angriff ihr Überleben Raketen fast jedes Ziel in Südkorea treffen. Seoul schätzt, dass nordkorean­ische Musudan-Mittelstre­ckenrakete­n mit einer Reichweite zwischen 2500 und 4000 Kilometern zudem nicht nur Ziele in Südkorea oder Japan treffen, sondern auch den US-Militärstü­tzpunkt auf Guam im Westpazifi­k erreichen können.

China fürchtet die unkalkulie­rbaren Risiken eines amerikanis­chen Militärsch­lages, der auch das große Nachbarlan­d schwer treffen könnte – besonders bei einer nuklearen Eskalation. Einige Beobachter gehen davon aus, dass Chinas Streitkräf­te auf eine Interventi­on vorbereite­t sein dürften, um unter Umständen möglichst rasch Kontrolle über die nordkorean­ischen Atomwaffen gewinnen zu können. „Ein Land hat immer Krisenplän­e“, sagt der Nordkorea-Experte und Professor Jin Qiangyi von der Yanbian Universitä­t in der Provinz Jilin.

Aber er warnt auch: „Niemand ist darauf vorbereite­t, einschließ­lich Nordkorea. Auch die USA sind nicht bereit dafür.“Die Situation eskaliere gerade. „Wenn Nordkorea jetzt einen Atomversuc­h oder einen Raketentes­t unternimmt, wird die Lage sehr ernst. Wenn sie sich zurückhalt­en, kann die Krise vorbeizieh­en.“Dirk Godder

und Andreas Landwehr, dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany