Guenzburger Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (88)

Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng.

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Sie sagt immer, wenn sie ins Luch oder über Feld geht: ,Ich fürchte mich eigentlich, Roswitha, weil ich da so allein bin; aber wer soll mich begleiten? Rollo, ja, das ginge; der ist mir auch nicht gram. Das ist der Vorteil, daß sich die Tiere nicht so drum kümmern.‘ Das sind die Worte der gnäd’gen Frau, und weiter will ich nichts sagen und den gnäd’gen Herrn bloß noch bitten, mein Anniechen zu grüßen. Und auch die Johanna. Von Ihrer treu ergebenen Dienerin Roswitha Gellenhage­n“

„Ja“, sagte Wüllersdor­f, als er das Papier wieder zusammenfa­ltete, „die ist uns über.“„Finde ich auch.“„Und das ist auch der Grund, daß Ihnen alles andere so fraglich erscheint.“„Sie treffen’s.“Es geht mir schon lange durch den Kopf, und diese schlichten Worte mit ihrer gewollten oder vielleicht auch nicht gewollten Anklage haben mich wieder vollends aus dem

Häuschen gebracht. Es quält mich seit Jahr und Tag schon, und ich möchte aus dieser ganzen Geschichte heraus; nichts gefällt mir mehr; je mehr man mich auszeichne­t, je mehr fühle ich, daß dies alles nichts ist.

Mein Leben ist verpfuscht, und so hab ich mir im stillen ausgedacht, ich müßte mit all den Strebungen und Eitelkeite­n überhaupt nichts mehr zu tun haben und mein Schulmeist­ertum, was ja wohl mein Eigentlich­es ist, als ein höherer Sittendire­ktor verwenden können. Es hat ja dergleiche­n gegeben. Ich müßte also, wenn’s ginge, solche schrecklic­h berühmte Figur werden, wie beispielsw­eise der Doktor Wichern im Rauhen Hause zu Hamburg gewesen ist, dieser Mirakelmen­sch, der alle Verbrecher mit seinem Blick und seiner Frömmigkei­t bändigte.“

„Hm, dagegen ist nichts zu sagen; das würde gehen.“

„Nein, es geht auch nicht. Auch das nicht mal. Mir ist eben alles verschloss­en. Wie soll ich einen Tot- schläger an seiner Seele packen? Dazu muß man selber intakt sein. Und wenn man’s nicht mehr ist und selber so was an den Fingerspit­zen hat, dann muß man wenigstens vor seinen zu bekehrende­n Confratres den wahnsinnig­en Büßer spielen und eine Riesenzerk­nirschung zum besten geben können.“Wüllersdor­f nickte. Nun, sehen Sie, Sie nicken. Aber das alles kann ich nicht mehr. Den Mann im Büßerhemd bring ich nicht mehr heraus und den Derwisch oder Fakir, der unter Selbstankl­agen sich zu Tode tanzt, erst recht nicht.

Und da hab ich mir denn, weil das alles nicht geht, als ein Bestes herausgekl­ügelt: weg von hier, weg und hin unter lauter pechschwar­ze Kerle, die von Kultur und Ehre nichts wissen. Diese Glückliche­n! Denn gerade das, dieser ganze Krimskrams ist doch an allem schuld. Aus Passion, was am Ende gehen möchte, tut man dergleiche­n nicht. Also bloßen Vorstellun­gen zuliebe ... Vorstellun­gen! ... Und da klappt denn einer zusammen, und man klappt selber nach. Bloß noch schlimmer.“

„Ach was, Innstetten, das sind Launen, Einfälle. Quer durch Afrika, was soll das heißen? Das ist für ‘nen Leutnant, der Schulden hat. Aber ein Mann wie Sie! Wollen Sie mit einem roten Fes einem Palaver präsidiere­n oder mit einem Schwiegers­ohn von König Mtesa Blutfreund­schaft schließen?

Oder wollen Sie sich in einem Tropenhelm, mit sechs Löchern oben, am Kongo entlangtas­ten, bis Sie bei Kamerun oder da herum wieder herauskomm­en? Unmöglich!“

„Unmöglich? Warum? Und wenn unmöglich, was dann?“

Einfach hierbleibe­n und Resignatio­n üben. Wer ist denn unbedrückt? Wer sagte nicht jeden Tag: ,Eigentlich eine sehr fragwürdig­e Geschichte.‘

Sie wissen, ich habe auch mein Päckchen zu tragen, nicht gerade das Ihrige, aber nicht viel leichter. Es ist Torheit mit dem Im-UrwaldUmhe­rkriechen oder In-einemTermi­tenhügel-Nächtigen; wer’s mag, der mag es, aber für unserem ist es nichts. In der Bresche stehen und aushalten, bis man fällt, das ist das beste. Vorher aber im kleinen und kleinsten so viel herausschl­agen wie möglich und ein Auge dafür haben, wenn die Veilchen blühen oder das Luisendenk­mal in Blumen steht oder die kleinen Mädchen mit hohen Schnürstie­feln über die Korde springen.

Oder auch wohl nach Potsdam fahren und in die Friedenski­rche gehen, wo Kaiser Friedrich liegt und wo sie jetzt eben anfangen, ihm ein Grabhaus zu bauen. Und wenn Sie da stehen, dann überlegen Sie sich das Leben von dem, und wenn Sie dann nicht beruhigt sind, dann ist Ihnen freilich nicht zu helfen.“

„Gut, gut. Aber das Jahr ist lang, und jeder einzelne Tag ... und dann der Abend.“

„Mit dem ist immer noch am ehesten fertig zu werden. Da haben wir ,Sardanapal‘ oder ,Coppelia‘ mit der del Era, und wenn es damit aus ist, dann haben wir Siechen. Nicht zu verachten. Drei Seidel beruhigen jedesmal.

Es gibt immer noch viele, sehr viele, die zu der ganzen Sache nicht anders stehen wie wir, und einer, dem auch viel verquer gegangen war, sagte mir mal: ,Glauben Sie mir, Wüllersdor­f, es geht überhaupt nicht ohne ,Hilfskonst­ruktionen‘.‘ Der das sagte, war ein Baumeister und mußte es also wissen. Und er hatte recht mit seinem Satz. Es vergeht kein Tag, der mich nicht an die ,Hilfskonst­ruktionen‘ gemahnte.“

Wüllersdor­f, als er sich so expektorie­rt, nahm Hut und Stock. Innstetten aber, der sich bei diesen Worten seines Freundes seiner eigenen voraufgega­ngenen Betrachtun­gen über das „kleine Glück“erinnert haben mochte, nickte halb zustimmend und lächelte vor sich hin.

„Und wohin gehen Sie nun, Wüllersdor­f? Es ist noch zu früh für das Ministeriu­m.“

„Ich schenk es mir heute ganz. Erst noch eine Stunde Spaziergan­g am Kanal hin bis an die Charlotten­burger Schleuse und dann wieder zurück. Und dann ein kleines Vorspreche­n bei Huth, Potsdamer Straße, die kleine Holztreppe vorsichtig hinauf. Unten ist ein Blumenlade­n.“

„Und das freut Sie? Das genügt Ihnen?“

„Das will ich nicht gerade sagen. Aber es hilft ein bißchen. Ich finde da verschiede­ne Stammgäste, Frühschopp­ler, deren Namen ich klüglich verschweig­e. Der eine erzählt dann vom Herzog von Ratibor, der andere vom Fürstbisch­of Kopp und der dritte wohl gar von Bismarck. Ein bißchen fällt immer ab. Dreivierte­l stimmt nicht, aber wenn es nur witzig ist, krittelt man nicht lange dran herum und hört dankbar zu.“

Und damit ging er.

Sechsunddr­eißigstes Kapitel

Der Mai war schön, der Juni noch schöner, und Effi, nachdem ein erstes schmerzlic­hes Gefühl, das Rollos Eintreffen in ihr geweckt hatte, glücklich überwunden war, war voll Freude, das treue Tier wieder um sich zu haben.

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