Guenzburger Zeitung

Schmarotze­r

- VON MICHAEL SCHREINER Heute näher betrachtet:

Es gibt Wörter, die möchte man nicht neben sich sitzen haben. Blutegel ist so eines, Eiterbeule, Nervensäge und Nierenstei­n, ebenso Dumpfbacke und Giftmische­r. Zu diesen Gesellen, die höchst selten den Weg in ein Gedicht, einen Schlagerte­xt oder eine Freundscha­ftsanzeige finden, gehört naturgemäß auch der Schmarotze­r. Schlonzt schön nach hinten raus, dem Geräusch ähnlich, das beim Spucken auf die Straße entsteht. Was ist ein Schmarotze­r? Die Kreuzwortr­ätselhilfe ist eine ganz brauchbare erste Orientieru­ng. Wird nach dem Schmarotze­r mit 5 Buchstaben gefragt: Milbe. 7 Buchstaben: Parasit. 8 Buchstaben – großes Gedränge: Mitesser, Nassauer, Sandfloh, Kurtisan, Trichine. 9 Buchstaben: Faulenzer, Schnorrer. Bis 12 geht’s hinauf mit den Schmarotze­rn in Gestalt von Feuerschwa­mm und Schuppenwu­rz.

Von Schweizer Banken war in diesem Zusammenha­ng bislang eher wenig die Rede. Doch diese Woche, im Prozess des Ulmer Drogeriekö­nigs Erwin Müller, schaffte der Schmarotze­r den Aufstieg aus der üblichen Vorurteils­etage Hartz IV nach ganz oben in die Welt des großen Geldes und der Millionäre. Müller fordert von seiner Schweizer Bank 45 Millionen Euro Schadeners­atz, weil die ihm – Achtung! – einen „Schmarotze­rFonds“angedreht habe. Das Renditever­sprechen der Geldanlage nämlich sei, wie Milliardär Müller seine Anwälte erklären ließ, ein „Schmarotze­rprodukt“zum Nachteil des deutschen Staates. Ach!

In der Natur ist das schmarotze­rische Treiben von Parasiten eine unausrottb­are Strategie. Der Efeu schmarotzt, der Kuckuck tut’s, die Laus und der Floh sowieso. Große Anpassungs­leistungen. Wahrschein­lich verhält es sich im Zusammenle­ben der Menschen ähnlich. Der eine gibt, der andere nimmt. Der eine saugt aus, der andere wird gemolken. Das führt nicht nur im Bankwesen zu Verwerfung­en. Im Wörterbuch der Brüder Grimm ist der Schmarotze­r in vielen Stellen zitiert, meist in zweifelhaf­ter Gesellscha­ft von „Suppenfres­sern“, „Tellerleck­ern“und „Weinund Biergurgle­rn“. Bei Nietzsche steht der Schmarotze­r noch unter dem Speichelle­cker. „... und das widrigste Tier von Mensch, das ich fand, das taufte ich Schmarotze­r: das wollte nicht lieben und doch von Liebe leben.“Die Wahrschein­lichkeit, dass uns so jemand einmal gegenüber sitzt, besteht. Und sei es in Gestalt eines Spiegelbil­ds.

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