Eine Nacht mal kurz weg
Glaube Das Bistum macht Männern ein besonderes Angebot zum Einstieg in die österlichen Tage: Eine Wallfahrt in der Dunkelheit. Es ist eine Erfahrung für die Sinne – und den Geist
Gründonnerstagabend, kurz vor 20 Uhr: Viele sind gekommen, um mit Pfarrer Werner Brauchle in der Haldenwanger Pfarrkirche St. Maria Immaculata das Letzte Abendmahl zu feiern. „Ich bin dann mal kurz weg“, heißt es im Kirchenanzeiger, der im dem Schaukasten vor der Kirche hängt. Gemeint ist die Männer-NachtWallfahrt, die im Anschluss an die Gründonnerstagsliturgie beginnt.
Nachtwallfahrten für Männer ein Einstieg in die österlichen Tage von Gründonnerstag auf Freitag: Die Männerseelsorge im Bistum Augsburg hat in diesem Jahr insgesamt 32 solcher Wallfahrten organisiert.
Die Längen sind unterschiedlich: Manche dauern einige Stunden, bei anderen sind die Männer die ganze Nacht unterwegs. Eine davon findet in Dürrlauingen statt. Eine andere ist jedes Jahr in Haldenwang, im Wechsel mit Röfingen, als Ausgangspunkt. Heuer beginnt sie wieder in Haldenwang und wird ein weiteres Mal von Diakon Josef „Seppo“Mayer begleitet. Eine Wallfahrt, in der mit dem Laufen durch die Nacht ganz speziell die Männer abgeholt würden, bemerkt er.
Die ersten Teilnehmer haben sich inzwischen eingefunden, mit festem Schuhwerk, teilweise mit Rucksack. „Ich hab’ mein Handy dabei“, sagt 66-jährige Rentner Ulrich und lacht. „Wenn’s nicht mehr geht, muss mich meine Frau halt abholen.“
Eine der ersten Wallfahrten habe in dichtem Schneetreiben geendet, das habe wirklich geschlaucht. Dafür habe es auch solche gegeben, bei denen es „warm ohne Ende“war, wie der Maschinenbauingenieur, 45, hinzufügt, der soeben dazugekommen ist. „Man trifft Leute, die man vielleicht vom Sehen kennt, mit denen man aber noch nie gesprochen hat.“„Es hat schon etwas“, meint der 52 Jahre alte Teilnehmer aus Hafenhofen. „Man fährt herunter.“
Die Liturgie ist zu Ende. Inzwischen ist auch Diakon Mayer auf die mittlerweile ansehnliche, etwa 25 Mann starke Gruppe gestoßen. „Männer gehen mit dem Glauben ganz anders um als Frauen“, sagt er. Der Karfreitag sei ein guter Anlass, dem Leben auf den Grund zu gehen und zu sehen, was wichtig sei. Ein kurzes „Also Männer, viel Spaß“, kommt noch aus der Menge, die die Kirche verlassen hat, bevor die Gruppe den Kirchplatz verlässt – es ist eine weibliche Stimme.
Wohin die Wallfahrt führen wird, ist nicht so wichtig. Zunächst geht es die Sonnenstraße hoch, hinaus aus Haldenwang und vorbei an Feldern und Obstbäumen – zügig und schweigend. Nur der gleichmäßige Takt der Schritte ist zu hören, die Vögel sind inzwischen verstummt. Es liegt nahe, dazu hat vielleicht auch der steile Berg zuvor beigetragen, einen Vergleich zu ziehen: Zum Leidensweg Christi. Und es stellt sich die Frage: Wann habe ich eigentlich das letzte Mal eine ganze halbe Stunde lang nichts gesagt? An der ersten Wegkreuzung wird innegehalten. Die Kreuzung als ein Synonym für das Kreuz, das die Wallfahrer die nächsten Stunden begleiten wird. Es ist die erste, von sechs Stationen: Jesus wird zum Tode verurteilt. Diakon Mayer zieht Parallelen: „Wie reagiert jemand, der soeben sein Todesurteil entgegengenommen hat?“, fragt er.
Inzwischen ist es Nacht. Links sind die Lichter des Kernkraftwerks Gundremmingen zu sehen, rechter Hand blinken die der Windräder des Windparks. Bei der zweiten Station „Jesus fällt unter das Kreuz“zieht Mayer den nächsten Vergleich: Auch wenn man falle, gelte es, aufzustehen und seinen Weg weiter zu gehen. Dieser führt inzwischen an Dürrlauingen vorbei in Richtung Winterbach.
Für die meisten ist die Wallfahrt auch eine kurze Auszeit vom Alltag. Den „Stress, der immer mehr belastet“, erwähnt Stefan, der mit 34 Jahren der wohl jüngste Teilnehmer ist.
Mittlerweile wird geredet und erzählt. Belangloses, Geschichten aus dem Leben. „Reden zu dem oft die Zeit fehlt“, sagt Karlheinz, 51. Man sei „am Anschlag“gefordert, fügt er hinzu.
Vertreten sind übrigens so ziemder lich alle Berufsgruppen: Vom Handwerker über den Verkäufer und Bankangestellten bis hin zum Unternehmer. Es zählt nicht, was der Einzelne macht. Die meisten halten sich untereinander an ein freundliches „Du“. Das Alter der Teilnehmer ist auffallend: Die meisten liegen zwischen 50 und 60 Jahren – ein Alter, in dem man vieles erreicht hat und über vieles nachdenkt – unterfüttert durch ein erfahrungsreiches Leben.
Vorbei an Winterbach gelangt die Gruppe zur Kapelle St. Maria Magdalena in Eichenhofen: Zeit, für einen Augenblick vor der Kreuzigungsgruppe an der Südseite innezuhalten. Es stellt sich die Frage: Wie weh tut es Männern, wenn sie bloßgestellt werden?
Es geht weiter, vorbei am Saurüsselweiher und am Freyberger Hof. Nach und nach tauchen wieder Lichter auf. Links, entlang des Römerwegs, liegt Roßhaupten. „Send’r no alle dau?“fragt Diakon Josef Mayer schwäbisch-ermunternd in die Gruppe. Vorgekommen ist es noch nie, dass man jemanden verloren hat – bislang jedenfalls. Es geht zurück nach Haldenwang, zur letzten Station, der HerrgottsruhKapelle: Jesus stirbt am Kreuz. Erneut wird angehalten.
Inzwischen ist es kurz nach Mitternacht, als die Gruppe wieder vor der Pfarrkirche St. Maria Immaculata eintrifft. Vielleicht treffe man sich im nächsten Jahr ja wieder. Der Diakon spendet den Wallfahrern den Segen und wünscht ein schönes Osterfest, bevor sich die Gruppe auflöst. „Es ist immer schön, wenn man wieder zurückkommt“, bemerkt Reinhold aus Deubach, ebenfalls ein alter Wallfahrer, zum Schluss schmunzelnd.
Fallen, wieder aufstehen, seinen Weg weiterzugehen – das war am Gründonnerstag die Botschaft, die Diakon „Seppo“Mayer den Männern nahebrachte. Das Kreuz hat sie begleitet. Manch einen vielleicht auch noch am Karfreitag das eigene, sofern es sich nach dem über 15 Kilometer langen Fußmarsch schmerzend bemerkbar gemacht hat.