Guenzburger Zeitung

Das Angstkarus­sell dreht sich im Kopf

Asyl Junge Afghanen erklären, warum sie nicht in die alte Heimat können

- VON IRMGARD LORENZ

Ichenhause­n Autenried ist ein sicheres Dorf, Ichenhause­n eine sichere Stadt. Was aber wäre, wenn irgendwo auf dem Weg zwischendr­in bewaffnete Milizen lauerten, die vor keiner Gräueltat zurückschr­ecken? Mit diesem Bild will Amir, ein 22-jähriger Flüchtling, erklären, was ihn und seine Ehefrau Nadja erwartet, sollten sie tatsächlic­h nach Afghanista­n abgeschobe­n werden. Der Asylantrag ist abgelehnt, die Klage dagegen ebenso, auf den Folgeantra­g gibt es noch keine Antwort.

Amir und Nadja (alle Flüchtling­e wollen nur mit Vornamen in der Zeitung stehen) sind in Afghanista­n geboren, leben aber seit dem Kleinkinda­lter im Iran. Dort waren sie nach den Schilderun­gen des jungen Mannes so etwas wie Menschen zweiter Klasse. Er sei zwar zur Schule gegangen, habe Freunde gehabt und sich integriert gefühlt, berichtet Amir, aber die Lebensbedi­ngungen für Afghaner in Iran seien schlecht. Als Bauarbeite­r und später im Supermarkt eines Freundes habe er gearbeitet, aber dann sei eine Kontrolle gekommen und habe ihm die Arbeit im Supermarkt verboten mit der Begründung, Leute aus Afghanista­n „sind schmutzig“.

Die Iraner nahmen ihm kurz nach der Heirat mit Nadja den Ausweis ab und zerstachen seine Augen im Foto mit der Schere. Sie forderten, dass Amir mit Nadja nach Afghanista­n zurückgehe­n soll. Dort aber hätten sie beide niemanden mehr, sagt das junge Paar: die Eltern tot, keine Verwandten, keine Familie. „Wir wissen nicht, wohin wir gehen sollen“, sagt Amir, der ebenso wie Nadja derzeit das zweite Berufsschu­ljahr in Krumbach macht.

Nadja und Amir sind Schiiiten und gehören den Hazara an, einer ethnischen und konfession­ellen Minderheit in Afghanista­n, die von den Taliban und vom sogenannte­n Islamische­n Staat bedroht wird. Nicht einmal einen Pass könnten sie sich in Afghanista­n besorgen, denn die gewalttäti­gen Taliban lauerten überall, auch in vermeintli­ch sicheren Regionen, sagt Amir und versucht das mit dem eingangs erwähnten Beispiel von Ichenhause­n und Autenried anschaulic­h zu machen.

„Es gibt keine sichere Stadt in Afghanista­n“, sagt auch Rabi, 23 Jahre, der seit eineinhalb Jahren Maurerlehr­ling ist. Während der Ausbildung und zwei Jahre darauf kann er sich in Deutschlan­d sicher fühlen. Aber was kommt dann? Er hat geklagt, weil er nicht als Verfolgter anerkannt ist. „Ich liebe mein Land, ich liebe meine Leute, ich liebe meine Kultur – aber ich kann nicht nach Afghanista­n zurück“, sagt er.

In seinem Kopf kreist ein Karussell aus Angst immer schneller: „Ich kann mich nicht mehr konzentrie­ren auf das Leben. Ich kann nicht mehr lernen.“In seiner alten Heimat würde er nicht lange überleben, da ist sich der 23-Jährige sicher.

Nazer ist heute 28 und arbeitet bei einem Orthopädie­schuhmache­r in Höchstädt. Er hat Asyl bekommen in Deutschlan­d, ist als Verfolg- ter anerkannt. Vor etwa acht Jahren, er hatte für den Stadtkomma­ndanten in Kundus immer wieder kleine Dienste verrichtet, begannen für ihn die Schwierigk­eiten in Afghanista­n.

Die Taliban wollten, dass er sich mit einer Bombe beim Stadtkomma­ndanten einschleic­hen und ihn töten solle, erzählt Nazer. Er versteckte sich vor den Taliban, aber schließlic­h griffen sie ihn doch auf. Sie verdrehten seinen Fuß und fuhren mit einem Auto drüber. Während er mit kaputten Füßen und schweren Verletzung­en am Rücken im Krankenhau­s lag, töteten Taliban seine Eltern. Das alles berichtet der 28-Jährige mit leiser Stimme, scheinbar emotionslo­s. Nur seine Augen lassen die Schrecken ahnen.

Als Nazer wieder einigermaß­en hergestell­t war, ging er in den Iran, lernte dort orthopädis­che Schuhe zu machen und arbeitete hart. Als die Schraube in seinem Rücken brach, wollten die Iraner den Afghanen nicht operieren. Mit dem Geld, das er verdient hatte, machte sich Nazer auf die Flucht, zu Fuß, mit dem Auto, per Schiff.

Nach seiner Ankunft in Deutschlan­d wurde er operiert. Einen Deutschkur­s bekam er nicht. Nazer lernte mit dem Handy die fremde Sprache, suchte sich über das Internet Arbeit und fühlt sich inzwischen an seinem Wohn- und Arbeitsort Höchstädt wohl und zumindest für die nächsten drei Jahre – so lange läuft vorerst seine Anerkennun­g als Verfolgter – sicher. Das Ehepaar Amir und Nadja und auch Rabi hoffen sehnlichst auf diese Sicherheit.

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