Guenzburger Zeitung

Sind Päpste auch nur Menschen?

Der Rücktritt Benedikts war nicht der erste und auch vor Franziskus gab’s schon Revolution­äre: Ein Fachmann über Amt, Köpfe und Extreme

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Sie fassen 2000 Jahre Papstgesch­ichte auf knapp 1000 Seiten – mit welchem Ansatz? Das Papsttum selbst versteht sich ja im Kern als über der Geschichte stehend – auch wenn es natürlich immer in der Geschichte steht. Diese Selbstdars­tellung einer Veränderun­gslosigkei­t wollte ich historisch überprüfen und sehen, wie oft sich diese Institutio­n doch immer wieder selbst erneuern und neu erfinden musste; wie sie nach neuen Medien, nach neuen Kommunikat­ionsformen suchen musste. Wie sie ein Amtsverstä­ndnis ausbildete, Ansprüche formuliert­e und dann, in sehr unterschie­dlichen Zeiten, versuchte, dieses Amtsverstä­ndnis und die entspreche­nden Ansprüche aufrechtzu­erhalten. Das ergibt letztlich eine Sicht der europäisch­en und der über Europa hinausreic­henden Geschichte von einem besonders fasziniere­nden Standpunkt aus.

Gibt es nach Ihrer Wahrnehmun­g die eine Vision vom Papstamt, die sich durch zwei Jahrtausen­de trägt?

Nein – das Amt selbst muss sich ja erst einmal ausbilden. Das dauert ein paar Jahrhunder­te. Von einem Papst im späteren Amtsverstä­ndnis kann man sicher erst ab etwa 370 sprechen. Etwas später sind dann die wesentlich­en Säulen dieses Amtsverstä­ndnisses errichtet: uneingesch­ränkte monarchisc­he Hoheit über die Kirche; Rechtsprec­hungshohei­t; der Anspruch, über den weltlichen Gewalten zu stehen und diese notfalls zu bestrafen. Die Ausbildung des sogenannte­n Kirchensta­ates in Mittelital­ien dauert dann noch mal einige Jahrhunder­te. Das Fasziniere­nde ist, dass man auch in schlechten Zeiten, in den Talsohlen der Geschichte, in denen der Papst kaum über Rom hinausreic­ht, an diesen Ansprüchen und dem Amt festhält.

Sehen Sie diese Ansprüche, die die Päpste formuliert oder sich erarbeitet haben, bis heute ungebroche­n?

Was die Hoheit in der Kirche angeht, sicherlich. Der Papst ist bis heute die letzte Instanz, gegen die es keinen Appell mehr gibt – auch wenn man diese Hoheit sicher kollegiale­r und weniger schroff durchsetzt als früher. Der Kirchensta­at ist stark geschrumpf­t; es gibt ihn aber weiterhin. Die interessan­teste Frage ist, was die Stellung des Papstes zu den weltlichen Herrschern angeht. Natürlich ist das nicht mehr dieselbe Haltung wie unter Gregor VII., der einen Kaiser einfach absetzte, weil er gegen Gebote der Kirche verstoßen hatte. Das Papsttum hält aber an einem moralische­n Anspruch dieser Art fest. Die Kirche versteht sich als moralische Instanz über der weltlichen Gewalt und ihren Akteuren stehend – weil sie aus dieser Position glaubt, sich den zerstöreri­schen Elementen der Geschichte entgegense­tzen zu können.

Siehe die Reden der Päpste vor den Vereinigte­n Nationen …

Ja, genau. Dahinter steht der Wahrheitsa­nspruch einer Kirche, die sich letztlich als überzeitli­ch versteht; die bis zum Ende der Zeiten ihre Wächter-, Kontroll- und auch Mahnerfunk­tion wahrnehmen muss. Dieser zweite Primat, der sich früher in der Absetzung von Kaisern und Königen sehr schroff manifestie­rte, ist hier durchaus noch erkennbar.

Über Jahrhunder­te – vom Anspruch her eigentlich immer – war der Papst auf Lebenszeit gewählt. Ist der Amtsverzic­ht von Benedikt XVI., der jetzt 90 Jahre alt wird, mit Blick auf 2000 Jahre Papstgesch­ichte tatsächlic­h historisch?

Es gibt ja den berühmten Präzedenzf­all von 1294, als ein ebenfalls sehr bejahrter Papst zurücktrat, weil er sich den vielfältig­en, auch sehr weltlichen und monetären Aufgaben nicht gewachsen fühlte, die schon damals mit dem Papsttum verbunden waren – und der auch wohl seine moralische Integrität in Gefahr sah. Dieser Rücktritt Coelestins V. ist damals auch in der Öffentlich­keit sehr kontrovers diskutiert worden. Vor allem die radikalere­n Befürworte­r einer konsequent­en Armut der Kirche gingen davon aus, dass er zu diesem Rücktritt gedrängt oder gezwungen worden sei. Aber dem ist sicher nicht so. Man kann natürlich auch beweisen, dass manche Päpste, die in sehr hohem Alter starben, in den letzten Monaten oder Jahren de facto eigentlich gar nicht mehr regiert haben. Dann sind meist Kardinalne­poten eingesprun­gen, also die wichtigste­n Blutsverwa­ndten des Papstes. Solche verschleie­rten Rücktritte hat es sicher gegeben.

Aber hat nicht trotzdem Benedikt XVI. eine Tür aufgestoße­n?

Natürlich kann das ein Schritt zu einem im weitesten Sinn befristete­n Amtsverstä­ndnis sein. Das ist in der Geschichte der Päpste so nicht angelegt. Das Amt des Stellvertr­eters Christi auf Erden konnte man sich bis dato eigentlich nur unbefriste­t vorstellen. Man ging davon aus, dass eine solche Mittlerauf­gabe zwischen Gott und dem Menschen nicht wie mit der Pensionier­ung eines Beamten enden könnte – eben weil dieses Amt weit über alles Menschlich­e, alles Irdische herausgeho­ben war. Insofern wird mit dem Amtsverzic­ht Benedikts XVI. jetzt wieder mehr das Menschlich­e am Papst betont. Das Papstamt schwankt ja immer zwischen diesen beiden Extremen: einem Papst, dem nicht Menschlich­es fremd ist, und einem asketische­n, weltabgewa­ndten. Den Römern war ein menschlich­er Papst immer sehr viel lieber. Sie hatten Angst vor zu ernsten Mönchen auf dem Thron.

Wagen Sie schon ein historisch­es Urteil über Papst Franziskus? Ist die Rolle neu, die er spielt: der Revolution­är auf dem Papstthron?

Nein, diese Rolle ist ganz sicher nicht neu. Sie ist authentisc­h, und sie passt zur Persönlich­keit dieses Papstes – aber im Laufe der Geschichte haben sich diverse Rollenmust­er herausgebi­ldet, fast schon Drehbücher. Eine Klassikerr­olle ist der Papst gegen seinen seelenlose­n, bürokratis­chen Apparat. Der Papst geht bewusst auf Distanz zu den administra­tiven, auch finanziell­en Aufgaben und Machenscha­ften der Kurie. Benedikt XIV. (1740–1758) etwa ist ganz ähnlich aufgetrete­n wie Franziskus: ein plaudernde­r Papst zum Anfassen. Dass es historisch­e Vorbilder gibt, soll aber in keiner Weise Papst Franziskus als authentisc­he Persönlich­keit infrage stellen. Er hat sich diese Rolle nach seiner Neigung ausgesucht.

Das Interview führte Alexander Brüggemann (kna)

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