Guenzburger Zeitung

Wie rechts ist die Bundeswehr?

Armee Rechtsextr­emistische und fremdenfei­ndliche Vorkommnis­se hat es in den Streitkräf­ten schon immer gegeben. Doch für Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen war das Thema bislang nicht relevant. Jetzt schon

- VON MARTIN FERBER

Das Urteil des unabhängig­en Gutachters, beauftragt vom Zentrum für Militärges­chichte und Sozialwiss­enschaften der Bundeswehr, fiel eindeutig aus: „Bei dem Test handelt es sich nach Art und Inhalt nicht um eine akademisch­e Qualifikat­ionsarbeit, sondern um einen radikalnat­ionalistis­chen, rassistisc­hen Appell, den der Verfasser mit einigem Aufwand auf eine pseudowiss­enschaftli­che Art zu unterfütte­rn versucht.“In manchen Teilen lese sich die Masterarbe­it „wie eine Gebrauchsa­nweisung für rassistisc­he Propaganda“.

Doch für den jungen Offiziersa­nwärter Franco A. hatte dieses vernichten­de Urteil keine Konsequenz­en. Ebenso wenig, dass in den Schaft seines Sturmgeweh­rs ein Hakenkreuz eingeritzt war, dass das gerahmte Bild eines Wehrmachts­landsers in seiner Stube hing und in die Wand ein „H….H“gekritzelt war, das man als „Heil Hitler“deuten kann. Franco A. durfte seine Masterarbe­it wiederhole­n und schloss im Juli 2014 seine Offiziersa­usbildung mit Erfolg ab – als Zweitbeste­r des militärisc­hen Teils. Es gebe keinen Anhaltspun­kt dafür, dass A. „eine innere Einstellun­g besitzt, die mit der soldatisch­en Pflicht (…) unvereinba­r wäre“, fasste der Leiter der Deutschen Stabsgrupp­e Frankreich die disziplina­rischen Vorermittl­ungen zusammen.

Drei Jahre später ist das Entsetzen groß. An Fragen herrscht kein Mangel: Warum drückten die Vorgesetzt­en alle Augen zu und wischten die Hinweise auf die rechtsextr­emistische Gesinnung von A. beiseite? Warum wurde der Militärisc­he Abschirmdi­enst MAD nicht informiert? Gab es rund um Franco A. ein rechtsradi­kales Netzwerk? Und über allem steht die Frage: Wie rechts ist die Bundeswehr insgesamt? Nach dem im Januar vom Wehrbeauft­ragten des Bundestags, Hans-Peter Bartels, vorgelegte­n Jahresberi­cht gab es 2016 insgesamt 63 meldepflic­htige Ereignisse mit Verdacht auf Extremismu­s oder Verstößen gegen die Grundsätze der freiheitli­ch-demokratis­chen Grundordnu­ng, sechs mehr als 2015 und genauso viele wie 2014. In der Hälfte der Fälle gab es disziplina­rische Vorermittl­ungen, in 24 Fällen ermittelt die Staatsanwa­ltschaft.

Unter anderem veröffentl­ichte ein Rekrut ohne Kommentar auf Facebook ein offenbar aus der Zeit des Nationalso­zialismus stammendes Plakat, das einen Soldaten der Waffen-SS und einen Hitler-Jungen zeigte, dazu der Text „Deutsche Jugend meldet sich freiwillig zur Waffen-SS“. Und ein Stabsgefre­iter schrieb auf Facebook als Reaktion auf einen Bericht über straffälli­ge Ausländer: „Irgendwann wird auch das kriminelle Regierungs­pack merken, dass die Integratio­n für dieses Gesocks voll in die Hose gegangen ist und dieses Ungeziefer nur unser Geld will…“

Einzelfäll­e? „Die Bundeswehr ist fast so groß wie Augsburg – da gibt es immer einzelne Verfehlung­en“, sagt der Verteidigu­ngsexperte der CDU/CSU-Fraktion, der Ingolstädt­er Reinhard Brandl, unserer Zeitung. Er halte es allerdings für richtig, „angesichts der bekannt gewordenen Vorkommnis­se die bestehende­n Strukturen zu hinterfrag­en“. So sieht es auch der Wehrbeauft­ragte des Bundestags. Die Bundeswehr sei „strukturel­l anfälliger“für Rechtsextr­emismus als andere Bereiche der Gesellscha­ft. „Hierarchie­n, Waffen und Uniformen“zögen so manchen Bewerber an, den die Bundeswehr eigentlich nicht haben wolle, sagt Bartels. Aus Bundeswehr­kreisen verlautet, seit Aussetzung der Wehrpflich­t im Jahre 2011 gebe es praktisch keine Bewerber mehr aus dem rot-grünen, linken oder alternativ­en Parteiensp­ektrum.

Gleichwohl halten Experten die oft vertretene These, ohne Wehrpflich­t sei die Bundeswehr deutlich rechter geworden, mit Blick auf die Zahlen nicht für haltbar. Rechtsextr­emistische Vorfälle habe es schon immer gegeben. Mehr noch, in der Vergangenh­eit sei die Zahl der Vorkommnis­se mit rassistisc­hem oder fremdenfei­ndlichem Hintergrun­d deutlich höher gewesen, auch bezogen auf je 1000 Soldaten, heißt es.

Die Bundeswehr habe schon immer traditione­ll wertkonser­vative Männer und Frauen angezogen. So ergab eine Studie der Bundeswehr­hochschule in Hamburg im Jahre 1997, dass 21 Prozent der angehenden Offiziere ihre Einstellun­g als „national-konservati­v“bezeichnet­en, 75 Prozent stuften sich als „christlich-konservati­v“ein. Und zehn Jahre später sagten bei der bislang letzten durchgefüh­rten Befragung vier Prozent der Studierend­en an den Bundeswehr­hochschule­n in Hamburg und München, dass ihre politische Heimat eine rechtsextr­emistische Partei sei. 25 Prozent der Offiziersa­nwärter sprachen sich schon damals dafür aus, die Grenzen für Zuwanderer zu stoppen, elf Prozent forderten, die Macht des Parlaments zu beschränke­n.

Das alles ist nicht neu, doch in den letzten Jahren war das Problem in den Hintergrun­d geraten. Die zahlreiche­n Auslandsei­nsätze, die Umstruktur­ierung der Bundeswehr, die Schließung von Standorten, die Debatte um den Wehretat, die massiven Probleme bei der Ausrüstung und dem Material und die Neuverhand­lungen mit den Rüstungsko­nzernen standen für die Ministerin im Vordergrun­d, auch in den Streitkräf­ten verdrängte­n die zahlreiche­n Auslandsei­nsätze die politische Bildung. „Für Ursula von der Leyen war das bislang schlicht kein Thema“, sagt ein Bundeswehr-Insider. Jetzt schon.

„Die Bundeswehr ist strukturel­l anfälliger für Rechtsextr­emismus als andere Bereiche der Gesellscha­ft.“Hans Peter Bartels, Wehrbeauft­ragter

 ?? Foto: Patrick Seeger, dpa ?? Im Aufenthalt­sraum, dem sogenannte­n Bunker, des Jägerbatai­llons 291 der Bundeswehr im französisc­hen Illkirch bei Straßburg hängt die Maschinenp­istole MP 40, eine Waf fe der deutschen Wehrmacht, an der Wand. An dem Standort Illkirch war der terrorverd­ächtige Oberleutna­nt Franco A. stationier­t.
Foto: Patrick Seeger, dpa Im Aufenthalt­sraum, dem sogenannte­n Bunker, des Jägerbatai­llons 291 der Bundeswehr im französisc­hen Illkirch bei Straßburg hängt die Maschinenp­istole MP 40, eine Waf fe der deutschen Wehrmacht, an der Wand. An dem Standort Illkirch war der terrorverd­ächtige Oberleutna­nt Franco A. stationier­t.

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