Späte Gerechtigkeit
Justiz Ein Mann greift 2008 auf dem Brücklesfest in Ichenhausen drei Menschen an. Einem zertrümmert er das Gesicht. Warum so viel Zeit verging, bis ihm der Prozess gemacht wird
Diesen Deutschland-Besuch hatte sich Alex B. wohl anders vorgestellt: Als er im März mit seiner Familie am Münchner Flughafen landet, wird er vor Ort von der Polizei festgenommen und direkt in die Justizvollzugsanstalt (JVA) Stadelheim gebracht. Der Grund: Der 35-Jährige wird seit 2009 per Haftbefehl gesucht. Für eine Tat, die B. im Sommer 2008 auf dem Brücklesfest in Ichenhausen begangen hat. Weil er wenige Monate danach in sein Geburtsland Russland reist und nicht mehr zurückkommt, nach eigenen Angaben um die kranke Großmutter dort zu pflegen, kann erst jetzt der Prozess stattfinden.
In Handschellen wird der, zwischenzeitlich in die JVA Memmingen, überführte B. in den Gerichtssaal am Amtsgericht Günzburg gebracht. Er sei, so lässt sein Verteidiger Berthold Braunger wissen, völlig überrascht gewesen von der Verhaftung. An den Vorfall im Sommer 2008 habe er nicht mehr gedacht. Die Zeit in der Untersuchungshaft und die Trennung von seiner Frau den beiden Kindern hätten ihm jetzt schwer zugesetzt. Doch die Taten, die er begangen hat, wiegen ebenso schwer.
An jenem Samstag im August 2008 hat B. schon einiges getrunken, als er gegen ein Uhr früh mit einem anderen Gast aneinander gerät. Er schlägt dem jungen Mann nahe des Bierausschanks auf die Nase, „völlig ohne Grund“, wie dieser neun Jahre später vor Gericht aussagt. Ausländerfeindliche Sprüche, an die sich der Angeklagte B. erinnern will, weist der Zeuge von sich. Wenig später greift der Vater des jungen Mannes ins Geschehen ein.
An der Krumbacher Straße nahe des Hindenburgparks, wo das Fest jedes Jahr stattfindet, kommt es zur Schlägerei. B. geht auf den Vater los und schlägt ihm so hart ins Gesicht, dass die Knochen regelrecht zertrümmert werden. „Ich habe ein Krachen im Gesicht gespürt“, erzählt der heute 56-jährige Ichenhauser. Dann sei er blutüberströmt zu Boden gegangen. Er erleidet mehrere Gesichtsfrakturen, muss zwei Wochen im Krankenhaus bleiben. B. lässt in jener Nacht aber nicht von dem Verletzten ab, traktiert ihn und auch den Sohn weiter mit Schlägen und Tritten. Auch zwei Freunde des Angeklagten machen mit. Sie sind in separaten Verfahren bereits verurteilt worden. Einem Ordner, der den Streit schlichten will, verpasst B. einen Tritt in den Bauch. Der Mann ruft die Polizei, eine Streife greift die drei mit dem Auto geflohenen Täter später auf.
Der Angeklagte kann sich vor Gericht aber an viele Details nicht mehr erinnern. Die Polizei stellte damals einen Alkoholgehalt von fast zwei Promille fest. Dennoch lässt sein Verteidiger eine Erklärung abgeben, in der er die Taten im Wesentlichen zugibt. Und er will sich bei den Opfern entschuldigen. „Mir ist klar, dass ich einen Fehler gemacht habe. Ich würde es am liebsten rückgängig machen.“Warum er fast neun Jahre für diese Worte gebraucht hat, begründet B. nicht.
Den damals schwer verletzten 56-Jährigen, der als Nebenkläger auftritt, tröstet das wenig. Er berichtet von den Schmerzen, die er immer noch hat, von den psychischen Problemen nach dem Anund griff. 24 Metallplatten hatte er zeitweise im Schädel, um die Schäden zu reparieren. Sein Metallhandel-Geschäft wäre brachgelegen, hätte sein Sohn sich nicht um alles gekümmert. Alex B. hört sich alles regungslos an, wirkt den ganzen Prozess über teilnahmslos.
Umso emotionaler wird er nach der Urteilsverkündung. Richterin Franziska Braun verurteilt ihn zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten. Außerdem muss er Arbeitsstunden ableisten und eine Geldstrafe zahlen. Seine Familie fällt ihm nach Prozessende noch im Saal in die Arme. Ehefrau, Schwester und Mutter haben mitgefiebert, die Erleichterung ist groß. Schließlich hat B. bereits eine Anstellung als Kraftfahrer in Aussicht, die Kinder gehen in Deutschland zur Schule. Er will sich etwas aufbauen. Ausgestanden ist die Sache aber noch nicht. Der Geschädigte hat bereits angekündigt, Schmerzensgeld einklagen zu wollen. Schließlich, sagt dessen Anwalt Reinhard Dauer, müsse sein Mandant für immer mit den Folgen der Tat leben.