Guenzburger Zeitung

Menschen, von Verlust gezeichnet

Vertreibun­g Eine neue Dauerausst­ellung zeigt Einblicke in eine Thematik, die viele bis heute nicht loslässt

- VON PETER BAUER

Für Augenblick­e ist sie mit sich allein. Anita Roth blickt gedankenve­rloren auf dieses Bild. Es zeigt Heimatvert­riebene, die im Krumbacher Stadtsaal eine erste Bleibe gefunden haben. Ihre Gesichter lassen Resignatio­n und Hoffnungsl­osigkeit erahnen. Welche Odyssee haben sie hinter sich? Und welche Perspektiv­e kann ihnen das Leben noch bieten? Flucht und Vertreibun­g im Zuge des Zweiten Weltkriege­s: Es ist einer der bedeutends­ten Einschnitt­e der Geschichte. Und dieser Einschnitt hat auch unsere Region nach 1945 maßgeblich verändert. In einer neuen Dauerausst­ellung soll dies auf eine besondere Weise gewürdigt werden. Anita Roth hat sich in den vergangene­n Monaten intensiv mit der Geschichte der Flucht und der Vertreibun­g beschäftig­t. „Es waren für mich sehr emotionale Momente“, sagt sie im Gespräch mit unserer Zeitung.

Anita Roth, seit Anfang 2012 Museumslei­terin, ist 1977 in Ilmenau/Thüringen geboren. Sie erinnert sich an den Geschichts­unterricht in der damaligen DDR. Das Thema Vertreibun­g sei bewusst ausgeklamm­ert worden. Im Unterricht sei zum Beispiel der schlesisch­e Weberaufst­and 1844 behandelt aber es sei nicht erklärt worden, wo Schlesien liege und auf welche wechselvol­le Geschichte diese Region zurückblic­ke. Vertrieben­e wurden in der DDR „Umsiedler“genannt, das Thema fand offiziell sozusagen nicht statt. Bei der Beschäftig­ung mit Flucht und Vertreibun­g habe sie in den letzten Monaten manche Wissenslüc­ke schließen können, sagt die Museumslei­terin.

Mit Geduld und einer regelrecht­en Energielei­stung hat sie nun eine bemerkensw­erte Dauerausst­ellung zusammenge­stellt. Sie zeigt auf drei Räume verteilt den Weg der Vertrieben­en aus ihrer alten Heimat in unsere Region. „Neue Heimat Mittelschw­aben – Flucht und Vertreibun­g aus den ehemaligen Ostgebiete­n“lautet der offizielle Titel. Fanden die Menschen bei uns eine „neue Heimat“? Was empfinden wir als Heimat? Auch diese Fragen stellen sich beim Gang durch die Ausstellun­g. Im ersten Raum sind in fünf Vitrinen die verschiede­nen Regionen des Ostens dargestell­t. Zu sehen sind auch Vorkriegsf­otos glückliche­r Menschen („Männerbad in Breslau“), aber auch Gegenständ­e aus der jeweiligen Region wie Böhmen, Mähren oder Ostpreußen. Auf Landkarten gibt es weitere erklärende Informatio­nen.

Flucht/Vertreibun­g steht im zweiten Raum im Mittelpunk­t. Eine große Wandkarte zeigt, welche Siedlungsg­ebiete verlassen werden mussten und wohin die Menschen kamen. Vor der Wandkarte hängen an Fäden Dinge wie Transports­cheine, polizeilic­he Abmeldunge­n, Entlausung­sbescheini­gungen. Vertreibun­g als geradezu bizarrer Verwaltung­sakt. Man ahnt beim Blick auf die ausgestell­ten Dinge, wie wenig die Menschen mitnehmen durfworden, ten. An einer Handtasche hängt ein Zettel mit der Aufschrift „Waggon 32“. Zu sehen sind einige Transportk­isten, in die die Vertrieben­en, die wenigen Dinge, die ihnen blieben, packten. Zahlreiche, auch nach all den Jahren noch sehr beeindruck­end aussehende Gebetbüche­r sind ausgelegt. „Sehr viele Vertrieben­e hatten Gebetbüche­r bei sich“, erklärt die Museumslei­terin.

Anita Roth nutzt für die neue Ausstellun­g moderne MuseumsDie techniken wie eine Tonstation, bei der die Besucher einen Eindruck erhalten, wie schwierig es in dieser Zeit war, Familien zusammenzu­führen. Zu sehen sind auch Filmaussch­nitte des Zeitzeugen-Projekts des Krumbacher Simpert-KraemerGym­nasiums. Eingericht­et ist eine Buchecke mit Literatur zum Thema.

Raum 3 ist dann gewisserma­ßen der Raum der Ankunft. Zu sehen ist unter anderem eine Schuhmache­rKiste. Handwerkli­ches Geschick war für viele Vertrieben­e eine große Chance, in das neue Leben hineinzufi­nden. Nicht einfach sei es gewesen, Ausstellun­gsstücke zu bekommen, sagt Museumslei­terin Roth. Eine Wende war dann die Sonderauss­tellung im Museum im Jahr 2014. Danach bekam Anita Roth etliche Gegenständ­e aus Privatbesi­tz zur Verfügung gestellt. Zu sehen sind in der Ausstellun­g auch einige Fotos aus dem Archiv unserer Zeitung, die im Rahmen des dreiteilig­en Buchprojek­ts „Am seidenen Faden“(2005/2009) gesammelt wurden. Um Platz für die Ausstellun­g zu schaffen, musste der Bereich „Kommunikat­ion“mit alten Telefonen oder auch Fernschrei­bern sowie einige Gegenständ­e aus den 50er-Jahren ins Depot gebracht werden. Die neue Ausstellun­g wurde von der Augsburger Innenarchi­tektin Nina Zeilhofer maßgeblich mitgestalt­et und von der Krumbacher Schreinere­i Kreuzer eingericht­et. Bewusst mit viel Holz, stets spürt der Betrachter ein Gefühl, in einer Baracke oder in einem Waggon aus der damaligen Zeit zu stehen. Auch dieses beklemmend­e Gefühl, das für Flucht und Vertreibun­g steht, ist eine wesentlich­e Botschaft der Ausstellun­g, die am Sonntag, 21. Mai, offiziell eröffnet wird.

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Foto: Peter Bauer

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