Menschen, von Verlust gezeichnet
Vertreibung Eine neue Dauerausstellung zeigt Einblicke in eine Thematik, die viele bis heute nicht loslässt
Für Augenblicke ist sie mit sich allein. Anita Roth blickt gedankenverloren auf dieses Bild. Es zeigt Heimatvertriebene, die im Krumbacher Stadtsaal eine erste Bleibe gefunden haben. Ihre Gesichter lassen Resignation und Hoffnungslosigkeit erahnen. Welche Odyssee haben sie hinter sich? Und welche Perspektive kann ihnen das Leben noch bieten? Flucht und Vertreibung im Zuge des Zweiten Weltkrieges: Es ist einer der bedeutendsten Einschnitte der Geschichte. Und dieser Einschnitt hat auch unsere Region nach 1945 maßgeblich verändert. In einer neuen Dauerausstellung soll dies auf eine besondere Weise gewürdigt werden. Anita Roth hat sich in den vergangenen Monaten intensiv mit der Geschichte der Flucht und der Vertreibung beschäftigt. „Es waren für mich sehr emotionale Momente“, sagt sie im Gespräch mit unserer Zeitung.
Anita Roth, seit Anfang 2012 Museumsleiterin, ist 1977 in Ilmenau/Thüringen geboren. Sie erinnert sich an den Geschichtsunterricht in der damaligen DDR. Das Thema Vertreibung sei bewusst ausgeklammert worden. Im Unterricht sei zum Beispiel der schlesische Weberaufstand 1844 behandelt aber es sei nicht erklärt worden, wo Schlesien liege und auf welche wechselvolle Geschichte diese Region zurückblicke. Vertriebene wurden in der DDR „Umsiedler“genannt, das Thema fand offiziell sozusagen nicht statt. Bei der Beschäftigung mit Flucht und Vertreibung habe sie in den letzten Monaten manche Wissenslücke schließen können, sagt die Museumsleiterin.
Mit Geduld und einer regelrechten Energieleistung hat sie nun eine bemerkenswerte Dauerausstellung zusammengestellt. Sie zeigt auf drei Räume verteilt den Weg der Vertriebenen aus ihrer alten Heimat in unsere Region. „Neue Heimat Mittelschwaben – Flucht und Vertreibung aus den ehemaligen Ostgebieten“lautet der offizielle Titel. Fanden die Menschen bei uns eine „neue Heimat“? Was empfinden wir als Heimat? Auch diese Fragen stellen sich beim Gang durch die Ausstellung. Im ersten Raum sind in fünf Vitrinen die verschiedenen Regionen des Ostens dargestellt. Zu sehen sind auch Vorkriegsfotos glücklicher Menschen („Männerbad in Breslau“), aber auch Gegenstände aus der jeweiligen Region wie Böhmen, Mähren oder Ostpreußen. Auf Landkarten gibt es weitere erklärende Informationen.
Flucht/Vertreibung steht im zweiten Raum im Mittelpunkt. Eine große Wandkarte zeigt, welche Siedlungsgebiete verlassen werden mussten und wohin die Menschen kamen. Vor der Wandkarte hängen an Fäden Dinge wie Transportscheine, polizeiliche Abmeldungen, Entlausungsbescheinigungen. Vertreibung als geradezu bizarrer Verwaltungsakt. Man ahnt beim Blick auf die ausgestellten Dinge, wie wenig die Menschen mitnehmen durfworden, ten. An einer Handtasche hängt ein Zettel mit der Aufschrift „Waggon 32“. Zu sehen sind einige Transportkisten, in die die Vertriebenen, die wenigen Dinge, die ihnen blieben, packten. Zahlreiche, auch nach all den Jahren noch sehr beeindruckend aussehende Gebetbücher sind ausgelegt. „Sehr viele Vertriebene hatten Gebetbücher bei sich“, erklärt die Museumsleiterin.
Anita Roth nutzt für die neue Ausstellung moderne MuseumsDie techniken wie eine Tonstation, bei der die Besucher einen Eindruck erhalten, wie schwierig es in dieser Zeit war, Familien zusammenzuführen. Zu sehen sind auch Filmausschnitte des Zeitzeugen-Projekts des Krumbacher Simpert-KraemerGymnasiums. Eingerichtet ist eine Buchecke mit Literatur zum Thema.
Raum 3 ist dann gewissermaßen der Raum der Ankunft. Zu sehen ist unter anderem eine SchuhmacherKiste. Handwerkliches Geschick war für viele Vertriebene eine große Chance, in das neue Leben hineinzufinden. Nicht einfach sei es gewesen, Ausstellungsstücke zu bekommen, sagt Museumsleiterin Roth. Eine Wende war dann die Sonderausstellung im Museum im Jahr 2014. Danach bekam Anita Roth etliche Gegenstände aus Privatbesitz zur Verfügung gestellt. Zu sehen sind in der Ausstellung auch einige Fotos aus dem Archiv unserer Zeitung, die im Rahmen des dreiteiligen Buchprojekts „Am seidenen Faden“(2005/2009) gesammelt wurden. Um Platz für die Ausstellung zu schaffen, musste der Bereich „Kommunikation“mit alten Telefonen oder auch Fernschreibern sowie einige Gegenstände aus den 50er-Jahren ins Depot gebracht werden. Die neue Ausstellung wurde von der Augsburger Innenarchitektin Nina Zeilhofer maßgeblich mitgestaltet und von der Krumbacher Schreinerei Kreuzer eingerichtet. Bewusst mit viel Holz, stets spürt der Betrachter ein Gefühl, in einer Baracke oder in einem Waggon aus der damaligen Zeit zu stehen. Auch dieses beklemmende Gefühl, das für Flucht und Vertreibung steht, ist eine wesentliche Botschaft der Ausstellung, die am Sonntag, 21. Mai, offiziell eröffnet wird.