Vorsicht, wenn es riecht!
Warum Chlorgeruch im Schwimmbad kein Zeichen für besonders reines Wasser ist
Wer sich leicht ekelt, bitte nicht weiterlesen. Das Thema heißt nämlich: Urin im Badewasser. Wenn es im Schwimmbad stark nach Chlor riecht, heißt das nicht, dass es dort besonders sauber ist. Die Chemikalien, die im Badewasser Keime abtöten, sind geruchlos. Erst in Verbindung mit einer anderen Substanz bekommen sie ihr typisches Odeur: Harnstoff. Chlor dient dazu, Krankheitserreger sicher und schnell abzutöten. Wie viel Chlor ins Wasser darf oder muss, ist genau geregelt.
Die richtige Dosis sei abhängig von einer ganzen Reihe von Faktoren, erklärt Jörg Rosbach von den Frankfurter Bäder-Betrieben. Wie ist die Wasserqualität? Wie viele Schwimmer sind im Wasser? Wie leistungsfähig ist die Aufbereitungsanlage? Scheint die Sonne? Denn Chlor baut sich unter UV-Strahlung leichter ab. Das Problem mit Chlor ist, dass es sehr reaktiv ist: Es geht schnell Verbindungen mit anderen Stoffen ein und – schwupp! – werden aus dem geruchlosen „freien“Chlor und dem geruchlosen Harnstoff „gebundenes“Chlor: zum Beispiel Trichloramin, das stark riecht.
Was wir vermeintlich als Chlorgeruch aus Hallenbädern kennen, ist also nicht das Chlor, sondern die Verbindung, die aus der Reaktion von Chlor plus Harnstoff hervorgeht, wie Alexander Kämpfe erklärt, Experte für Schwimm- und Badebeckenwasser beim Umweltbundesamt (UBA). Wenn es stark nach Chlor riecht, heißt das, dass viel Harnstoff ins Wasser kam.
Wie kommt so viel Harnstoff ins Badewasser? Ein Teil ist tatsächlich Urin aus der Blase: von Pipi machenden Kleinkindern, inkontinenten Älteren oder Schwimmern, die zu faul sind, zur Toilette zu gehen. Ein paar Tropfen verliere auch jede gesunde Blase beim Schwimmen, erklärt Rosbach. Leistungssportler pinkeln übrigens beim Training oder Wettkampf gern ins Becken, wie der Schwimmer Michael Phelps mehrfach in Interviews zugab.
Eine nicht zu vernachlässigende Menge Harnstoff kommt aber nicht aus der Blase, sondern von der Körperoberfläche. Harnstoff ist ein natürlicher Bestandteil der Haut. Er sorgt dafür, dass die Haut feucht und geschmeidig bleibt. Beim Schwimmen wird der Harnstoff von der Haut abgewaschen. Im Verhältnis zum Wasserlassen ist das zwar wenig, aber die Masse der Schwimmer kommt zusammen auf hohe Werte. „Einmal ins Becken pinkeln trägt etwa sechs Gramm Harnstoff ins Becken ein“, erklärt Kämpfe. „Das entspricht der Menge von fast 40 Badenden, die den Harnstoff nur über die Haut eintragen.“
Wie reduziert man die Belastung? Die wichtigste Regel – außer zur Toilette zu gehen – lautet: vor dem Schwimmen duschen. Die meisten Menschen duschen danach, vermeintlich um das Chlor von der Haut zu waschen. Dabei ist es vorher viel wichtiger. „Gründliches Duschen entfernt 75 bis 97 Prozent des Harnstoffs“, informiert das Umweltbundesamt in einem Infoblatt für Schwimmbäder.
Solange sich nicht alle Badegäste vor dem Betreten der Schwimmhalle gründlich einseifen und immer wieder jemand ins Becken pinkelt, müssen die Badbetreiber das wieder rausholen, was die Badenden eintragen. „Je mehr Leute da sind, desto größer ist die Biofracht“, erklärt Rosbach. Seine Kollegen müssen viele Parameter im Blick haben. Pro Badegast müssen zum Beispiel mindestens 30 Liter Frischwasser zugeführt werden. Auch Chlor wird ständig neu zugegeben, weil es durch das Reagieren mit anderen Stoffen aufgezehrt wird. Dreimal täglich müssen die Bäder-Betriebe die Konzentration von freiem und gebundenem Chlor messen und in ein Betriebsbuch eintragen.
Forscher aus Kanada haben in einer 2017 publizierten Studie ausgerechnet, dass in einem 400000-Liter-Becken 26,5 Liter Urin schwimmen. Das wäre ein halber Eimer in einem zwei Meter tiefen Pool von 10 mal 20 Metern. Nachgewiesen wurde das mithilfe eines Süßstoffs, der in vielen Lebensmitteln steckt und nahezu vollständig wieder ausgeschieden wird. Das Team um Xing-Fang Li von der University of Alberta nahm damals Wasserproben in mehr als 30 kanadischen Bädern, maß den Süßstoffgehalt und errechnete daraus die Urinmenge im Wasser.
Ist die stinkende Chlor-HarnKombi nur eklig – oder auch schädlich? „Das kommt auf die Konzentration an und darauf, wie empfindlich man ist“, sagt Hermann Josef Kahl, Sprecher des Bundesverbands der Kinder- und Jugendärzte. Trichloramin könne Atembeschwerden hervorrufen – das kann für Asthmatiker gefährlich sein. Es reize die Augen sowie die Schleimhäute in Nase und Rachen. Dem Babyschwimmen steht Kahl dagegen skeptisch gegenüber. Eltern von Säuglingen müssten abwägen: „Nehme ich Trichloramin in Kauf oder übe ich lieber Schwimmen in der Badewanne?“Auf keinen Fall, betont der Kinderarzt, dürfe die wachsende Zahl von Berichten über Trichloramin dazu führen, dass Schwimmbäder diskreditiert werden. Angesichts der steigenden Zahl Ertrinkender sei es ganz wichtig, dass Kinder schwimmen lernen.
Auch Bäder-Techniker Rosbach würde überall baden: Wasseraufbereitungsanlagen seien heute sehr leistungsfähig. Ob ein Bad seinen Reinigungspflichten nachkomme, könne der Badegast selbst erkennen: „Wenn Sie das Schwimmbad schon im Eingang riechen, dann ist was faul.“Sandra Trauner, dpa