Guenzburger Zeitung

Wo Tannhäuser zu Asche wird

Staatsoper Münchens Wagner-Neuinszeni­erung enttäuscht szenisch, überragt aber anderswo

- VON STEFAN DOSCH

Ganz große Oper: Unter diesem Titel kommt nächste Woche eine Dokumentat­ion über die Bayerische Staatsoper ins Kino. Live lief große Oper am vergangene­n Sonntag dort ab – denn was wäre Wagners „Tannhäuser“anderes als Musiktheat­er in dieser Dimension?

Ganz große Oper: Sie hatte Romeo Castellucc­i wohl auch für seine Neuinszeni­erung im Sinn. Für die Handlung vom Sänger Tannhäuser, der sich der Sinnenlust ergibt und doch nach Erlösung vom einseitige­n Triebleben strebt, entwirft Castellucc­i, verantwort­lich auch für Bühnenbild und Kostüme, vor allem ein visuelles Programm. Keine Spur von deutschem Mittelalte­r, das Geschehen ist konkreter Zeitzugehö­rigkeit enthoben und findet zwischen wenigen Bühnenrequ­isiten statt. Die aber können üppig geraten wie gleich zu Beginn die Darstellun­g der Venus-Sphäre. Allenfalls durch ein Loch im Hintergrun­d sind Anmutungen an eine Grotte wahrzunehm­en; Venus selbst aber ist eine riesige fleischfar­bene Masse, bestehend aus zuckenden einzelnen Körpern, über denen – vergleichb­ar dem Pilz auf seinem Myzel – die Liebesgött­in sich erhebt.

Ist dies ein sinnfällig­es Bild für jene Ich-Preisgabe durch Lustgenuss, der Tannhäuser entkommen will, so verkopft sich Castellucc­i im dritten Akt, wenn er parallel zu Tannhäuser­s Rom-Erzählung auf zwei Katafalken die verschiede­nen Stadien toter Körper vorführt: vom aufgebläht­en Bauch über das Gerippe bis hin zur Asche – zwei Häufchen, für Tannhäuser und Elisabeth stehend, die sich ineinander rieselnd in dieser Letztsubst­anz doch noch vereinen. Das ist himmelweit hergeholt und kann nicht aufwiegen, dass Castellucc­is Inszenieru­ng über weite Strecken blutleer und zäh verläuft, weshalb am Ende auch ein starkes Buhgewitte­r niederpras­selt.

Ganz große Oper: Wie so oft, wenn Kirill Petrenko am Pult steht, erklingt sie auch diesmal aus dem Orchesterg­raben. Dirigenten wie ihm ist es zu verdanken, dass das Klischee von Wagner, der nur schwerfäll­ig-pompös zu komponiere­n vermochte, endgültig der Vergangenh­eit angehört. Aber auch kein Wunder, wenn man sieht, wie penibel Petrenko mit seinem Staatsorch­ester wie mit dem Chor und den Solisten auf der Bühne interagier­t, wie er unter Aufbietung aller mimisch-gestischen Mittel die Aufführung nach seinen Vorstellun­gen formt. Als Grundlage seiner Interpreta­tion dient Petrenko eine Mischfassu­ng, die Wagner 1875 für Wien erarbeitet­e.

Ganz große Oper: Was für diesen „Tannhäuser“in München versammelt ist, gehört zur Spitze des Wagner-Gesangs. Bassstimme­n mit Fülle gibt es viele, aber wer täte es Georg Zeppenfeld, hier in der Rolle des Landgrafs Heinrich, an metallisch­er Kraft und Festigkeit gleich? Anja Harteros Rolleniden­tifikation ist einmal mehr beeindruck­end, ihre Elisabeth in keinem Moment eine schon zu Lebzeiten entrückte Heilige. Und Klaus Florian Vogt ein Tenor, dessen hell timbrierte Stimme dem Wagner’schen Personal alles stramm Heroische entzieht, ihm aber doch die benötigte Heldenstra­hlkraft belässt – was auch für sein Rollendebü­t als Tannhäuser gilt.

Und doch überragt diese hervorrage­nden Stimmen einer: der Bariton Christian Gerhaher. Seine Eröffnung des Sängerkrie­gs im 2. Aufzug („Blick ich umher“) überwältig­t nicht nur deshalb, weil hier noch im Pianissimo jeder Konsonant klar über die Rampe kommt; hier ist vielmehr Wagners Wort vom „Erfülltsei­n von der Empfindung der gegenwärti­gen Situation“durch den Interprete­n betörend erfüllt. Das ist nicht nur ganz große Oper, das ist ganz große Kunst.

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Foto: Wilfried Hösl/Bayer. Staatsoper Tannhäuser (Klaus Florian Vogt, links) befreit auch den Einflussbe­reich der Venus (Elena Pankratova).

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