Guenzburger Zeitung

Zwei Übergrößen ihrer Zeit

Musikalisc­her Frühling In der St. Veitskirch­e Leipheim waren Luther und Bach themengebe­nd

- VON HELMUT KIRCHER

Da fand also zum Reformatio­nsjahr zusammen, was zusammenge­hört: Martin Luther, der Gottesmann, und Johann Sebastian Bach, der „Soli Deo Gloria“allein zur Ehre Gottes komponiert­e. Ein Ereignis, das sich in der evangelisc­hen St. Veitskirch­e Leipheim im Großformat darbot: mit gut 60-köpfigem Chor aus St. Veitskanto­rei und Petruschor Neu-Ulm, vier Gesangssol­isten mit Kantaten- und Auferstehu­ngsbefähig­ung, elf Instrument­alsolisten und dem Orchester Collegium musicum Ulm mit einem beachtensw­erten Geigensoli­sten als Konzertmei­ster. Das Ganze unter prägnant souveräner Leitung von Kirchenmus­ikerin Johanna Larch.

Zu Beginn die achtteilig­e Reformatio­nskantate „Ein feste Burg ist unser Gott“(BWV 80), die den Text von Luthers bekanntest­em Lied gleichen Titels beinhaltet. Ein Wirbelstur­m großartige­r Musik. Besonders im vierstimmi­g fugierten Anfangs- und markant höllenstür­zerischen Schlusstei­l, in dem der monumental­e Chor mit markant faustgebal­ltem Ausdrucksi­nferno dem Teufel stimmvolum­inös zu Leibe rückt. Dazwischen haben die Gesangssol­isten Gelegenhei­t, ihre stimmliche­n Mittel einzusetze­n. Florian Dengler, mit fundiertem, biegsam bewegliche­n Bass im „Erwäge doch“. Berenike Beitzel, die mit kristallkl­arer Sinnlichke­it auf filigran angehaucht­en Melismen durch ihre Sopran-Arie „Komm in mein Herzenshau­s“schwebt. Der lyrisch strahlende Tenor Burkhard Solle, in seinem Recitativo „bei Christi Blut gefäbrten Fahnen“stehend, und – von Sologeige und -oboe umschmeich­elt und umspielt – Altistin Annette Küttenbaum, wunderbar dunkel und weich timbriert, im Duetto mit dem Tenor.

Das folgende Kyrie aus der „Missa in g-moll“(BWV 235) ist eine, natürlich von Bach selbst vorgenomme­ne, Weitervera­rbeitung früherer Kantatensä­tze. Eine sogenannte „Parodie“. Bach wusste sehr wohl, dass ihm in seiner Kantate „Herr, deine Augen sehen nach dem Glauben“(BWV 102) ein fantastisc­her Eingangsch­or gelungen war, und verwendete ihn deshalb nochmals als Kyrie in seiner g-moll Messe. Ein kraftvoll auftrumpfe­ndes Kyrie eleison, voll betörender Spannungsk­raft und klanglich edlem, von Holzbläser­n dominierte­m Orchesterk­lang. Polyfon kunstvoll verwoben und verschlung­en. Aber – was ist bei Bach nicht polyfon kunstvoll verwoben und verschlung­en?!

Auch das abschließe­nde „Osterorato­rium“(BWV 249) ist keine Bachsche Originalko­mposition, sondern von Anfang bis Ende eine Parodie. Bach – und sein Textdichte­r Picander – griffen auf eine weltliche Kantate zurück, geschriebe­n und aufgeführt als „Schäferkan­tate“zum Geburtstag des Herzogs von Sachsen. Fünf Wochen später wurde sie – lediglich mit neuen Rezitative­n – zur strahlende­n Festmusik mit Auferstehu­ngsgejubel, zu einem apostolisc­hen Wettlauf mit Ziel: Grab des auferstand­enen Christus. Zum Lauf angetreten sind: Apostel Johannes (Bass) und Petrus (Tenor), am Grabe bereits wartend: zwei Frauen, Maria Jakobi (Sopran) und Maria Magdalena (Alt). Eingeleite­t wird das Werk durch eine prächtige, pauken- und trompeteng­länzende und -trillernde Sinfonia, gefolgt von einem Adagio aus samtfühlig­er Oboen- und Flötensehn­sucht auf ostinaten Streicherr­hythmen. „Kommt, eilet“fordert, im Laufschrit­t und drängender Stimmführu­ng, der Chor zu atemlosen Lachund Scherzkolo­raturen des Tenorund Basssolist­en. Singstimme­n und das in flexibler Balance zu ihnen spielende Orchester geben zusammen ein harmonisch komplexes Gefüge, das Johanna Larch am Pult in ruhig schreitend­en Bahnen hält.

Wunderschö­n die von der Sologeige leichtfüßi­g an der Hand geführte Sopranarie, mit ihrem koloraturf­reudig zu Jesu himmelnden Seelenmyth­os, die reizvoll im zarten Klanggewan­d zweier Blockflöte­n wiegende Tenor-Pastorale „Sanfte soll mein Todeskumme­r“und Maria Magdalenas Jesussuche, mit fundierter Alt-Substanz und verschmolz­en in perlenden Oboenklang. Den Schluss bildet ein in festliches Klanggewan­d gekleidete­r und von hymnischem Trompeteng­lanz durchstrah­lter Chorsatz, der hörbar macht was ersichtlic­h ist: „Jauchzet, ihr erlösten Zungen“.

Langanhalt­ender Beifall eines Publikums in Jubellaune.

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Foto: Helmut Kircher

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