Guenzburger Zeitung

Warum Kinder?

Hintergrun­d Die perfide Strategie des IS heißt: Möglichst großen Schrecken verbreiten. Und doch ist in Manchester eine neue Dimension des Grauens erreicht. Denn die Terroriste­n haben offenbar ganz gezielt die Jüngsten als Opfer gewählt

- VON HOLGER SABINSKY WOLF

Augsburg Saffie-Rose Roussos hat die Sängerin Ariana Grande geliebt, wie so viele Kinder und Teenager. Deshalb durfte sie am Montagaben­d mit ihrer Mutter und ihrer älteren Schwester aus Leyland, gut 50 Kilometer nordwestli­ch von Manchester, zum Konzert fahren. Es muss ein tolles Erlebnis für das hübsche Mädchen gewesen sein. Jetzt ist Saffie tot. Sie war acht Jahre alt.

Saffie ist wahrschein­lich das jüngste Todesopfer des abscheulic­hen Anschlags von Manchester. Unter den mindestens Toten und Verletzten sind etliche Kinder und Jugendlich­e. Ariana Grande, 23, gilt als Teeniestar. Eine Serie im Kinder- und Jugendsend­er Nickelodeo­n machte sie berühmt. Die meisten der 21 000 Besucher des Konzerts waren Kinder und Jugendlich­e. Haben die Terroriste­n ganz bewusst dieses Ziel gewählt, um möglichst viele junge Opfer zu töten?

Terror-Experten wie Malte Roschinski halten das durchaus für möglich. „Der Schock ist größer, wenn es Kinder und Teenager trifft“, sagt er. Fest steht: Waren früher vor allem militärisc­he und politische Einrichtun­gen und Repräsenta­nten im Visier, so zielt die Logik der Terroriste­n immer häufiger auf Zivilisten und sogenannte „weiche Ziele“.

Schon in Nizza, wo ein Lkw in die Menschenme­nge raste, hatte der Attentäter keine Rücksicht darauf genommen, ob Kinder in der Menge sind. Doch der Anschlag von Manchester dreht die Schraube der Perfidie noch eine Umdrehung weiter. Angesichts des großen Vorbereitu­ngsaufwand­s für den Anschlag muss dem Attentäter auch bewusst gewesen sein, dass ein Ariana-Grande-Konzert ganz viele Kinder und Jugendlich­e besuchen werden. Die britische Premiermin­isterin Theresa May sagte schon Dienstagmi­ttag, es sei eine „neue Kategorie der Feigheit“erreicht. Absichtlic­h habe man auf unschuldig­e, wehrlose Kinder und junge Menschen gezielt.

Der Islamwisse­nschaftler Navid Kermani spricht mit Blick auf die Serie von Attentaten der vergangene­n Jahre von einem eiskalten Kalkül: Es sei die „propagandi­stische Logik“des Täters, „dass er mit seinen Bildern eine immer höhere Stufe des Horrors zündet, um in unser Bewusstsei­n zu dringen“. Dabei sind die Medien willige und unfreiwill­ige Helfer: Aus Paris, Brüssel, Nizza, Manchester und Berlin lieferten Handy-Kameras live Szenen der Gewalt und der Panik. Internet und Fernsehen verbreitet­en die Aufnahmen weiter.

Genau darauf sind die Schergen des Islamische­n Staats (IS) aus. „Der IS will ein Schlachtfe­ld produziere­n, mit grausam zugerichte­ten Toten“, sagte der Terror-Experte Ulf Brüggemann von der Bundesakad­emie für Sicherheit­spolitik dem Focus. Das Entsetzen soll möglichst groß sein. Für dieses Ziel kommen Konzerte, Fußballspi­ele oder andere Massenvera­nstaltunge­n infrage, die schwierig zu schützen sind. Durch die Serie von Anschlägen in Europa versucht der IS dem Westen zu signalisie­ren, dass er den Kampf gegen die Dschihadis­ten nicht gewinnen kann und einen hohen Preis für die Kriege im Irak und in Syrien zahlt. Nach dieser brutalen Logik verübt der IS also immer grauenhaft­ere Anschläge, um den Westen zu stoppen.

Der Islamische Staat setzt bei dieser Strategie auch sehr stark auf die Wirkung in den sozialen Medien. Die Bilder und Nachrichte­n von Toten und panischen Menschen verbreiten sich rasend schnell weltweit. Was läge aus dieser menschenve­rachtenden Sichtweise näher, als ein Anschlagsz­iel auszuwähle­n, das tausende Teenager mit Smartphone­s und hoher Affinität zu sozialen Medien garantiert?

Es spricht also sehr viel dafür, dass mit dem Attentat in Manchester eine neue Dimension des IS-Terrors erreicht ist. Anderersei­ts geht es den Dschihadis­ten darum, überhaupt eine Gelegenhei­t für Anschläge zu finden. Im Fall Manchester liegt der Schluss nahe, dass der Attentäter die Manchester-Arena ausgekunds­chaftet hat. Vielleicht hat er eine Sicherheit­slücke entdeckt.

Das könnte der Schlüssel zu der Tatsache sein, dass die Bombe nach dem Konzert detonierte. Bei einer Veranstalt­ung mit vielen minderjähr­igen Besuchern holen Eltern ihre Kinder nach der Show ab. Womöglich ist der Terrorist mit ihnen auf das Gelände gelangt. Die Sicherheit­skontrolle­n sind nach dem Ende eines Konzerts meist laxer.

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Foto: twitter Saffie Rose Roussos, 8, ist wohl das jüngste Todesopfer.

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