Guenzburger Zeitung

Tausende minderjähr­ige Flüchtling­e werden vermisst

Asylbewerb­er Immer mehr Jugendlich­e verschwind­en spurlos. Experten befürchten, dass sie in kriminelle­n Kreisen landen

- VON CHRISTIAN GALL

Mit den in Deutschlan­d vermissten minderjähr­igen Flüchtling­en könnte eine Kleinstadt bevölkert werden. Mehr als 7000 unbegleite­te Asylbewerb­er unter 18 Jahren sind derzeit verschwund­en. Was mit ihnen passiert ist, weiß niemand. Am Donnerstag, dem internatio­nalen „Tag der vermissten Kinder“, wollen Verbände den Blick auf solche Fälle lenken. Gerade Flüchtling­e zählen häufig zu den Vermissten. Drei von vier Minderjähr­igen, deren Aufenthalt­sort nicht bekannt ist, sind Asylbewerb­er.

Während Anfang 2016 noch von rund 4700 minderjähr­igen Asylbewerb­ern jede Spur fehlte, waren es im April 2017 etwa 7000 – ein Anstieg um 50 Prozent innerhalb von nur 16 Monaten. Das Bundeskrim­inalamt schätzt, dass viele dieser Fälle einen bürokratis­chen Hintergrun­d hätten. So komme es immer wieder vor, dass als vermisst gemeldete Minderjähr­ige zwar gefunden würden, dann deren Identität aber nicht geklärt werden könne. So wird der Vermissten­fall weiter in den Akten geführt.

Doch warum verschwind­en überhaupt so viele jugendlich­e Asylbewerb­er? Der „Bundesfach­verband unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e“setzt sich regelmäßig mit diesem Thema auseinande­r. Sprecher Tobias Klaus kennt mehrere Gründe: „Einige wollen in der Nähe von Verwandten oder Bezugspers­onen wohnen und verlassen deswegen heimlich ihre Unterkunft. Andere wollen ihre Familien mit Geld unterstütz­en und suchen sich eine Verdienstm­öglichkeit.“Doch außerhalb der Einrichtun­gen seien die Jugendlich­en schutzlos – einige werden Opfer kriminelle­r Ausbeutung. Das habe sich in Einzelfäll­en bestätigt. Im Bereich des Berliner Tiergarten­s entwickelt­e sich etwa bereits eine Prostituie­rten-Szene von Flüchtling­en, einige Asylbewerb­er geraten auch in das Drogenmili­eu.

Die „Initiative Vermisste Kinder“, die sich für den Schutz Minderjähr­iger einsetzt, sieht ebenfalls diese Gefahr. Für den Vorsitzend­en Lars Bruhns sind die Behörden gefordert: „Würden so viele deutsche Kinder vermisst, würde ein Aufschrei durch die Politik gehen. Doch bei Flüchtling­skindern hält sich die Reaktion sehr in Grenzen.“Er kritisiert, dass die Suche über Ländergren­zen hinweg kaum funktionie­re. Das liege daran, dass die europäisch­en Staaten keine gemeinsame Datenbank führen. „Ich kenne einen Asylhelfer, der auf eigene Faust einem Jungen half, der seine Familie auf der Flucht verloren hat“, sagt Bruhns. Der Helfer habe die Familie durch eigene Recherchen zusammenge­führt, während Behörden gescheiter­t seien.

Das bayerische Sozialmini­sterium weist darauf hin, dass sich die jugendlich­en Flüchtling­e frei bewegen dürfen. „Man kann nicht davon ausgehen, dass alle Jugendlich­en, die hier in Bayern aufgegriff­en werden, auch hierbleibe­n wollen“, heißt es aus dem Ministeriu­m. Als Jugendlich­e gelten Minderjähr­ige, die zwischen 14 und 18 Jahre alt sind. Viele dieser jungen Leute wollten die Unterbring­ung im Freistaat nur nutzen, um sich auszuruhen und dann weiterzuzi­ehen.

 ?? Foto: Arne Dedert, dpa ??
Foto: Arne Dedert, dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany