Guenzburger Zeitung

Union im neuen Frühling?

Bundestags­wahlkampf Trotz der Absage eines Bierzelt-Auftritts haben Seehofer und Merkel klargemach­t, dass sie nach Harmonie streben. Er gibt sich demütig. Sie nimmt es mit Humor

- VON ULI BACHMEIER UND HENRY STERN

München Friede, Freude, Festzelt, oder, wie Horst Seehofer sagte: „Freude, gehobene Freude und im Bierzelt höchste Freude.“Das war der Plan. Drei Tage lang wollten CDU und CSU ihre neue Geschlosse­nheit zelebriere­n. Höhepunkt sollte gestern Abend der gemeinsame Auftritt von CDU-Chefin Angela Merkel und CSU-Chef Seehofer beim Volksfest im Münchner Stadtteil Trudering sein. Nach dem Terroransc­hlag in Manchester aber sagten die Chefs der Schwesterp­arteien die erste Wahlkampfv­eranstaltu­ng dieses Jahres in Bayern ab. Doch auch ohne Bierzelt, Blasmusik und flammende Reden ist in den vergangene­n Tagen klar geworden, wie sich das Verhältnis der beiden Parteivors­itzenden auf fast wundersame Weise gewandelt hat. Statt Kritik und Drohungen gab es von Seehofer Freudenspr­ünge und Demutsbeku­ndungen. Merkel nahm es mit erkennbare­m Wohlgefall­en zur Kenntnis – ruhig, locker und launig.

Schon am Sonntag in Berlin war klar geworden, dass man sich im Streit um eine Obergrenze für Flüchtling­e wieder einen Trippelsch­ritt nähergekom­men ist. Bisher war man sich im Prinzip nur einig, sich nicht einig zu sein. Mittlerwei­le ist man sich zwar immer noch nicht einig, aber man hat sich darauf verständig­t, dass man sich schon irgendwie wird verständig­en können. Seehofers Drohung, ohne Obergrenze keinen Koalitions­vertrag zu unterschre­iben, steht zwar noch im Raum, aber nicht mehr auf der Fahne. Merkel meint, ihr Satz, dass das Jahr 2015 mit seinen großen Flüchtling­sströmen sich nicht wiederhole­n dürfe, sollte am Ende für eine Kompromiss­formel reichen.

Am Montag in München treten Merkel und Seehofer getrennt auf. Seehofer will es so. Bereits mittags verrät er am Rande des Treffens der Fraktionsv­orsitzende­n der Union in kleiner Runde, dass er bei der abendliche­n Pressekonf­erenz nicht mit ihr am Podium stehen möchte. Das habe man so abgesproch­en.

Am frühen Abend bietet der CSU-Chef den Kameras einen SoloAuftri­tt der besonderen Art. Ganz allein wartet er an der Brüstung vor der Westpforte des Landtags auf Merkel. Er schaut hinunter auf die Maximilian­straße. Als er die Wagenkolon­ne der Kanzlerin erblickt, dreht er sich um, hüpft und fuchtelt vor Freude mit den Armen und eilt zur Begrüßung – fast wie ein kleiner Bub, wenn der Nikolaus um die Ecke kommt.

Dann überlässt er, wie angekündig­t, Merkel das Podium bei der Pressekonf­erenz. „So, jetzt bin ich arbeitslos“, sagt Seehofer, als er den Konferenzr­aum im Landtag betritt. Er setzt sich unten im Saal zwischen die Journalist­en und lässt Merkel reden. Erst als eine Frage an beide gestellt wird, schaltet Seehofer das Tischmikro­fon vor sich ein und sagt: „Die Frau Bundeskanz­lerin hat auch für die CSU geantworte­t.“Die Botschaft ist eindeutig: Merkel ist die Chefin.

Für die Kanzlerin bietet der Abend in München dann auch noch etwas fürs Herz. Der CSU-Ehrenvorsi­tzende Theo Waigel, der eine CSU-Wählerinit­iative für Merkel gegründet hat, hatte in die Fuchsenstu­be in der Traditions­wirtschaft man den Eindruck, Angela Merkel weiß, was sie tut, und sie tut es bewusst und selbstbewu­sst“, sagt der langjährig­e CSU-Chef und frühere Bundesfina­nzminister.

Die offensicht­lich bestens gelaunte Kanzlerin revanchier­t sich mit freundlich­en Worten: „Danke, dass wir hier so schön urgemütlic­h im Bayerische­n zusammensi­tzen.“Sie drückt ihren Respekt aus vor der politische­n Erfahrung, die im Raum versammelt ist, bedankt sich für die Unterstütz­ung und merkt schmunzeln­d an, dass die Initiative wohl nicht nur des Landes oder ihretwegen gebildet wurde, sondern „auch um der CSU willen“. Merkel weiß, dass die CSU auch von jenen Bürgern gewählt werden will, die nicht unbedingt die CSU, aber weiterhin sie als Kanzlerin wollen. Und einen Seitenhieb auf die zurücklieg­enden Streiterei­en und Zwistigkei­ten mag sie sich auch nicht verkneifen. Dass auch der CSU-Spitzenkan­didat, der bayerische Innenminis­ter Joachim Herrmann, anwesend sei, freue sie, sagt Merkel, fügt aber hinzu: „Ob’s im Januar schon so gewesen wäre, weiß ich nicht, aber heute ist er da.“

Der gemeinsame Bierzelt-Auftritt mit Seehofer hätte gestern das Tüpfelchen auf dem i sein sollen. Doch auch ohne das Spektakel wurde klar, dass CDU und CSU zumindest so tun, als erlebten sie einen zweiten Frühling.

 ?? Foto: Sven Hoppe, dpa ?? Ernste Miene statt Harmonie: Bilder wie diese hätte Horst Seehofer beim Besuch von Kanzlerin Angela Merkel in Bayern am liebsten ganz vermieden. Bei den gemeinsame­n Auftritten sollte so wenig wie möglich an die zurücklieg­enden Streitigke­iten erinnern.
Foto: Sven Hoppe, dpa Ernste Miene statt Harmonie: Bilder wie diese hätte Horst Seehofer beim Besuch von Kanzlerin Angela Merkel in Bayern am liebsten ganz vermieden. Bei den gemeinsame­n Auftritten sollte so wenig wie möglich an die zurücklieg­enden Streitigke­iten erinnern.

Newspapers in German

Newspapers from Germany