Guenzburger Zeitung

„Wir sind moralische Künstler“

Interview Gilbert & George glauben zwar nicht an Gott, trotzdem stellen sie in einer Kirche aus. In ihrer Heimat England erleben die beiden hautnah die Konfrontat­ion verschiede­ner Religionen

-

Sie seien fromm, sagt Pfarrer Neubert, der Hausherr der Kirche, der Sie mit eingeladen hat. Stimmt das? Gilbert: Das denkt er! George: Nein, das ist richtig. Wir sind moralische Künstler. Wir glauben an Gut und Böse. Wir glauben nur nicht an Gott. Alle Götter sind von Menschen erfunden, nichts weiter.

Sie beide greifen immer wieder die Kirche an …

George: …nur ihre kriminelle­n Seiten. Die Kirche war sehr, sehr langsam bei der Abschaffun­g der Sklaverei, sie war sehr langsam bei der Abschaffun­g der Todesstraf­e. Und sie ist hintendran, was sexuelle Rechte, Homosexual­ität, Schwuleneh­e und Scheidung angeht. Die Kirche hält den Fortschrit­t auf.

Trotzdem bespielen Sie jetzt eine Kirche. Warum?

Gilbert: Wir wurden von der Stiftung für Kunst und Kultur in Bonn eingeladen. Wir sind bloß der Einladung gefolgt.

George: Erst gefiel uns das Projekt nicht, weil es hieß, wir sollten nur das Erdgeschos­s bespielen. Deshalb haben wir abgelehnt. Aber dann, mitten im Telefonat, wurde uns klar: Wenn wir die ganze Kirche für unsere Bilder nutzen könnten, hätte die Überzeugun­gskraft. Von dem Augenblick an waren wir begeistert.

Gilbert: Es ist ja nicht so, dass wir uns für die Kultur der Kirche nicht interessie­ren würden. Wir sind jüdisch-römisch-griechisch-christlich­e Säkularist­en. Das ist unser Glaube. Wir wissen, woher wir kommen. Wir nennen es das Gepäck der Geschichte.

Um was geht es in der Serie?

George: Auf den ersten Blick sind es einfach Straßensze­nen aus dem Londoner East End, dem Viertel, in dem wir leben. Auch die impression­istischen Bilder in den traditione­llen Museen sind ja oft Straßensze­nen. Aber sie sind geschönt. Sie zeigen nicht die Wirklichke­it – die Bettler, die Syphiliskr­anken, die Obdachlose­n. Wir versuchen, mit unseren Bildern ehrlicher zu sein.

Gilbert: Es geht um den großen Gegenwarts­konflikt, den Krieg der Religionen. Wir leben in London genau zwischen den Welten – zwischen einer großen englischen Barockkirc­he und einer Moschee. Und die Konfrontat­ion zwischen diesen Kraftfelde­rn ist enorm. Wir sind sehr erstaunt über die Intoleranz der Mullahs gegenüber der westlichen Welt.

George: Wo wir leben, gibt es viele Bangladesc­her. Wir leben mit ihnen Tür an Tür.

Gilbert: Aber die Mullahs predigen ihnen: Fasst die nicht an, kommt ihSache nen nicht nahe, geht nicht in ihre Kirchen, hört nicht ihre Musik, esst nicht ihren Schinken mit Ei…

George: Wir lieben ihr Curry, aber sie essen unser Bacon and Eggs nicht!

Gilbert: Diese enormen religiösen Auseinande­rsetzungen gibt es überall auf der Welt, nicht nur bei Moslems oder Hindus. Wenn man nur an der Oberfläche kratzt, bricht es auf. Allein die Idee, dass man jemanden nicht heiraten kann, der einer anderen Religion angehört, ist lächerlich. Religion nimmt uns die Freiheit.

Und dagegen kämpfen Sie?

George: Ja, aber wir urteilen nicht, wir wollen nicht urteilen. Wir hoffen nur, dass die Welt von morgen ein bisschen anders aussieht, weil wir diese Bilder gemacht haben.

Gilbert: Du stehst davor und kannst Ja oder Nein sagen. Jeder Mensch ist frei. Unsere Bilder stehen für Meinungsfr­eiheit.

Trotzdem wird es vermutlich einigen Wirbel um Ihre Ausstellun­g geben, oder? Gilbert: Das sind wir gewohnt. George: Wir erleben das seit fünfzig Jahren, vom ersten Tag an. Gilbert: Aber wir überleben. Wenn man Angst hat, muss man abstrakte Kunst machen. Interview: Nada Weigelt, dpa

 ?? Foto: Britta Pedersen, dpa ?? Londoner Straßensze­nen im Gotteshaus: Gilbert (links) und George mit ihren Bildern in der Berliner Matthäus Kirche.
Foto: Britta Pedersen, dpa Londoner Straßensze­nen im Gotteshaus: Gilbert (links) und George mit ihren Bildern in der Berliner Matthäus Kirche.

Newspapers in German

Newspapers from Germany