Guenzburger Zeitung

Ein Foul veränderte sein Leben „Ohne Freunde und Familie hätte ich das alles nicht geschafft.“

Fußball Ein Gegenspiel­er bricht Niko Gay in einem Kreisklass­e-Kick Schien- und Wadenbein. Der Treter bekommt nur die Gelbe Karte. Sein Opfer wirft die Verletzung völlig aus der Bahn

- VON ALEXANDER SING

Von der Statur her erinnert Niko Gay ein wenig an den früheren Bayern-Spieler Xherdan Shaqiri: klein und wendig, aber auch muskulös und durchsetzu­ngsstark. Der fitnessbeg­eisterte 27-Jährige ist ein Spieler, der wohl jeder AmateurMan­nschaft gut zu Gesicht steht. Mehr als zwei Jahre lang schnürt der Mindelzell­er für den FC Mindeltal die Fußballsch­uhe. Bis ein LigaSpiel im vergangene­n September sein ganzes Leben verändert.

Es ist ein sonniger Spätsommer­tag, als Niko Gay für den Kick in der Kreisklass­e West 1 den Rasen auf dem Sportplatz in Kemnat betritt. Eigentlich hatte er wegen Rückenbesc­hwerden gar nicht von Beginn an spielen wollen. Doch der Kreisliga-Absteiger will oben angreifen, braucht jeden guten Mann. Trainer Manfred Grimbacher beordert Gay in die Startelf.

Zehn Minuten sind vorbei, da nimmt der Linksaußen einem Gegenspiel­er im Mittelfeld den Ball ab und spurtet die Außenlinie hoch. Auf dem Weg lässt er einen weiteren Gegner stehen und zieht in Richtung Tor. Er hat nur noch einen Mann vor sich. Der rennt auf ihn zu, Gay legt den Ball an ihm vorbei. Doch sein Gegenüber zieht nicht zurück, grätscht mit offener Sohle und trifft das rechte Standbein des 27-Jährigen. „Das Schienbein ist richtig abgeklappt und oben angeschlag­en“, erzählt der Gefoulte knapp acht Monate später von der Horrorverl­etzung. Es ist kein offener Bruch, es fließt kein Blut. „Ich bin dagelegen und hatte nur noch Schmerzen. Mein Bein hat sich irgendwie flach angefühlt.“Im Krankenhau­s stellen die Ärzte später einen mehrfachen Schien- und Wadenbeinb­ruch fest.

Was nach dem Foul passiert, bekommt Niko Gay kaum noch mit. Seine Mitspieler und auch die gegnerisch­e Mannschaft sind geschockt, können nicht mehr weiterspie­len. „Einige haben geheult“, erinnert sich der damalige Co-Trainer Alfred Richter. Warum der Übeltäter nur die Gelbe Karte sieht, verstehen die Verantwort­lichen bis heute nicht. Zumal der Mann für sein gefährlich­es Spiel bekannt sein soll. Trotzdem steht er am Wochenende darauf wieder auf dem Platz. Eine kurze Entschuldi­gung via Facebook-Chat, mehr kommt von ihm nicht.

Für Niko Gay beginnt eine lange Leidenszei­t. Er wird noch am selben Tag operiert und liegt über zwei Wochen im Krankenhau­s. Die ganze Mannschaft besucht ihn, vor allem der damalige Trainer nimmt großen Anteil an der schlimmen Verletzung seines Spielers. Gay kann nicht mehr laufen, muss in eine Doch es will nicht besser werden. Bei einer Untersuchu­ng entdecken die Ärzte dann einen weiteren Bruch. Gay muss im Dezember erneut unters Messer. „Das war ein ziemlicher Rückschlag. So was demotivier­t einen“, sagt er.

Seitdem stecken mehrere Platten und ein Nagel in seinem Bein. Bis Februar ist Gay auf Krücken angewiesen, dank Physiother­apie kann er mittlerwei­le wieder normal gehen. Viel schwerer wiegt für ihn aber der finanziell­e Schaden. Zum Zeitpunkt des Unfalls war der gelernte Kfz-Mechatroni­ker auf der Meistersch­ule und stand kurz vor seiner Zwischenpr­üfung. Weil er zu lange fehlte, musste er die Schule zwischenze­itlich abbrechen. In seinen alten Beruf als Industriem­echatronik­er kann er trotzdem nicht zurückkehr­en. „Momentan kann ich einfach nicht so lange an den Maschinen stehen. Ich hätte schon eine Umschulung machen können. Aber ich will erst versuchen, ob es auch so weitergeht“, erzählt Gay. Mittlerwei­le arbeitet er bei der Firma Grob in Mindelheim als Motorspind­elMonteur, ein Job, in dem er viel sitzen kann.

Die fast 30000 Euro, die ihn der Unfall nach eigener Schätzung gekostet hat, hat er bisher nicht wiederbeko­mmen. „Ich war damals Schüler, also hatte ich offiziell auch keinen Verdiensta­usfall. Sozialhilf­e bekomme ich auch nicht. Dafür hätte ich vorher mein Auto und meine Wohnung verkaufen müssen.“Auch die über den Bayerische­n Landes-Sportverba­nd (BLSV) für alle Mitglieder in Sportverei­nen gültige Versicheru­ng deckt den Fall nicht ab. Und eine private Unfallvers­icherung hatte er als Schüler zu dem Zeitpunkt auch nicht. Eine Nachlässig­keit, wie er jetzt weiß. „Im Nachhinein ist man immer schlauer. Aber ich glaube, dass viele da nicht dran denken. Es spielen ja zum Beispiel auch viele Studenten regelmäßig Fußball, die nicht unbedingt unfallvers­ichert sind.“Ein Anwalt prüft jetzt, welche Möglichkei­ten der 27-Jährige hat, das Geld wiederzube­kommen. Der Unfallveru­rsacher habe bisher alle Versuche in diese Richtung abgeblockt.

Bis er wieder gesund ist, lebt Niko Gay von dem Geld, das er eigentlich für die Meistersch­ule angespart hatte. Dann passiert ein weiterer Schicksals­schlag: Mitten in dieser schwierige­n Zeit verlässt ihn seiReha-Klinik. ne Freundin, mit der er fast drei Jahre zusammen war. „Ohne Freunde und Familie hätte ich das alles nicht geschafft. Insofern hatte es auch etwas Gutes: Du merkst, auf wen du dich verlassen kannst. Und auf wen nicht.“

Gay würde sich wünschen, dass brutale Fouls im Amateur-Fußball härter bestraft werden. „Fast nie gibt es Rote Karten. Abschrecke­nd ist das nicht.“Sein Trainer Alfred Richter mutmaßt, dass die Schiedsric­hter teilweise zu eingeschüc­htert sind, um hart durchzugre­ifen. „Das sehen unsere Nachwuchss­pieler ja schon bei den Profis, dass es in Ordnung ist, in jeder Situation erst einmal auf den Schiedsric­hter loszugehen. Vorbilder sind das nicht gerade.“Auch am Spielfeldr­and herrsche oft eine aufgeheizt­e Stimmung. Wenige Wochen nach Gays Unfall, erzählt Coach Richter, seien die Mindeltale­r Zeugen eines Platzsturm­s gewesen. „Die haben eine richtige Hetzjagd auf einen unserer Spieler gemacht.“

Ob er jemals wieder Fußball spielen wird, weiß Niko Gay nicht. Wenn er seine Kameraden vom FC Mindeltal spielen sieht, „bitzelt es schon ein wenig“, sagt er. Im Moment seien aber andere Dinge wichtiger. Er will beruflich wieder Fuß fassen. Damit sein Leben wieder in normalen Bahnen laufen kann.

 ?? Foto: Bernhard Weizenegge­r ?? An dieser Stelle auf dem Sportplatz in Kemnat brach ein Gegenspiel­er Niko Gay (links) das rechte Schien und Wadenbein. Sein Trainer Alfred Richter verletzte sich zu seiner aktiven Zeit selbst auf die gleiche Weise.
Foto: Bernhard Weizenegge­r An dieser Stelle auf dem Sportplatz in Kemnat brach ein Gegenspiel­er Niko Gay (links) das rechte Schien und Wadenbein. Sein Trainer Alfred Richter verletzte sich zu seiner aktiven Zeit selbst auf die gleiche Weise.

Newspapers in German

Newspapers from Germany