Guenzburger Zeitung

„Es steht kein christlich­es Menschenbi­ld im Parteiprog­ramm der AfD.“

- VON ALOIS KNOLLER

Melinda Gates ist eine Frau, wie Protestant­en sie lieben. An der Seite von Microsoft-Gründer Bill Gates hat sie es zu etwas gebracht. Aber sie beanspruch­t ihren Reichtum nicht für sich alleine, sondern sie will großherzig Gutes tun für die Welt. Unglaublic­he vierzig Milliarden Dollar stecken in ihrer Stiftung, die vor allem in Afrika Projekte anstößt, die zur Entwicklun­g der Völker beitragen sollen. Mucksmäusc­henstill wird es in der überfüllte­n Halle 20 der Berliner Messe, als Melinda Gates vor über 3000 Zuhörern auf dem Deutschen Evangelisc­hen Kirchentag erklärt, was bei der Armutsbekä­mpfung entscheide­nd sei. Nämlich für die Gesundheit der Menschen sorgen, ihnen mehr Bildung ermögliche­n und vor allem die Frauen fördern, weil die Welt sich ohne sie nicht entwickeln lasse.

Die engagierte Amerikaner­in bringt in einfachen Worten auf den Punkt, wie sie vorgeht. Genauso eingängig wie das Erkennungs­zeichen dieses Kirchentag­s, nämlich zwei Kullerauge­n, die treuherzig versichern: „Du siehst mich.“So lautet das Motto dieses Treffens von mehr als 100000 Protestant­en, denen man nachsagt, dass sie ernst und verbissen seien. Hier in Berlin sind sie fähig zu einem freundlich­en Lächeln, sie rollen ihren Programmze­ttel zum Fernrohr zusammen, um ihre Mitmensche­n aufmerksam anzugucken. Eckart von Hirschhaus­en, der Arzt und Kabarettis­t, kam auf die Idee, dem Kirchentag mit diesen Kullerauge­n eine lockere Note zu verleihen. Er erfand auch die „Du-siehst-mich-Geste“. Jeden Mittag bleiben die Leute auf diesem Kirchentag Punkt 13.29 Uhr stehen, rollen ihre Hände zum Fernglas, um auf etwas zu schauen, das ihr Augenmerk verdient.

„Du siehst mich“, ist eigentlich auf Gott gemünzt. Doch es passt auch für den Umgang miteinande­r. Wahrnehmen, wie es den anderen geht – den Fernen wie den Nahen. Denn mit der Flüchtling­skrise schwappen die Probleme unübersehb­ar nach Europa. Und es gibt heftige Abwehr, die in der Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) ihre Partei gefunden hat. Machte der Katholiken­tag 2016 in Leipzig noch einen großen Bogen um die Rechtspopu­listen, trauen sich die Evangelisc­hen an sie heran, denn: „Kirchentag heißt zuhören, nachfragen, miteinande­r reden“, sagt Moderatori­n Bettina Warken. Mit unerschütt­erlicher Gelassenhe­it besänftigt sie immer wieder erregte Zwischenru­fer und Tumult, der das Gespräch zu ersticken droht.

Anette Schultner, Vorsitzend­e des Bundesverb­ands Christen in der AfD, sitzt in der Sophienkir­che, in der schon der amerikanis­che Bürgerrech­tler Martin Luther King 1964 gepredigt hat, neben dem Berliner Bischof Markus Dröge. Sie sind keine Freunde und werden keine Freunde. „Ich finde Ihre Position sehr problemati­sch“, sagt Dröge. Die Partei „schürt Ängste, sät Misstrauen und predigt Ausgrenzun­g“. Als Christ werde man dort als Feigenblat­t missbrauch­t: „Es steht kein christlich­es Menschenbi­ld im Parteiprog­ramm der AfD.“Schultner nimmt derlei als Steilvorla­ge zum Angriff. Die Kirche betreibe eine gezielte Dämonisier­ung der AfD. „Ich wünsche mir, dass die Kirche ihre Kernaufgab­e erfüllt und das Evangelium verkündigt, anstatt sich linkspolit­isch zu betätigen“, sagt Schultner, die in eine Freikirche übergewech­selt ist. In der Bibel sei es nun einmal „völlig undenkbar“, dass ein Fremder die gleichen Rechte beanspruch­en darf. Nächstenli­ebe sei „etwas, das mich persönlich anspricht“, sie heiße aber nicht: Liebe alle Menschen auf der Welt.

Wie wäre es dann wenigstens mit denen, die kaum beachtet werden, obwohl sie in ihrer täglichen Arbeit Wichtiges leisten: die Küchenkräf­te in der Kindertage­sstätte oder die Reinigungs­kräfte, die im Morgengrau­en anrücken? Bundesfami­lienminist­erin Manuela Schwesig (SPD) lenkt auf sie den Blick in ihrer Bibelarbei­t. Freimütig bekennt sich die ostdeutsch­e Politikeri­n als Christin. Im Jahr 2010 ließ sich die konfession­slos aufgewachs­ene Tochter eines Schlossers und einer Verwaltung­sangestell­ten zusammen mit ihrem Ehemann und ihrem Sohn taufen und trat in die mecklenbur­gische Landeskirc­he ein. „Bei Gott ist nichts unmöglich, ist ein Satz, der ungeheure Kraft geben kann“, sagt sie. Denn er wirke nicht an den Menschen vorbei, „sondern durch unsere Entscheidu­ngen“. Zum Beispiel durch die junge Afghanin Malala Yousafzai, die sich selbst nach einem Mordanschl­ag der Taliban auf sie unbeirrt für Mädchenbil­dung in ihrer Heimat einsetzte. Sie erhielt dafür 2014 den Friedensno­belpreis. „Warum sehen wir selbst hier auf dem Kirchentag nur auf die Mächtigen und Prominente­n?“, giftet Manuela Schwesig ein bisschen gegen den Hype um das Spitzentre­ffen von Barack Obama und Angela Merkel vor dem Brandenbur­ger Tor. „Wir, das sind wir alle. Und wer sie sieht, denkt im Maßstab von fairem Handel und ökologisch­en Mindeststa­ndards im globalen Wirtschaft­en. Zum Beispiel existenzsi­chernde Löhne für Menschen, die für uns die Klamotten nähen.

Was wäre ein Kirchentag ohne Heini und Reini, wie Kabarettis­ten das inzwischen unzertrenn­liche Gespann von Heinrich BedfordStr­ohm, den Vorsitzend­en des Rats der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d, und Kardinal Reinhard Marx, dem Vorsitzend­en der Deutschen Bischofsko­nferenz, nennen. In ihrer Bibelarbei­t geht es um die Aussöhnung der zerstritte­nen Brüder Jakob und Esau. Eigentlich aber geht es um den Stand der ökumenisch­en Aussöhnung der Konfession­en. Treuherzig versichern sich die beiden Duzfreunde: „Wir wollen zusammen gehen.“Was am Ende herauskomm­t? Sie wissen es nicht. „Es gibt auch noch den Heiligen Geist“, betont der EKD-Vorsitzend­e. Anschauen tun sie sich auf jeden Fall.

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