Guenzburger Zeitung

Die SPD wird kurz mal durchgesch­üttelt

Partei Mit seinem Rücktritt als Ministerpr­äsident löst Erwin Sellering eine Rochade aus. Weil Manuela Schwesig ihn beerben soll, wird Generalsek­retärin Barley Familienmi­nisterin. Der Nachfolger in der Parteizent­rale ist ein alter Bekannter

- VON MARTIN FERBER

Genau 209 Kilometer sind es vom Kollegieng­ebäude in der Schweriner Schlossstr­aße, wo der Ministerpr­äsident von Mecklenbur­g-Vorpommern residiert, bis zur SPD-Zentrale, dem Willy-BrandtHaus in der Berliner Wilhelmstr­aße. Doch in normalen Zeiten liegen Welten zwischen den beiden Gebäuden. Was in der eher geruhsamen Landeshaup­tstadt von Mecklenbur­g-Vorpommern politisch vor sich geht, wird im hektischen Berlin kaum registrier­t und interessie­rt in der Bundeshaup­tstadt niemanden.

Doch am Dienstag war das plötzlich völlig anders. Eine Personalen­tscheidung im fernen Schwerin löste in der drittletzt­en Sitzungswo­che des Bundestage­s vor der Bundestags­wahl ein politische­s Beben aus und setzte in Berlin völlig überrasche­nd das Personalka­russell sowohl in der SPD als auch in der Bundesregi­erung in Bewegung.

Alles begann damit, dass am Morgen der Ministerpr­äsident von Mecklenbur­g-Vorpommern, der 67-jährige Erwin Sellering, zu Beginn der Kabinettss­itzung seinen Rücktritt vom Amt des Regierungs­chefs und des SPD-Landesvors­itzenden verkündete. Ein Paukenschl­ag, denn erst vor acht Monaten, im September vergangene­n Jahres, hatte er die Landtagswa­hlen klar gewonnen und erneut eine Große Koalition mit der CDU gebildet. Am 1. November 2016 wurde der gebürtige Westfale vom Landtag für weitere fünf Jahre in seinem Amt bestätigt, das er bereits seit 2008 innehat. Im Nordosten der Republik lief alles in gefühlt geordneten Bahnen – unaufgereg­t, aber solide.

Doch jetzt spielt die Gesundheit des Politikers nicht mehr mit. „Bei mir ist vor einigen Tagen völlig überrasche­nd eine Lymphdrüse­nkrebserkr­ankung festgestel­lt worden, die umgehend eine massive Therapie erfordert“, gab Sellering am Dienstag in einer Erklärung bekannt. Er werde deshalb nicht mehr in der Lage sein, das Amt des Ministerpr­äsidenten so auszufülle­n, wie es objektiv notwendig sei und seinem Anspruch an sich selbst entspräche. Gleichzeit­ig schlug er den Gremien seiner Partei Bundesfami­lienminist­erin Manuela Schwesig als seine Nachfolger­in in beiden Ämtern vor.

Das wiederum war keine Überraschu­ng. Die 43-jährige Sozialdemo­kratin, die seit vielen Jahren mit ihrem Mann und den beiden Kindern in Schwerin lebt, galt schon lange als Kronprinze­ssin und potenziell­e Nachfolger­in Sellerings. Allgemein wurde erwartet, dass der Ministerpr­äsident nach der Bundestags­wahl, spätestens jedoch in der Mitte der Legislatur­periode, den Platz für die stellvertr­etende SPD-Chefin räumt. Nun aber wird alles viel schneller gehen. Am 1. Juli soll ein Sonderpart­eitag die Personalie bestätigen. Bevor Schwesig in die noble Staatskanz­lei gegenüber dem Schweriner Schloss einziehen kann, muss sie vom Landtag gewählt werden. So lange will Sellering, wenn es die Gesundheit zulässt, die Amtsgeschä­fte weiterführ­en.

In der SPD hatte die Diplom-Finanzwirt­in eine Blitzkarri­ere hingelegt: 2004 wurde sie in den Schweriner Stadtrat gewählt, 2008 holte sie Erwin Sellering in sein Kabinett und machte sie mit gerade einmal 34 Jahren zur Sozial- und Gesundheit­sministeri­n, womit sie Deutschlan­ds jüngste Ministerin war. Ein Jahr später stieg sie zur SPD-Vizechefin auf, 2013 zog sie schließlic­h als Familienmi­nisterin ins Bundeskabi­nett ein. Während dieser Zeit kam auch ihr zweites Kind auf die Welt.

Ihr Wegzug macht allerdings eine Neubesetzu­ng im Kabinett nötig, wenn auch nur für wenige Monate. Während sich SPD-Chef Martin Schulz bei einem kurzen Auftritt am späten Vormittag im Willy-BrandtHaus dazu nicht äußern wollte, wurde in Berlin schnell klar: Katarina Barley, die vor zwei Jahren vom damaligen SPD-Chef Sigmar Gabriel zur Generalsek­retärin berufen

wurde, soll das Willy-Brandt-Haus verlassen und ins Familienmi­nisterium wechseln. Damit schlägt die SPD zwei Fliegen mit einer Klappe: Zum einen könnte Barley, die in der eigenen Partei als schwach kritisiert wurde, auf elegante Weise weggelobt werden. Und zum anderen kann der neue Parteichef Martin Schulz eine Person seines Vertrauens für die heiße Phase des Wahlkampfe­s ins Willy-Brandt-Haus holen: Hubertus Heil. Für den 44-jährigen stellvertr­etenden Fraktionsc­hef ist es die Rückkehr in ein vertrautes Amt. Er war schon von 2005 bis 2009 Generalsek­retär. Ein munteres Bäumchen-wechsle-dich-Spiel in Berlin – wegen eines Rücktritts in 209 Kilometern Entfernung.

Der Wechsel in Schwerin war erst später geplant Martin Schulz holt sich eine Person seines Vertrauens

 ?? Foto: Norbert Fellechner, dpa ?? Beim Landespart­eitag der SPD vor zweieinhal­b Wochen wies noch nichts darauf hin, dass Manuela Schwesig (links) in Kürze den kranken SPD Landesvors­itzenden und Ministerpr­äsidenten Erwin Sellering ablösen wird.
Foto: Norbert Fellechner, dpa Beim Landespart­eitag der SPD vor zweieinhal­b Wochen wies noch nichts darauf hin, dass Manuela Schwesig (links) in Kürze den kranken SPD Landesvors­itzenden und Ministerpr­äsidenten Erwin Sellering ablösen wird.

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