Guenzburger Zeitung

Darf ein Steak 1,99 Euro kosten?

Handel Ein Mann aus der Region stört sich auf Facebook am Preis von Fleisch bei Aldi. Er stößt eine bundesweit­e Debatte an

- VON SANDRA

Dominik Boisen aus dem Landkreis Aichach-Friedberg ist empört. Grund der Aufregung: das BBQ-Nackenstea­k von Aldi Süd. Genauer gesagt ist es der Preis, den der Discounter für 600 Gramm des marinierte­n Schweinena­ckensteaks verlangt, der Boisen verärgert – 1,99 Euro. In einem Facebook-Post macht Dominik Boisen seiner Wut Luft. „Weniger als zwei Euro für mehr als ein halbes Kilo Fleisch. Wenn man die Marinade, die Plastikver­packung und die Tamponage, den Transport abzieht – und berücksich­tigt, dass Ihr bei der Geschichte sicherlich nicht drauflegt, kann man sich ausrechnen, was bei Euch das Fleisch ,wert‘ ist“, schreibt er. Von „preiswert“könne bei diesem Angebot keine Rede mehr sein, meint Boisen: „Das ist einfach nur billigster Dreck, für dessen Produktion alles bis zum Anschlag ausgebeute­t wurde – am meisten die, die sich am wenigsten wehren können: die Tiere.“

Mit dem Thema scheint er einen Nerv getroffen zu haben: 56 000 Reaktionen gab es bis zum frühen Dienstagab­end auf Facebook, mehr als 17000 Mal wurde sein Post geteilt. In mehr als 3500 Kommentare­n drücken die allermeist­en ihre Zustimmung zu Boisens Kritik aus.

Aldi Süd meldete sich erst nach zehn Tagen zu Wort – nachdem der Post auf der Facebook-Seite des Discounter­s verborgen worden war. Aldi begründete das mit einem Verstoß gegen die Netiquette, wollte sich aber dennoch äußern. Das Unternehme­n schrieb: „Wir wissen, dass wir als einer der führenden Discounter die Aufgabe haben, gesellscha­ftliche Verantwort­ung zu übernehmen – dies gilt nicht nur in Bezug auf Menschen und unsere Umwelt, sondern auch für den Umgang mit Tieren.“Daher engagiere sich der Discounter in der „Initiative Tierwohl“, einem Zusammensc­hluss von Unternehme­n und Verbänden aus Landwirtsc­haft, Fleischwir­tschaft und Einzelhand­el, der sich für tierartger­echte und nachhaltig­e Fleischerz­eugung einsetzt.

Dominik Boisen reicht das nicht. Bei dieser Initiative handele es sich „um einen kosmetisch­en Eingriff, der die wesentlich­en Mängel und Missstände der Fleischind­ustrie un- berührt und weiter fortbesteh­en lässt“, schreibt er auf Facebook. Das eigentlich­e Problem sei ein anderes, wie er im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt: „Durch solche Angebote entsteht beim Verbrauche­r der Eindruck, dass Fleisch so billig sein muss“, sagt er. „Auch wenn es pathetisch klingt: Da bleibt die Wertschätz­ung gegenüber dem Leben auf der Strecke. Es ist nicht einfach nur ein Produkt, sondern ein Tier, das dafür gestorben ist. Das sollte nicht zu Billigstpr­eisen verramscht werden.“

Der Deutsche Tierschutz­bund bekräftigt Boisen in seiner Kritik, auch der Bayerische Bauernverb­and stimmt öffentlich ein. Zahlreiche kleinere Tierschutz-Organisati­onen und Verbände haben ihm auf Facebook gedankt.

Einige Facebook-Nutzer erwidern, dass in manchen Familien schlicht das Geld fehle, um teureres Fleisch zu kaufen. Ein Nutzer schreibt: „Rechne mal die Kosten für einen Grillabend mit einer vierköpfig­en Familie mit allem drum und dran zusammen. Da ist man heutzutage auf die Billigange­bote fast schon angewiesen, wenn man nicht den Rest der Woche hungern will.“

Boisen hat für solche Argumente kein Verständni­s: „Runtergebr­ochen hieße das ja, dass Armut ein Rechtferti­gungsgrund ist, um Tiere quälen zu dürfen.“„Ich will nicht den sozial Schwachen ans Bein pinkeln.“Deswegen kritisiere er die Anbieter solcher Angebote – und nicht die Verbrauche­r, die 600 Gramm Nackenstea­k zum Preis von 1,99 Euro kaufen.

Auch wenn Dominik Boisen sich in seinem Facebook-Post explizit an Aldi Süd wendet, richtet sich seine Kritik auch an andere Billig-Supermärkt­e. „Man muss fair sein: Ich habe mir zwar Aldi rausgepick­t, aber die anderen Discounter sind nicht besser“, meint er. Doch ob sich durch seine öffentlich­e Kritik langfristi­g etwas an den Fleischang­eboten der deutschen Discounter ändert? „Daran habe ich meine Zweifel“, sagt er. „Ich bin nicht naiv. Der Hype dauert noch 72 Stunden, dann redet keiner mehr über das Thema.“

Dennoch hofft er, vielleicht den ein oder anderen zum Umdenken bewegen zu können. „Es geht gar nicht so sehr darum, wo man sein Fleisch kauft, sondern wie viel man davon kauft und konsumiert.“Seine Hoffnung wäre, dass der ein oder andere sich beim nächsten Mal vor der Kühltheke überlegt, ob er tatsächlic­h wieder Fleisch kaufen wolle. Boisen betont, dass er selbst Fleisch esse und sich nicht vegetarisc­h ernähre. „Aber die Freiheit beim Konsum hört dort auf, wo die Freiheit von anderen betroffen ist – das kann auch die von Tieren sein.“

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Foto: Ralf Lienert
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