Guenzburger Zeitung

Augsburgs Unterwelt ist einzigarti­g

Welterbe Unter der Innenstadt verlaufen rund 45 Kilometer Kanäle. Wo, ist zum Teil noch gar nicht bekannt. Was man heute schon weiß, lässt aber staunen

- VON NICOLE PRESTLE

Zwei Jahre ist es her, da brach in der Augsburger Maximilian­straße plötzlich der Boden ein. Das Loch, das sich darunter auftat, gab nur sehr kurz den Blick in die Unterwelt frei. Das Tiefbauamt behob den Schaden so schnell wie möglich: Füllmateri­al hinein, Asphalt und Kopfsteinp­flaster darüber, danach war alles wieder gut. Vermeintli­ch. Denn was 2015 in der Augsburger Prachtmeil­e geschah, könnte theoretisc­h schon morgen an anderen Stelle in der Innenstadt wieder passieren.

„Nach einer groben Schätzung verlaufen unter den Straßen, Plätzen und Gebäuden in der Innenstadt rund 45 Kilometer unterirdis­cher Kanäle“, sagt Bernhard Häck. Der Experte für Hohlraumfo­rschung beim Bayerische­n Landesamt für Denkmalpfl­ege hat vergangene­n September einen Teil davon untersucht – und Erstaunlic­hes herausgefu­nden: Das Augsburger Wasservers­orgungssys­tem ist deutschlan­dweit einzigarti­g, weil seine Ursprünge bis ins Mittelalte­r zurückgehe­n und weil sich aus fast allen Epochen Baumateria­lien und -konstrukti­onen nachweisen lassen.

Bislang sind diese Kanäle weitgehend unerforsch­t, zum Teil ist nicht einmal bekannt, wie sie verlaufen. Ein Grund ist, dass unterirdis­che Kanäle nur dann „auffallen“, wenn man bei Bauarbeite­n darauf stößt – oder eben, wenn eine Konstrukti­on einbricht. Augsburg will sein Augenmerk nun gezielt auf die Wasserführ­ungen richten. Hintergrun­d ist die Bewerbung um den WelterbeTi­tel, in dessen Rahmen die rund 200 Kilometer langen Lechkanäle eine Rolle spielen.

Die notwendige­n wissenscha­ftlichen Untersuchu­ngen können jedes Jahr nur in wenigen Wochen gemacht werden – dann, wenn die Kanäle abgelassen werden und kein oder nur wenig Wasser darin fließt. Die ersten Abschnitte schaute sich Bernhard Häck vergangene­n Herbst an: einen Kanal, der unter dem Kloster Maria Stern am Vorderen Lech verläuft, je einen unter dem nördlichen (Hinterer Lech) und südlichen Teil (Mittlerer Lech) des St.-Jakobs-Stifts sowie einen unter dem Kloster St. Ursula (Hinterer Lech). Dabei habe sich schnell gezeigt, dass es im Augsburger Untergrund weit mehr an historisch­er Substanz gibt, als man zunächst vermutete – und zwar vom Mittelalte­r bis in die frühe Neuzeit.

Häck stieß unter anderem auf römische Säulen, Friese und Reliefs, die einst anderswo verbaut waren und später für den Kanalbau „zweckentfr­emdet“wurden. Er fand alte Holzbalken, die einst eingebaut wurden, um die Fließgesch­windigkeit des Wassers zu drosseln – ein System, dessen Existenz bis dato nicht bekannt war. Die Wissenscha­ftler fanden außerdem einen weiteren Beweis für die hohe Qualität des Augsburger Trinkwasse­rs: Im Kanal leben Muscheln, die einen hohen Anspruch an ihren Lebensraum stellen und nur dort übereiner leben können, wo das Wasser hervorrage­nd ist.

Im städtische­n Welterbe-Bewerbungs­büro ist man überzeugt, dass diese neuen Erkenntnis­se sich positiv auf die Welterbe-Bewerbung auswirken können: Um den Titel erhalten zu können, müssen die dafür relevanten Bauten und Konstrukti­onen als Denkmäler eingestuft und geschützt werden. Mit den Untersuchu­ngsergebni­ssen Häcks, die heute genauer vorgestell­t werden, ist ein weiterer Schritt in diese Richtung getan.

Am 1. August wird die Stadt Augsburg ihre Bewerbung bei der deutschen Kultusmini­sterkonfer­enz abgeben. Das Schriftwer­k wird dort geprüft, bevor es im Februar nächsten Jahres an die Unesco geht. Augsburgs historisch­e Wasserwirt­schaft hat nach Auskunft von Experten gute Chancen, den Titel zu erhalten – eben deshalb, weil das Zusammensp­iel von Kanälen, Technik und Bauwerken einzigarti­g und gut erhalten ist.

Übrigens: Das Loch in der Maximilian­straße führte das Tiefbauamt vor zwei Jahren auf schlecht verfüllte historisch­e Fundamente und Kellergewö­lbe zurück. Bernhard Häck glaubt jedoch, es könnte sich auch um Kanäle handeln.

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