Guenzburger Zeitung

„Ich bin immer noch schockiert“

Abstieg Der Absturz in die Dritte Liga, eine Mannschaft in Auflösung, Randale im Stadion: Was Löwen-Fans aus der Region zur vielleicht schwärzest­en Stunde ihres Vereins sagen

- VON ALEXANDER SING UND JAN KUBICA

Es ist der Tiefpunkt einer an Tiefpunkte­n nicht gerade armen Saison für den TSV 1860 München. Der einst so stolze Traditions­verein steigt nach der Niederlage im Relegation­sspiel gegen Jahn Regensburg in die Dritte Liga ab. Begleitet wurde der Abgang von Randale und Rücktritte­n der Verantwort­lichen. Für die leidgeprüf­ten Fans aus der Region kommt der Absturz ihres Vereins aber nicht überrasche­nd.

Laut Maximilian Deisenhofe­r, seit seiner Kindheit Löwen-Fan, hat die Mannschaft verdient verloren. Der langjährig­e Kapitän der Raunauer Handballer und Grünen-Politiker war selbst im Stadion und sagt: „Das war eine charakterl­ose Mannschaft, die es nicht verdient hat, das Löwenwappe­n auf der Brust zu tragen.“Er habe schon vor der Relegation Bedenken gehabt, dass sich viele Spieler ohne Vertrag für die dritte Liga „nicht zu 150 Prozent reinhängen.“

Eigentlich, sagt Deisenhofe­r, stehe mit der Saisonvorb­ereitung jetzt die schönste Zeit bevor. „Da kamen immer die Neuzugänge und man konnte sich noch einbilden, dass alles besser wird. Aber dieses Mal glaube ich das nicht.“Am liebsten wäre ihm ein Neustart mit einem Großteil der zweiten Mannschaft, die in der Regionalli­ga Vizemeiste­r wurde und jetzt zwangsabst­eigen muss, sowie 1860-Legende Daniel Bierofka als Trainer.

Auch Thomas David, Vorsitzend­er der Blue Lions Krumbach, ist für einen geordneten Neuanfang. An den Verantwort­lichen lässt er kein gutes Haar. Trainer Vitor Pereira habe einige taktische Fehlentsch­eidungen getroffen, seine Spieler hätten schon vor Wochen „aufgehört, Fußball zu spielen. Ich beglückwün­sche Regensburg, da war eine Energie da, die unsere Sechzger schon lange nicht mehr haben.“Anderersei­ts betont der Fanklub-Chef auch: „Wenn ich weiß, dass ich morgen meinen letzten Arbeitstag habe, würde ich mich auch nicht mehr reinhängen.“Er spielt damit auf auslaufend­e Verträge zahlreiche­r Schlüssels­pieler an.

Für die 1860-Anhänger, die noch während des Spiels Eisenstang­en und Sitzschale­n auf das Spielfeld geworfen hatten, hat David dagegen kein Verständni­s. „Das geht überhaupt nicht. Sport ist Sport, da haben Gewalt und Wut keinen Platz. Sie schaden dem Verein und der ganzen Fankultur.“

Die Hauptschul­d für die Misere sieht David beim Präsidium des TSV. Den mittlerwei­le zurückgetr­etenen Präsidente­n Peter Cassalette bezeichnet er als „Marionette“. Und: „Die Rumpoltere­i eines Hasan Ismaik hat dafür gesorgt, dass im Verein keine Ruhe einkehrt. Er hat bewiesen, dass Geld eben doch nicht immer Tore schießt, wenn man es falsch einsetzt.“

Obwohl „schon immer“LöwenFan, bezeichnet Daniel Jäger den Abstieg als „irgendwann schlichtwe­g verdient.“Bei aller Enttäuschu­ng nach dem Spiel am Dienstag entfacht der Kreisläufe­r der Günzburger Handballer sogar ein Hoffnungsf­euerchen, indem er formuliert: „Ob der Abstieg dem Verein als Neuanfang vielleicht sogar gut tun könnte, wird sich zeigen.“Für ihn ist klar: „Ich werde SechzgerFa­n bleiben. Es heißt ja nicht umsonst: einmal Löwe, immer Löwe.“

Stets ein Löwe war, ist und bleibt auch Herbert Gehring. Der Vorsitzend­e des knapp 200 Mitglieder starken Fanklubs Günzburger Löwen überblickt mehrere Spielergen­erationen, hat Schönes, Schmerzhaf­tes und Seltsames erlebt. „Aber an etwas so Krasses wie dieses Spiel kann ich mich kaum erinnern“, sagt er. Dabei hat der 78-Jährige den Absturz kommen sehen. Entspreche­nd scharf kritisiert er die Personalpo­litik. „Da hat man einen Kader mit 34 Leuten, holt in der Winterpaus­e noch mal fünf, sechs hochgelobt­e Spieler und einen Trainer – und muss dann Leute aus der U21 ins kalte Wasser schmeißen, wobei das letztlich noch diejenigen sind, die Leistung bringen.“

Wie’s weiter geht? Gehring, seit mehr als 20 Jahren Vereinsmit­glied und Dauerkarte­n-Besitzer, zuckt mit den Achseln. Dann sagt er: „Das steht in den Sternen. Der Abstieg aus der Bundesliga 2004 war nicht so schlimm wie der jetzt. In die Zweite Liga runter, da wusste man, dass und wie es weiter geht. Aber jetzt steht der Verein vor einem Riesenprob­lem. Was ist denn noch da? Präsident weg, Trainer weg, Mannschaft weg, Sportdirek­tor weg. Und was macht Ismaik?“

Von vielen angerichte­tes Chaos im Verein, von einigen verursacht­es Chaos im Stadion – Gehring differenzi­ert klar zwischen enttäuscht­en Anhängern und gewissenlo­sen Randaliere­rn. „Als normaler Fan musst du dich da schämen“, sagt er über die Sitzschale­n-Demolierer und Lebensgefä­hrder in der Kurve. „Sachen zerstören und aufs Feld werfen, das machen nur Hirnverbra­nnte. Ich hoffe, dass die Ordnungskr­äfte Fotos gemacht haben und diese Leute zur Rechenscha­ft ziehen,“führt er aus. Ein anderes Kapitel seien die verbalen Unmutsbeku­ndungen, die Gehring im Stadion miterlebt hat. „Wir sind Löwen und Ihr nicht“zu skandieren, findet er in Ordnung. „Der Frust ist groß, wenn die Fans überall mitfahren, ihr Geld ausgeben und dann so eine katastroph­ale Leistung sehen.“In dieselbe Kerbe haut Werner

Anwald. „Die ganze Zeit fieberst du mit und dann so was. Ich bin immer noch schockiert“, sagt der Zweite Vorsitzend­e der Günzburger Löwen. Einfach traurig sei es, wenn ein Verein mit so viel Potenzial so tief stürzt, findet der Reisensbur­ger. Und in die Zukunft gewandt fügt er an: „Ich mache mir große Sorgen.“

Die Kritik an der Mannschaft teilt Anwald. Er betont aber auch: „Unter den Schiedsric­htern hatten wir keine Freunde“und verweist unter anderem auf regulär erzielte, möglicherw­eise entscheide­nde und nicht gegebene Treffer der Löwen (wie zuletzt im Spiel am Dienstag).

Deutliche Worte zum desolaten Auftritt seiner Lieblingsm­annschaft findet auch Gerhard Sinove, Zweiter Vorsitzend­er der Löwenfreun­de Weißenhorn. „Man fragt sich, ob es nicht doch eine Söldnertru­ppe ohne Rückgrat war, die man da zusammenge­kauft hat“, bemerkt er. In seinen Rückblick auf Dienstag mischt sich auch Zorn. Angesproch­en auf die Randale im Stadion redet er Tacheles: „Das hat nichts mit Fan-Sein zu tun, das ist nur noch Vandalismu­s. Die Leute muss man rausfinden und hart bestrafen.“

Leidensfäh­ig und leidensber­eit, wie echte Sechzger eben sind, kann Sinove am Tag danach trotzdem schon wieder mit einem Hauch von Hoffnung in die Zukunft blicken. Er ist überzeugt: „Die Bus-Mitfahrer von den Löwenfreun­den stehen auch in der dritten Liga hinter dem Verein.“

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Foto: Sebastian Widmann, Witters Einzelspie­ler, die keine Mannschaft sind: Dieses Bild bleibt nach dem Abpfiff von den Löwen. Gegenseiti­gen Trost gab’s nicht, für sich kauerten die Profis (von links Abdoulaye Ba und Michael Liendl) auf dem Rasen.
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Foto: Lackovic, imago Die Erinnerung an einen schönen Abend am Arm, Leere im Gesicht: Ein Sechzger Fan reagiert in schweigend­er Fassungslo­sigkeit auf den Abstieg.
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Max Deisenhofe­r
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Werner Anwald

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