„Ich bin immer noch schockiert“
Abstieg Der Absturz in die Dritte Liga, eine Mannschaft in Auflösung, Randale im Stadion: Was Löwen-Fans aus der Region zur vielleicht schwärzesten Stunde ihres Vereins sagen
Es ist der Tiefpunkt einer an Tiefpunkten nicht gerade armen Saison für den TSV 1860 München. Der einst so stolze Traditionsverein steigt nach der Niederlage im Relegationsspiel gegen Jahn Regensburg in die Dritte Liga ab. Begleitet wurde der Abgang von Randale und Rücktritten der Verantwortlichen. Für die leidgeprüften Fans aus der Region kommt der Absturz ihres Vereins aber nicht überraschend.
Laut Maximilian Deisenhofer, seit seiner Kindheit Löwen-Fan, hat die Mannschaft verdient verloren. Der langjährige Kapitän der Raunauer Handballer und Grünen-Politiker war selbst im Stadion und sagt: „Das war eine charakterlose Mannschaft, die es nicht verdient hat, das Löwenwappen auf der Brust zu tragen.“Er habe schon vor der Relegation Bedenken gehabt, dass sich viele Spieler ohne Vertrag für die dritte Liga „nicht zu 150 Prozent reinhängen.“
Eigentlich, sagt Deisenhofer, stehe mit der Saisonvorbereitung jetzt die schönste Zeit bevor. „Da kamen immer die Neuzugänge und man konnte sich noch einbilden, dass alles besser wird. Aber dieses Mal glaube ich das nicht.“Am liebsten wäre ihm ein Neustart mit einem Großteil der zweiten Mannschaft, die in der Regionalliga Vizemeister wurde und jetzt zwangsabsteigen muss, sowie 1860-Legende Daniel Bierofka als Trainer.
Auch Thomas David, Vorsitzender der Blue Lions Krumbach, ist für einen geordneten Neuanfang. An den Verantwortlichen lässt er kein gutes Haar. Trainer Vitor Pereira habe einige taktische Fehlentscheidungen getroffen, seine Spieler hätten schon vor Wochen „aufgehört, Fußball zu spielen. Ich beglückwünsche Regensburg, da war eine Energie da, die unsere Sechzger schon lange nicht mehr haben.“Andererseits betont der Fanklub-Chef auch: „Wenn ich weiß, dass ich morgen meinen letzten Arbeitstag habe, würde ich mich auch nicht mehr reinhängen.“Er spielt damit auf auslaufende Verträge zahlreicher Schlüsselspieler an.
Für die 1860-Anhänger, die noch während des Spiels Eisenstangen und Sitzschalen auf das Spielfeld geworfen hatten, hat David dagegen kein Verständnis. „Das geht überhaupt nicht. Sport ist Sport, da haben Gewalt und Wut keinen Platz. Sie schaden dem Verein und der ganzen Fankultur.“
Die Hauptschuld für die Misere sieht David beim Präsidium des TSV. Den mittlerweile zurückgetretenen Präsidenten Peter Cassalette bezeichnet er als „Marionette“. Und: „Die Rumpolterei eines Hasan Ismaik hat dafür gesorgt, dass im Verein keine Ruhe einkehrt. Er hat bewiesen, dass Geld eben doch nicht immer Tore schießt, wenn man es falsch einsetzt.“
Obwohl „schon immer“LöwenFan, bezeichnet Daniel Jäger den Abstieg als „irgendwann schlichtweg verdient.“Bei aller Enttäuschung nach dem Spiel am Dienstag entfacht der Kreisläufer der Günzburger Handballer sogar ein Hoffnungsfeuerchen, indem er formuliert: „Ob der Abstieg dem Verein als Neuanfang vielleicht sogar gut tun könnte, wird sich zeigen.“Für ihn ist klar: „Ich werde SechzgerFan bleiben. Es heißt ja nicht umsonst: einmal Löwe, immer Löwe.“
Stets ein Löwe war, ist und bleibt auch Herbert Gehring. Der Vorsitzende des knapp 200 Mitglieder starken Fanklubs Günzburger Löwen überblickt mehrere Spielergenerationen, hat Schönes, Schmerzhaftes und Seltsames erlebt. „Aber an etwas so Krasses wie dieses Spiel kann ich mich kaum erinnern“, sagt er. Dabei hat der 78-Jährige den Absturz kommen sehen. Entsprechend scharf kritisiert er die Personalpolitik. „Da hat man einen Kader mit 34 Leuten, holt in der Winterpause noch mal fünf, sechs hochgelobte Spieler und einen Trainer – und muss dann Leute aus der U21 ins kalte Wasser schmeißen, wobei das letztlich noch diejenigen sind, die Leistung bringen.“
Wie’s weiter geht? Gehring, seit mehr als 20 Jahren Vereinsmitglied und Dauerkarten-Besitzer, zuckt mit den Achseln. Dann sagt er: „Das steht in den Sternen. Der Abstieg aus der Bundesliga 2004 war nicht so schlimm wie der jetzt. In die Zweite Liga runter, da wusste man, dass und wie es weiter geht. Aber jetzt steht der Verein vor einem Riesenproblem. Was ist denn noch da? Präsident weg, Trainer weg, Mannschaft weg, Sportdirektor weg. Und was macht Ismaik?“
Von vielen angerichtetes Chaos im Verein, von einigen verursachtes Chaos im Stadion – Gehring differenziert klar zwischen enttäuschten Anhängern und gewissenlosen Randalierern. „Als normaler Fan musst du dich da schämen“, sagt er über die Sitzschalen-Demolierer und Lebensgefährder in der Kurve. „Sachen zerstören und aufs Feld werfen, das machen nur Hirnverbrannte. Ich hoffe, dass die Ordnungskräfte Fotos gemacht haben und diese Leute zur Rechenschaft ziehen,“führt er aus. Ein anderes Kapitel seien die verbalen Unmutsbekundungen, die Gehring im Stadion miterlebt hat. „Wir sind Löwen und Ihr nicht“zu skandieren, findet er in Ordnung. „Der Frust ist groß, wenn die Fans überall mitfahren, ihr Geld ausgeben und dann so eine katastrophale Leistung sehen.“In dieselbe Kerbe haut Werner
Anwald. „Die ganze Zeit fieberst du mit und dann so was. Ich bin immer noch schockiert“, sagt der Zweite Vorsitzende der Günzburger Löwen. Einfach traurig sei es, wenn ein Verein mit so viel Potenzial so tief stürzt, findet der Reisensburger. Und in die Zukunft gewandt fügt er an: „Ich mache mir große Sorgen.“
Die Kritik an der Mannschaft teilt Anwald. Er betont aber auch: „Unter den Schiedsrichtern hatten wir keine Freunde“und verweist unter anderem auf regulär erzielte, möglicherweise entscheidende und nicht gegebene Treffer der Löwen (wie zuletzt im Spiel am Dienstag).
Deutliche Worte zum desolaten Auftritt seiner Lieblingsmannschaft findet auch Gerhard Sinove, Zweiter Vorsitzender der Löwenfreunde Weißenhorn. „Man fragt sich, ob es nicht doch eine Söldnertruppe ohne Rückgrat war, die man da zusammengekauft hat“, bemerkt er. In seinen Rückblick auf Dienstag mischt sich auch Zorn. Angesprochen auf die Randale im Stadion redet er Tacheles: „Das hat nichts mit Fan-Sein zu tun, das ist nur noch Vandalismus. Die Leute muss man rausfinden und hart bestrafen.“
Leidensfähig und leidensbereit, wie echte Sechzger eben sind, kann Sinove am Tag danach trotzdem schon wieder mit einem Hauch von Hoffnung in die Zukunft blicken. Er ist überzeugt: „Die Bus-Mitfahrer von den Löwenfreunden stehen auch in der dritten Liga hinter dem Verein.“