Ausgegrenzt aus der Welt der Hörenden
Gesellschaft Der Gehörlosenverein Günzburg/Neu-Ulm feiert Jubiläum und will dabei auf Probleme aufmerksam machen
Landkreis/Burtenbach „Wir sind ganz normale Menschen“, stellt Peter Schweizer, der Vorsitzende des Gehörlosenvereins Günzburg/NeuUlm, fest. Aber in der alltäglichen Auseinandersetzung mit einer lauten Welt stoßen er und seine Leidensgenossen immer wieder auf Missachtung oder gar Ablehnung. Wer gehörlos ist, hat keine Teilhabe an der Kommunikation der Hörenden, er ist immer ausgeschlossen. Lippenlesen, erklären Peter Schweizer und sein Kollege Andreas Senger, funktioniert nur im Dialog. Der Gesprächspartner muss zudem langsam und deutlich sprechen und klar formulieren.
Trotzdem ist es für Gehörlose ein Akt höchster Konzentration und Anstrengung, sich so mit Hörenden zu unterhalten. Wenn Gehörlose sich entspannt gesellig austauschen wollen, geht das nur mit ihresgleichen. Deshalb ist für sie ein intensives Vereinsleben sozial unabdingbar. „In unserem Verein sind wir alle gleich. Wir können uns locker unterhalten. Aber wir haben auch ein anspruchsvolles Jahresprogramm, in dem wir versuchen, die großen Defizite, die wir im Alltagsleben hinnehmen müssen, ein wenig auszugleichen.“Jetzt steht in Burtenbach ein großes Fest an, denn vor 25 Jahren wurde der Gehörlosenverein gegründet, auch damals war Peter Schweizer federführend. Dank der Veranstaltungen, die von ihm und seinen Vorstandskollegen organisiert werden, erhalten Gehörlose ein Stückchen Normalität, können sowohl ein gesellschaftliches Leben pflegen als auch Informationsund Weiterbildungsangebote nutzen. Das Spektrum ist breit gestreut. In der Regel ist für Gehörlose genau das Gleiche von Interesse wie für Hörende, dennoch können sie deren Angebote nicht nutzen, denn der Zugang zu allgemeinbildenden Veranstaltungen ist ihnen verwehrt: Ohne Gebärdendolmetscher können sie Vorträgen nicht folgen, ohne Untertitel Filme nicht verstehen.
Es ist zu kurz gedacht, den Gehörlosen einfach die schriftliche Version eines Vortrags in die Hände zu drücken. „Wir haben eine andere Sprache, einen eigenen Wortschatz und eine eigene Grammatik. Einen komplizierten Text müsste uns der Gebärdendolmetscher übersetzen.“Doch in der Regel ist kein Geld da, um etwa Volks hochs chul veranstaltungen synchron zu übersetzen. „Leider wurde auch das neue Kino in Günzburg ohne eine dritte Spur mit Untertiteln für Hörgeschädigte gebaut, aus Kostengründen,“bedauert Peter Schweizer.
Mit seinem Verein kann er nur bedingt Ausgleich schaffen, durch Fahrten, Ausflüge, Bildungsreisen, bei denen ein Dolmetscher dabei ist. „Von einem normalen Ausflug haben wir ja nicht viel.“Am liebsten ist ihnen, wenn sie in der gemischten Gruppe reisen können, Hörende und Gehörlose, so können auch Hemmschwellen abgebaut werden. Oft würden, stellen Peter Schweizer und Andreas Senger fest, Hörende Berührungsängste haben, trauten sich nicht, mit ihnen in Kontakt zu treten. So gehört auch der Abbau von Vorurteilen und Peinlichkeiten mit zum Vereinsziel.
Gerade zum Jubiläum wollen die Gehörlosen in die Offensive gehen, öffentlich Präsenz zeigen, und die Hörenden einladen, sich mit der stillen Welt auseinanderzusetzen. Dabei beschränken sie sich nicht auf den üblichen Festakt, der mit Prominenz und peppigen Einlagen natürlich auch gefeiert wird. Sie zeigen zudem, was Gehörlose bewerkstelligen können. In einer eigenen Ausstellung, der „Deafmesse“, präsentieren Gehörlose Waren, Kunsthandwerk und Dienstleistungen. Dabei, erklärt Andreas Senger, geht es zum einen darum, die Leistungsfähigkeit gehörlosen Menschen aufzuzeigen. Und zum anderem um eine umfassende Information über moderne Hilfsmittel, die Gehörlosen zur Verfügung stehen, um ihren Alltag mit Arbeit und Freizeit möglichst selbstständig bewältigen zu können. Überdies wollen sie auch auf die spezifischen Bedingungen in Bayern hinweisen. Ihre Situation ist im Freistaat kritischer als in den meisten anderen Bundesländern.
Obwohl nach langen Jahren des Kampfes die Gebärdensprache 2002 in Deutschland endlich als offizielle Sprache anerkannt worden ist, lehnte die Politik in Bayern wiederholt ab, die Gebärdensprache als Schulfach einzuführen. „Wenn unsere Sprache in den allgemeinbildenden Schulen erlernt werden könnte, würden sehr viel mehr Menschen mit uns kommunizieren können.
Es wäre sicher auch ein Grund gelegt, den eklatanten Mangel an Dolmetschern zu beheben.“Im Bezirk Schwaben gibt es nur 13 Gebärdendolmetscher. Die Zahl derer, die für Amts-, Arzt- oder andere offizielle Besuche einen Dolmetscher benötigen, kann nur geschätzt werden, schließlich handelt es sich um keine meldepflichtige Krankheit, oft übernehmen hörende Angehörige die Aufgabe. Der Verein hat 50 Mitglieder, man geht von 4000 Gehörlosen in Bayern und 80 000 deutschlandweit aus. Den Dolmetschermangel spüren die Vereinsmitglieder immer wieder sehr deutlich. „Wir müssen unsere Veranstaltungen über ein Jahr im Voraus genau planen, um rechtzeitig einen Dolmetscher verpflichten zu können. Es ist völlig unmöglich, auf die Schnelle jemanden zu finden.“Auch deshalb hoffen die Gehörlosen, mit ihrer öffentlichen Aktion zum Jubiläum am 17. Juni Hörende auf sich aufmerksam machen zu können. Vielleicht regt sie auch den einen oder anderen jungen Menschen an, sich mit dem Studium des Gebärdendolmetschens anzufreunden.