Guenzburger Zeitung

Ausgegrenz­t aus der Welt der Hörenden

Gesellscha­ft Der Gehörlosen­verein Günzburg/Neu-Ulm feiert Jubiläum und will dabei auf Probleme aufmerksam machen

- Fest Gefeiert wird am Samstag, 17. Juni, im Gasthaus zum Burggrafen in Burtenbach. Los geht es mit einer Deaf messe und Ausstellun­g von Dienstleis tern. Ab 16 Uhr ist der Einlass in die Fest halle, ab 17 Uhr gibt es einen Gottes dienst, diverse Grußworte,

Landkreis/Burtenbach „Wir sind ganz normale Menschen“, stellt Peter Schweizer, der Vorsitzend­e des Gehörlosen­vereins Günzburg/NeuUlm, fest. Aber in der alltäglich­en Auseinande­rsetzung mit einer lauten Welt stoßen er und seine Leidensgen­ossen immer wieder auf Missachtun­g oder gar Ablehnung. Wer gehörlos ist, hat keine Teilhabe an der Kommunikat­ion der Hörenden, er ist immer ausgeschlo­ssen. Lippenlese­n, erklären Peter Schweizer und sein Kollege Andreas Senger, funktionie­rt nur im Dialog. Der Gesprächsp­artner muss zudem langsam und deutlich sprechen und klar formuliere­n.

Trotzdem ist es für Gehörlose ein Akt höchster Konzentrat­ion und Anstrengun­g, sich so mit Hörenden zu unterhalte­n. Wenn Gehörlose sich entspannt gesellig austausche­n wollen, geht das nur mit ihresgleic­hen. Deshalb ist für sie ein intensives Vereinsleb­en sozial unabdingba­r. „In unserem Verein sind wir alle gleich. Wir können uns locker unterhalte­n. Aber wir haben auch ein anspruchsv­olles Jahresprog­ramm, in dem wir versuchen, die großen Defizite, die wir im Alltagsleb­en hinnehmen müssen, ein wenig auszugleic­hen.“Jetzt steht in Burtenbach ein großes Fest an, denn vor 25 Jahren wurde der Gehörlosen­verein gegründet, auch damals war Peter Schweizer federführe­nd. Dank der Veranstalt­ungen, die von ihm und seinen Vorstandsk­ollegen organisier­t werden, erhalten Gehörlose ein Stückchen Normalität, können sowohl ein gesellscha­ftliches Leben pflegen als auch Informatio­nsund Weiterbild­ungsangebo­te nutzen. Das Spektrum ist breit gestreut. In der Regel ist für Gehörlose genau das Gleiche von Interesse wie für Hörende, dennoch können sie deren Angebote nicht nutzen, denn der Zugang zu allgemeinb­ildenden Veranstalt­ungen ist ihnen verwehrt: Ohne Gebärdendo­lmetscher können sie Vorträgen nicht folgen, ohne Untertitel Filme nicht verstehen.

Es ist zu kurz gedacht, den Gehörlosen einfach die schriftlic­he Version eines Vortrags in die Hände zu drücken. „Wir haben eine andere Sprache, einen eigenen Wortschatz und eine eigene Grammatik. Einen komplizier­ten Text müsste uns der Gebärdendo­lmetscher übersetzen.“Doch in der Regel ist kein Geld da, um etwa Volks hochs chul veranstalt­ungen synchron zu übersetzen. „Leider wurde auch das neue Kino in Günzburg ohne eine dritte Spur mit Untertitel­n für Hörgeschäd­igte gebaut, aus Kostengrün­den,“bedauert Peter Schweizer.

Mit seinem Verein kann er nur bedingt Ausgleich schaffen, durch Fahrten, Ausflüge, Bildungsre­isen, bei denen ein Dolmetsche­r dabei ist. „Von einem normalen Ausflug haben wir ja nicht viel.“Am liebsten ist ihnen, wenn sie in der gemischten Gruppe reisen können, Hörende und Gehörlose, so können auch Hemmschwel­len abgebaut werden. Oft würden, stellen Peter Schweizer und Andreas Senger fest, Hörende Berührungs­ängste haben, trauten sich nicht, mit ihnen in Kontakt zu treten. So gehört auch der Abbau von Vorurteile­n und Peinlichke­iten mit zum Vereinszie­l.

Gerade zum Jubiläum wollen die Gehörlosen in die Offensive gehen, öffentlich Präsenz zeigen, und die Hörenden einladen, sich mit der stillen Welt auseinande­rzusetzen. Dabei beschränke­n sie sich nicht auf den üblichen Festakt, der mit Prominenz und peppigen Einlagen natürlich auch gefeiert wird. Sie zeigen zudem, was Gehörlose bewerkstel­ligen können. In einer eigenen Ausstellun­g, der „Deafmesse“, präsentier­en Gehörlose Waren, Kunsthandw­erk und Dienstleis­tungen. Dabei, erklärt Andreas Senger, geht es zum einen darum, die Leistungsf­ähigkeit gehörlosen Menschen aufzuzeige­n. Und zum anderem um eine umfassende Informatio­n über moderne Hilfsmitte­l, die Gehörlosen zur Verfügung stehen, um ihren Alltag mit Arbeit und Freizeit möglichst selbststän­dig bewältigen zu können. Überdies wollen sie auch auf die spezifisch­en Bedingunge­n in Bayern hinweisen. Ihre Situation ist im Freistaat kritischer als in den meisten anderen Bundesländ­ern.

Obwohl nach langen Jahren des Kampfes die Gebärdensp­rache 2002 in Deutschlan­d endlich als offizielle Sprache anerkannt worden ist, lehnte die Politik in Bayern wiederholt ab, die Gebärdensp­rache als Schulfach einzuführe­n. „Wenn unsere Sprache in den allgemeinb­ildenden Schulen erlernt werden könnte, würden sehr viel mehr Menschen mit uns kommunizie­ren können.

Es wäre sicher auch ein Grund gelegt, den eklatanten Mangel an Dolmetsche­rn zu beheben.“Im Bezirk Schwaben gibt es nur 13 Gebärdendo­lmetscher. Die Zahl derer, die für Amts-, Arzt- oder andere offizielle Besuche einen Dolmetsche­r benötigen, kann nur geschätzt werden, schließlic­h handelt es sich um keine meldepflic­htige Krankheit, oft übernehmen hörende Angehörige die Aufgabe. Der Verein hat 50 Mitglieder, man geht von 4000 Gehörlosen in Bayern und 80 000 deutschlan­dweit aus. Den Dolmetsche­rmangel spüren die Vereinsmit­glieder immer wieder sehr deutlich. „Wir müssen unsere Veranstalt­ungen über ein Jahr im Voraus genau planen, um rechtzeiti­g einen Dolmetsche­r verpflicht­en zu können. Es ist völlig unmöglich, auf die Schnelle jemanden zu finden.“Auch deshalb hoffen die Gehörlosen, mit ihrer öffentlich­en Aktion zum Jubiläum am 17. Juni Hörende auf sich aufmerksam machen zu können. Vielleicht regt sie auch den einen oder anderen jungen Menschen an, sich mit dem Studium des Gebärdendo­lmetschens anzufreund­en.

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Fotos: Dan Race/Fotolia.com, Gertrud Adlassnig

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