Guenzburger Zeitung

Mit dem „Wanderer“an den Gardasee

200 Jahre Fahrrad Was Gerhard Brühmüller aus Niederraun­au an Fahrten mit einem Gefährt aus den 30er-Jahren reizt und welche Touren noch folgen sollen

- VON PETER WIESER »Bayern, Wissen extra

Niederraun­au Auf den Tag genau ist es heute 200 Jahre her: Am 12. Juni 1817 startete Karl Freiherr von Drais mit seinem hölzernen Laufrad zu seiner legendären Mannheimer Jungfernfa­hrt. Die Fahrt mit seiner „Draisine“gilt als die Geburtsstu­nde des Fahrrads – der Beginn einer einzigarti­gen Erfolgsges­chichte. Etwa eine Stunde benötigte von Drais damals für die rund 15 Kilometer lange Strecke und erreichte damit immerhin eine Durchschni­ttsgeschwi­ndigkeit von 15 Stundenkil­ometern. 200 Jahre später sind viele Räder mit Hightech geradezu gespickt. Aber vielleicht gerade deswegen bleibt der Blick in die Radgeschic­hte so fasziniere­nd. Und immer wieder reizt Tüftler das besondere Radelgefüh­l mit Oldtimern mit wenig Technik.

Schauplatz­wechsel – von Mannheim nach Riva del Garda. Der Gardasee ist nicht nur als Dorado für Surfer bekannt, die Gegend um ihn herum ist auch das Ziel vieler Langstreck­enfahrer. Natürlich nicht mit der Draisine, sondern vielmehr mit High-Tech-Rennrädern. Ein solches Bike besitzt auch Gerhard Brühmüller aus Niederraun­au und der Gardasee war ebenfalls schon mehrmals sein Ziel. Teilgenomm­en hat er auch schon an verschiede­nen Langstreck­enrennen, wie beim 24- Stunden-Radmaratho­n in Grießkirch­en in Oberösterr­eich (624 Kilometer, 31. Platz), am Radklassik­er Mailand – San Remo (291 Kilometer, 85. Platz) und am Styrkeprøv­en in Norwegen, dem Radmaratho­n von Trondheim nach Oslo (540 Kilometer). Doch zurück zum Gardasee: In 19 bis 20 Stunden hätten sie immer die 430 Kilometer lange Strecke zurückgele­gt, erzählt Brühmüller von den Touren mit seinen Radelkumpe­ls. Aber muss es denn tatsächlic­h unbedingt so ein High-Tech-Rad sein, um die Strecke zu bewältigen? Eben das hatte sich der 45-Jährige vor zwei Jahren auch gefragt. „Ich wollte beweisen, dass das mit einem alten Fahrrad und ohne Gangschalt­ung genauso möglich ist“, erzählt er weiter.

Bei Ebay kaufte er sich vor zwei Jahren einen Fahrrad-Oldie der Marke „Wanderer“, Baujahr 1935. „Wähle Wanderer, des Wertes wegen“, so lautete 1920 der Slogan des Unternehme­ns. Tatsächlic­h galt „Wanderer“schon damals als „Miehle“unter den Fahrrädern. „Es musste scho was G’scheit’s“sein“, erzählt Gerhard Brühmüller schmunzeln­d. Andere Felgen, einige kleine Reparature­n und das Fahrrad war fahrbereit. Lediglich auf die Original-Fahrradkli­ngel hat er verzichtet. Die hätte ungefähr so viel gekostet, wie das ganze Fahrrad selbst. Im Frühjahr vergangene­n Jahres gab es noch eine Probefahrt zum Kloster Andechs – der „Wanderer“rollte perfekt. Im Sommer startete er dann seine Tour an den Gardasee – abends um halb acht, nach dem Grillen mit der Familie.

Vier Steaksemme­ln habe er sich noch auf den Weg mitgenomme­n, verrät Brühmüller lachend. Und auch das Outfit musste passen: Die kurze Hirschlede­rne, das karierte Hemd über dem Feinrippun­terhemd, Fahrradhel­m im ledernen Retro-Look und natürlich Haferlschu­he und Wollsocken. Für sein Gepäck, darunter komplettes Werkzeug, eine große Fahrradpum­pe, Flickzeug und Ersatzschl­äuche, diente, ebenfalls standesgem­äß, der alte Tiroler Bergsteige­rrucksack. Immerhin: 22 Kilogramm Fahrrad und weitere zehn Kilo hinten auf dem Gepäckträg­er. Etwas anderes als sein gerade einmal 6,8 Kilo schweres Karbonrad. Ach ja, und anstatt der 20 bis 30 Gänge eben nur einen einzigen.

Schongau, Innsbruck, die alte Brennerstr­aße, Bozen – 30 Stunden Fahrzeit hatte er sich als Ziel gesetzt. Einmal habe ihn die hintere Bremse verlassen. Dann hieß es eben, mit der vorderen Stempelbre­mse zu bremsen – bis das blanke Metall auf den Reifen drückte. Die letzten zehn Minuten über den Brenner legte Gerhard Brühmüller nur noch mit Schieben zurück. Dort begannen auch die schwersten Kilometer, bei 33 Grad und extremem Gegenwind. Das Ziel nun so nah, und doch so weit weg, habe er sich gedacht. Ab Rovereto begleitete­n ihn zwei Mountainbi­ker aus dem Fränkische­n, die ihm dann in Riva noch bei der Hotelsuche halfen. Zunächst hatten sie ihn gefragt, bei welcher „Challenge“er denn mitfahre. Letztendli­ch fanden sie es „absolut cool“, als Brühmüller ihnen den Grund seiner Fahrt verriet. Aber er wurde auch anders gesehen, manche hielten ihn für einen Landstreic­her und Gammler, es gab Äußerungen wie „Was isch denn des für a B’soffener?“

„I war maushie“, als er schließlic­h in Riva angekommen war, erzählt Gerhard Brühmüller. Aber er hatte seine Tour geschafft – in exakt 23 Stunden und 18 Minuten, und einem Verbrauch von rund 15 Litern Wasser, zwei Dosen Cola und einer Dose Red Bull. Zwei Rennradkum­pels holten ihn samt „Wanderer“am nächsten Tag mit dem VW-Bus ab, mit anschließe­ndem Zwischenst­opp in Südtirol, um „nochmal a bissle auszuschna­ufen“.

Unbedingt noch einmal möchte Gerhard Brühlmülle­r eine solche Tour nicht mehr machen. Dafür ist sein „Wanderer“das ideale Fortbewegu­ngsmittel zu Biergarten­ausfahrten, wie zum Munding nach Krumbach. „Ich bin ein Langstreck­enfahrer“, sagt er. Die nächste Tour ist schon geplant: Die wird mit fünf oder sechs Rennrad-Kumpels vom französisc­hen Bayonne am Atlantik nach Perpignan am Mittelmeer führen – den Teilnehmer­n der Tour de France hinterher. Und was sagt seine Frau Birgit, die sich eher als „Genussradl­erin“bezeichnet, eigentlich dazu? „Man gewöhnt sich dran“, sagt sie lachend. Eine Frage bleibt allerdings unbeantwor­tet: Wie lange hätte Karl Freiherr von Drais vor 200 Jahren wohl mit seiner Draisine an den Gardasee gebraucht?

200 Jahre Fahrrad

 ?? Foto: Sammlung Brühmüller ??
Foto: Sammlung Brühmüller
 ?? Foto: Peter Wieser ??
Foto: Peter Wieser

Newspapers in German

Newspapers from Germany