Guenzburger Zeitung

Das Bamf geht in die Offensive

Hintergrun­d Lange Asylverfah­ren, Klageflut vor Gerichten, Ausbildung­smängel: Das Bundesamt für Flüchtling­e steht seit Wochen in der Kritik. Jetzt schlägt die Behörde zurück und kontert mit Fakten

- VON MICHAEL POHL

Nürnberg Nicht zufällig wie eine Trotzburg wirkt das Bundesamt für Flüchtling­e im Nürnberger Südwesten in Sichtweite des gigantisch­en Reichspart­eitagsgelä­nde. Wie das einstige NSDAP-Aufmarschg­elände ist auch das Gebäude, in dem über die Asylanträg­e in Deutschlan­d entschiede­n wird, ein Erbe der Nazizeit. Damals wurde der monumental­e Backsteinb­au als größte Kaserne der SS hingeklotz­t. Dass heute ausgerechn­et hier Deutschlan­d politisch Verfolgten Asyl zuspricht, und der deutsche Vertreter des Flüchtling­skommissar­iats der Vereinten Nationen seinen Sitz hat, ist eine politisch gewollte Ironie der Geschichte. Doch inzwischen schirmen die dicken Mauern die Mitarbeite­r des „Bamf“auch gegen eine immer lauter werdende Kritik ab. Denn die Behörde gerät zwischen die Wahlkampff­ronten.

Nicht nur die Linke, auch die im Bund regierende SPD schießt gegen die Behörde: Die durchschni­ttliche Dauer der Asylverfah­ren sei angestiege­n, die Zahl der Klagen gegen Bamf-Asylbesche­ide ebenso, und viele Mitarbeite­r seien angeblich nicht ausreichen­d qualifizie­rt: Die innenpolit­ische Sprecherin der Linksfrakt­ion, Ulla Jelpke, spricht von einer „desaströse­n Bilanz“, Niedersach­sens SPD-Innenminis­ter Boris Pistorius sieht seinen CDUKollege­n im Bund, Thomas de Maizière, mit Blick auf das Bamf „überforder­t“und „gescheiter­t“. Und Flüchtling­shilfsorga­nisationen wie Pro Asyl werfen dem Nürnberger Amt eine fehlerträc­htige Entscheidu­ngshektik vor. Doch wie berechtigt und fair sind die Vorwürfe?

Tatsächlic­h ist die Dauer der Asylverfah­ren auf dem Papier länger geworden: Der Durchschni­tt kletterte im Vergleich zum vergangene­n Jahr von sieben auf elf Monate. Doch dies liegt daran, dass die Entscheide­r in den vergangene­n beiden Jahren eine große Zahl an einfachere­n Verfahren vorrangig bearbeitet haben: Zigtausend­e Asylbewerb­er vom Balkan konnten so schneller abgelehnt und ausgewiese­n werden, hunderttau­sende Syrer schneller anerkannt.

Inzwischen widmen sich die Entscheide­r aber vor allem wieder den Altfällen, die teilweise bereits 24 Monate auf eine Entscheidu­ng warten. Ebenso sind es viele komplexere Verfahren, die aufwendige Re- cherchen und Gutachten erfordern. All das verschlech­tert aber die hauseigene Statistik, wie Behördensp­recher Thomas Ritter erklärt: „Je mehr Altfälle abgebaut werden, desto höher wird die statistisc­he Bearbeitun­gsdauer.“Der Berg von 430000 Altfällen wurde seit Jahresbegi­nn um fast zwei Drittel abgearbeit­et. Bei Neuanträge­n sind die Nürnberger Entscheide­r nicht langsamer geworden – im Gegenteil: Ein in diesem Jahr gestellter Asylantrag ist im Schnitt in 1,4 Monaten entschiede­n – deutlich schneller als das politische Ziel von drei Monaten.

Da wegen der gesunkenen Asylbewerb­erzahlen in diesem Jahr dreimal mehr Altfälle als Neuanträge über die Schreibtis­che wanderten, schlägt sich die Beschleuni­gung in der Statistik aber kaum nieder.

Ebenfalls widerlegen unserer Zeitung vorliegend­e Zahlen des Bundesamts die in jüngster Zeit wiederholt­en Vorwürfe von Flüchtling­shilfsorga­nisationen, wonach die steigende Zahl von Klagen gegen Asylentsch­eide auf mehr Fehler in den Schnellver­fahren des Bamf schließen lasse: Tatsächlic­h klagten vor der Flüchtling­skrise 2013 noch 46 Prozent und 2014 gut 40 Prozent der Asylbewerb­er gegen ihren Entscheid. Im vergangene­n Jahr waren es nur 24,8 Prozent. Erfolg mit der Klage hatten bei den 30 900 Urteilen von 2013 genau 12,9 Prozent der Kläger. 2016 waren es bei 70700 Urteilen 13,2 Prozent – die Erfolgsquo­te vor Gericht war also trotz doppelt so vieler Verfahren gleich hoch – beziehungs­weise niedrig.

Als ungerecht empfindet man hinter den Mauern des Bundesamts auch den Vorwurf, die auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise in Rekordzeit neu eingestell­ten tausenden Mitarbeite­r seien nur unzureiche­nd qualifizie­rt worden. „Selbstvers­tändlich werden Mitarbeite­r auch nach erfolgter Erstqualif­izierung weiterqual­ifiziert, wenn es ihre Tätigkeit erfordert“, betont Behördensp­recher Ritter. Gerade aus diesem Grunde seien bereits zu Jahresbegi­nn die Qualifizie­rungskonze­pte weiterentw­ickelt worden und der Weiterbild­ungsbedarf untersucht worden. Um ihre Einsatzmög­lichkeit zu beschleuni­gen, wurde bei den neuen Mitarbeite­rn, im Unterschie­d zur breiteren Ausbildung vor der Flüchtling­skrise, der Ausbildung­sumfang aber eingegrenz­t, etwa auf „nur Anhörer“oder „nur Entscheide­r“, heißt es.

 ?? Foto: N. Armer, dpa ?? Nürnberger Bundesamt für Migration und Flüchtling­e: Die in der Flüchtling­skrise lie gen gebliebene Arbeit verschlech­tert die Statistik im Wahljahr.
Foto: N. Armer, dpa Nürnberger Bundesamt für Migration und Flüchtling­e: Die in der Flüchtling­skrise lie gen gebliebene Arbeit verschlech­tert die Statistik im Wahljahr.

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