Guenzburger Zeitung

Vom Krieg gezeichnet

Augenzeuge Ein junger Syrer aus Krumbach hat die Anfänge der Revolution miterlebt und als Weißhelm tote Kinder aus den Trümmern geborgen. Er gibt einen Einblick in einen undurchsic­htigen Konflikt

- VON STEFAN REINBOLD

Krumbach Die meisten Revolution­en in der Geschichte haben einen entscheide­nden Punkt, an dem sich der anfangs unorganisi­erte Unmut in Proteste ausweitet und zum gewaltsame­n Umsturz oder Bürgerkrie­g wendet. In Syrien nimmt diese Entwicklun­g ihren Lauf in der Stadt Daraa, als Proteste wegen der Inhaftieru­ng von fünf Buben, die ein regierungs­kritisches Graffiti an eine Wand gesprüht hatten, eskalieren. Omar hat diesen Moment als Augenzeuge erlebt. Der 31-jährige Syrer hat in Krumbach Asyl erhalten. Seinen richtigen Namen will er nicht nennen, weil die Kritik am Regime Assads für seine Verwandten, die zum Teil noch in seiner Heimatstad­t im Norden Syriens leben, tödlich sein kann.

Er sei damals 2011, als überall in der arabischen Welt Proteste aufflammte­n, nach Abschluss seines Informatik­studiums als Militärdie­nstleisten­der in der syrischen Armee in Daraa stationier­t gewesen. Als auch in Daraa die Menschen auf die Straße gehen und ihre Stimme gegen die Regierung erheben, reagiert die Staatsmach­t mit Gewalt. Einer der Soldaten habe sich geweigert, mit scharfer Munition auf die friedliche­n Demonstran­ten zu feuern, sagt Omar. Daraufhin sei er vor den Augen der anderen Soldaten von einem Offizier erschossen worden. Später, als die Truppen vorrücken und die Demonstran­ten einzukesse­ln versuchen, wird Omar von einer explodiere­nden Granate getroffen. Zwei seiner Kameraden seien dabei getötet worden, Omar hatte mehr Glück. Doch die Explosion verletzt sein Bein schwer. 36 Schrapnell­splitter bleiben in seinem Knie stecken, wie das Röntgenbil­d, das Jahre später im Günzburger Krankenhau­s gemacht wird, zeigt. Omar sagt, er habe gesehen, wie Angehörige des syrischen Militärgeh­eimdienste­s die Granate von einem Haus aus abgefeuert hätten. Er habe sie an der Farbe der Erkennungs­zeichen ihrer Uniform erkannt. Ob das stimmt, lässt sich nicht überprüfen. Omar behauptet, der Angriff auf die eigenen Leute soll als Rechtferti­gung für die blutige Niederschl­agung des Aufstandes gedient haben.

Mit diesem Wissen habe er nicht mehr zu seiner Einheit zurückkehr­en können, sagt Omar, der als Angehörige­r der Ismailiten, einer schiitisch geprägten Minderheit, ohnehin kein besonders großes Vertrauen im Syrien Assads genoss. Anwohner helfen dem verletzten Soldaten und zerren Omar von der Straße in ein Haus. In der Armee als vermisst gemeldet, gelang es Omar über die Grenze in die Türkei zu einem Onkel zu gelangen, wo er sich in Antakya in einem Krankenhau­s behandeln ließ. Durch seine Desertion automatisc­h in die Opposition geraten, schloss sich Omar in Antakya einer zivilen Hilfsorgan­isation an, die in dem, der Kontrolle der syrischen Regierung, entglitten­en Norden Wiederaufb­auhilfe leisten wollte. Unterstütz­t und finanziert wurde die Organisati­on von der Assistance Coordinati­on Unit, einer Art Dachverban­d verschiede­nster Hilfsorgan­isationen, mit Sitz in der Türkei.

Nach seiner Genesung war Omar im Auftrag seiner Hilfsorgan­isation etwa ein Jahr lang in der Gegend um die syrische Stadt Idlib unterwegs, um verschiede­ne zivile Projekte umzusetzen. Eines davon war die Organisati­on freier Kommunalwa­hlen in den vom Assad-Regime befreiten Gemeinden rund um Idlib. In Omars Augen waren das die ersten freien Wahlen in der Geschichte seines Landes. Allerdings brachte ihn diese Arbeit in Konflikt mit der Nusra-Front – eine dem IS nahe stehende und von den UN als Terrororga­nisation eingestuft­e Gruppe – die das Ergebnis der Kommunalwa­hlen nicht akzeptiert­e. Stattdesse­n wurden die Mitglieder der Hilfsorgan­isation mit dem Tod bedroht.

Unter diesen Umständen zog es Omar vor, sich nach einem anderen Arbeitgebe­r umzusehen. Er heuerte als eine Art Bürgerrepo­rter bei dem opposition­ellen Medienport­al Shaam News Network an. Für das Medium machte er Videos und kleinere Berichte über die Luftschläg­e der syrischen Armee und ihrer Verbündete­r. Dazu schloss er sich dem syrischen Zivilschut­z – besser bekannt als Weißhelme – an. Die Organisati­on hat ihren Sitz in Großbritan­nien und ist in den von opposition­ellen Gruppen beherrscht­en Landesteil­en Syriens aktiv. Finanziert wird sie vor allem von den USA, Großbritan­nien, Deutschlan­d und den Niederland­en. Vordergrün­dig geht es den Weißhelmen darum, nach Bombenangr­iffen Verletzte aus den Trümmern zu retten und Leichen zu bergen. Daneben tritt die Organisati­on auch für einen Regimewech­sel in Syrien ein. Omar sagt, er sei aufgrund seiner Verletzung weniger an Rettungsei­nsätzen beteiligt gewesen. Er habe sich in der Organisati­on eher um „Logistik und Koordinati­on“gekümmert. Dennoch habe er zahllose Verletzte und Tote gesehen. Die Bilder getöteter Kinder, im Schutt der zerbombten Häuser, gehen ihm bis heute nicht aus dem Kopf. Er sei in dieser Zeit ein anderer Mensch geworden, sagt er. Irgendwann kam er an einen Punkt, an dem er nicht mehr weitermach­en konnte. Hinzu kam die Bedrohung durch die Nusra-Front, bei der sein Name auf der Todesliste stand. In einer Gegend, in der die Herrschaft über ein Gebiet schnell wechseln kann, fühlte er sich zunehmend unsicher. Weil er auch in seine Heimatstad­t, wo seine Frau bis heute lebt, nicht zurückkehr­en kann, entschloss er sich zur Flucht.

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Foto: Privat 36 Schrapnell­splitter stecken in Omars rechtem Bein.

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