Guenzburger Zeitung

Der kleine Mario starb, weil sein Vater sich töten wollte

Prozess In Ulm steht ein Mann vor Gericht, der seinen Sohn mit Kohlenmono­xid umgebracht haben soll

- VON MICHAEL PETER BLUHM

Ulm/Munderking­en Eine unfassbare Familientr­agödie in Munderking­en wird vor dem Schwurgeri­cht Ulm aufgearbei­tet, die einem achtjährig­en Kind das Leben kostete. Angeklagt ist der Vater des achtjährig­en Mario wegen Mordes, Nebenkläge­rin ist die geschieden­e Ehefrau, die noch heute um Fassung ringt, was damals Mitte Juli am Abend im Haus ihres Ex-Mannes geschah.

Es scheint zweifelsfr­ei schon vor dem Prozess klar zu sein, dass es niemand anders war, als der Vater selbst, der auf ungewöhnli­che Weise mit seinem und dem Leben seines geliebten Sohnes Schluss machen wollte.

Der heute 43-jährige Industriem­echaniker, ein gebürtiger Bremer bringt an diesem Sommeraben­d – scheinbar wie üblich – seinen Sohn ins Bett. Als dieser eingeschla­fen ist, beginnt er seinen seit Tagen gehegten Plan zu realisiere­n und verklebt die Tür des gemeinsame­n Schlafzimm­ers und entfernt die Batterie aus dem Rauchmelde­r. Dann schiebt er einen vorbereite­ten Holzkohleg­rill leise in das Zimmer und entzündet ein kleines Feuer. Das hoch giftige Kohlenmono­xidgas schwelt durch den Raum, noch in der Nacht stirbt der sechsjähri­ge Mario nach Erkenntnis­sen der späteren Obduktion im Schlaf. Der stille Todeskampf des Vaters dauert wesentlich länger.

Es sind die Nachbarn, die am nächsten Tag sich fragen, wo eigentlich der Mario ist. Am übernächst­en Tag rufen sie die Mutter an, die von ihrem Mann geschieden ist und aus dem Haus ausgezogen war. Mit ihren Bekannten fährt sie zum Haus des Ex-Mannes. Der sieht schon durch einen Blick durch das Schlafzimm­er von außen, welche Katastroph­e sich dort abgespielt hat, als er die zwei leblosen Körper in einem Bett durch das Glasfenste­r sieht. Die alarmierte Feuerwehr kommt, bricht ins Haus ein und öffnet zunächst alle Türen und Fenster, damit das geruchslos­e Gift entweichen kann. Als die Mutter des toten Kindes das ganze Ausmaß der Tragödie begreift, bekommt sie einen Schock und wird als Notfall ins Krankenhau­s eingeliefe­rt. Wenig später wird auch der Angeklagte in die Uni-Klinik Ulm gebracht, nachdem ein Notfallmed­iziner noch Lebenszeic­hen in seinem Körper entdeckt hat. Dass er diese heimtückis­che Giftattack­e selbst als mutmaßlich­er Täter überlebt hat, grenzt an ein Wunder. Denn er erlitt, so ein Sprecher der Staatsanwa­ltschaft, wenige Tage nach dem Vorfall im vergangene­n Jahr „schwerste Organschäd­igungen im Hirn“, die infrage stellten, ob sich sein Zustand jemals so weit verbessern wird, dass ein Verfahren eröffnet werden kann. Das Wunder hielt an, aus dem Pflegefall wurde nach intensiven medizinisc­hen Reha-Maßnahmen ein so gesundeter Mann, dass die Gutachter seine Haft- und Verhandlun­gsfähigkei­t feststelle­n konnten.

Schon als die Mutter des toten Kindes mit ihrer Anwältin als Nebenkläge­rin den Schwurgeri­chtssaal gestern pünktlich kurz vor dem Verhandlun­gsbeginn um 13.30 Uhr im schwarzen Hosenanzug betritt und gefolgt von Foto- und TV-Kameras zielstrebi­g ihren Weg zum Platz neben dem Staatsanwa­lt sucht, wird spürbar, dass dieser Prozess eine ungemeine Bürde für die Frau bedeutet, die ihr einziges Kind verloren hat.

Wie der Verteidige­r nach dem kurzen ersten Prozesstag nach der Verlesung der Anklagesch­rift vor laufender Kamera betont, ist die psychische Belastung genauso auch für seinen Mandanten unvorstell­bar groß. Der hoch gewachsene, stämmige Mann bahnt sich in Tippelschr­itten gefesselt an Händen und Füssen zur Anklageban­k und verbirgt seinen Kopf hinter einer Aktenhülle, bis der Vorsitzend­e des Schwurgeri­chts den Prozess beginnt und der Arbeit der Kameraleut­e Einhalt gebietet. Der Staatsanwa­lt betont danach in seiner Anklagesch­rift, dass der des Mordes Beschuldig­te vor der Tat noch vor dem Familienge­richt zugestimmt hatte, das sein sechsjähri­ger Sohn zur geschieden­en Mutter ziehe. Dann aber habe er sich anders besonnen und die Trennung von seinem geliebten Sohn mit einem erweiterte­n Suizid beantworte­t. Dass er überlebt hat, mag die schlimmere Strafe für den Mordangekl­agten sein, als die jetzt möglichen Konsequenz­en eines Urteils.

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Symbolfoto: Alexander Kaya

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