Der kleine Mario starb, weil sein Vater sich töten wollte
Prozess In Ulm steht ein Mann vor Gericht, der seinen Sohn mit Kohlenmonoxid umgebracht haben soll
Ulm/Munderkingen Eine unfassbare Familientragödie in Munderkingen wird vor dem Schwurgericht Ulm aufgearbeitet, die einem achtjährigen Kind das Leben kostete. Angeklagt ist der Vater des achtjährigen Mario wegen Mordes, Nebenklägerin ist die geschiedene Ehefrau, die noch heute um Fassung ringt, was damals Mitte Juli am Abend im Haus ihres Ex-Mannes geschah.
Es scheint zweifelsfrei schon vor dem Prozess klar zu sein, dass es niemand anders war, als der Vater selbst, der auf ungewöhnliche Weise mit seinem und dem Leben seines geliebten Sohnes Schluss machen wollte.
Der heute 43-jährige Industriemechaniker, ein gebürtiger Bremer bringt an diesem Sommerabend – scheinbar wie üblich – seinen Sohn ins Bett. Als dieser eingeschlafen ist, beginnt er seinen seit Tagen gehegten Plan zu realisieren und verklebt die Tür des gemeinsamen Schlafzimmers und entfernt die Batterie aus dem Rauchmelder. Dann schiebt er einen vorbereiteten Holzkohlegrill leise in das Zimmer und entzündet ein kleines Feuer. Das hoch giftige Kohlenmonoxidgas schwelt durch den Raum, noch in der Nacht stirbt der sechsjährige Mario nach Erkenntnissen der späteren Obduktion im Schlaf. Der stille Todeskampf des Vaters dauert wesentlich länger.
Es sind die Nachbarn, die am nächsten Tag sich fragen, wo eigentlich der Mario ist. Am übernächsten Tag rufen sie die Mutter an, die von ihrem Mann geschieden ist und aus dem Haus ausgezogen war. Mit ihren Bekannten fährt sie zum Haus des Ex-Mannes. Der sieht schon durch einen Blick durch das Schlafzimmer von außen, welche Katastrophe sich dort abgespielt hat, als er die zwei leblosen Körper in einem Bett durch das Glasfenster sieht. Die alarmierte Feuerwehr kommt, bricht ins Haus ein und öffnet zunächst alle Türen und Fenster, damit das geruchslose Gift entweichen kann. Als die Mutter des toten Kindes das ganze Ausmaß der Tragödie begreift, bekommt sie einen Schock und wird als Notfall ins Krankenhaus eingeliefert. Wenig später wird auch der Angeklagte in die Uni-Klinik Ulm gebracht, nachdem ein Notfallmediziner noch Lebenszeichen in seinem Körper entdeckt hat. Dass er diese heimtückische Giftattacke selbst als mutmaßlicher Täter überlebt hat, grenzt an ein Wunder. Denn er erlitt, so ein Sprecher der Staatsanwaltschaft, wenige Tage nach dem Vorfall im vergangenen Jahr „schwerste Organschädigungen im Hirn“, die infrage stellten, ob sich sein Zustand jemals so weit verbessern wird, dass ein Verfahren eröffnet werden kann. Das Wunder hielt an, aus dem Pflegefall wurde nach intensiven medizinischen Reha-Maßnahmen ein so gesundeter Mann, dass die Gutachter seine Haft- und Verhandlungsfähigkeit feststellen konnten.
Schon als die Mutter des toten Kindes mit ihrer Anwältin als Nebenklägerin den Schwurgerichtssaal gestern pünktlich kurz vor dem Verhandlungsbeginn um 13.30 Uhr im schwarzen Hosenanzug betritt und gefolgt von Foto- und TV-Kameras zielstrebig ihren Weg zum Platz neben dem Staatsanwalt sucht, wird spürbar, dass dieser Prozess eine ungemeine Bürde für die Frau bedeutet, die ihr einziges Kind verloren hat.
Wie der Verteidiger nach dem kurzen ersten Prozesstag nach der Verlesung der Anklageschrift vor laufender Kamera betont, ist die psychische Belastung genauso auch für seinen Mandanten unvorstellbar groß. Der hoch gewachsene, stämmige Mann bahnt sich in Tippelschritten gefesselt an Händen und Füssen zur Anklagebank und verbirgt seinen Kopf hinter einer Aktenhülle, bis der Vorsitzende des Schwurgerichts den Prozess beginnt und der Arbeit der Kameraleute Einhalt gebietet. Der Staatsanwalt betont danach in seiner Anklageschrift, dass der des Mordes Beschuldigte vor der Tat noch vor dem Familiengericht zugestimmt hatte, das sein sechsjähriger Sohn zur geschiedenen Mutter ziehe. Dann aber habe er sich anders besonnen und die Trennung von seinem geliebten Sohn mit einem erweiterten Suizid beantwortet. Dass er überlebt hat, mag die schlimmere Strafe für den Mordangeklagten sein, als die jetzt möglichen Konsequenzen eines Urteils.