Guenzburger Zeitung

Martin Schulz kriegt die Kanzlerin nicht zu fassen

Die Union liegt wieder klar vor der SPD. Keine Wechselsti­mmung wie 1998. Die wahlentsch­eidende Frage lautet: Kann es der Herausford­erer besser?

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger allgemeine.de

Als Martin Schulz vor kurzem bei der Vorstellun­g seines Buches gefragt wurde, warum er der bessere Kanzler wäre, nannte der Kandidat mehrere Gründe. Er sei näher dran an den Menschen als Angela Merkel, kenne sich internatio­nal gut aus und verfüge über besondere Kompetenze­n in der Europa- und Kommunalpo­litik. Und überhaupt: Er, Schulz, sei jetzt dran – Merkel habe „gut regiert“, doch zwölf Jahre seien genug.

Man sollte diesen Ausschnitt eines Interviews nicht auf die Goldwaage legen. Hätte Schulz für die Antwort auf diese Frage mehr Zeit gehabt, wäre ihm noch viel eingefalle­n. Dass er das Land „gerechter“machen, mehr investiere­n, Europa von den Fesseln deutscher Sparpoliti­k befreien werde und so weiter. Allerdings illustrier­en seine Worte sehr anschaulic­h das gravierend­ste Problem, mit dem es der grandios gestartete und inzwischen auf dem Boden der Realitäten gelandete Kanzlerkan­didat zu tun hat. Näher dran an den Menschen? Bürgermeis­ter von Würselen? Kenntnis internatio­naler Politik? Schön und gut. Aber, mit Verlaub: Reicht das, um die Bundeskanz­lerin aus dem Amt zu drängen? Schulz hat – jedenfalls in den Augen der meisten Bürger – bisher keine überzeugen­de Antwort auf die wahlentsch­eidende Frage parat, was er wirklich anders oder gar besser machen könnte als die in weltpoliti­schen Krisen gestählte, auf internatio­nalem Parkett glänzende Regierungs­chefin. Deshalb, und erst recht im Lichte seines Absturzes in der Gunst des Publikums, wirkt die ständige Selbstanpr­eisung als „nächster Bundeskanz­ler“zunehmend schal.

Kohl wurde 1998 nach 16 Jahren abgewählt, weil die Menschen seiner überdrüssi­g waren und einen gründliche­n Wechsel wollten. „Danke Helmut, es reicht“, ließ SPD-Herausford­erer Schröder plakatiere­n. Nur: Schulz ist kein Schröder, und Merkel wirkt bei weitem nicht so ablösungsr­eif wie einst der noch länger gediente Kohl. Das bisschen Wechselsti­mmung, das nach der Nominierun­g von Schulz entstanden war, hat sich daher auch längst wieder verflüchti­gt. Die CDU/CSU ist mit rund 40 Prozent wieder die mit Abstand stärkste Kraft, und die SPD steckt wieder in jener Zone fest, wo sie vor dem Schulz-Hype stand – bei mageren 22 bis 25 Prozent. Auch im direkten Vergleich liegt Merkel wieder klar vorn. Ob die Kanzlerin diesen Vorsprung noch mal aus der Hand gibt? Eher nicht, zumal viele der von ihrer Flüchtling­spolitik enttäuscht­en Stammwähle­r zurückkehr­en, die AfD schwächelt und die von Schulz nicht klar ausgeschlo­ssene rot-rot-grüne Option das konservati­ve Lager mobilisier­t. In der SPD lebt noch die Hoffnung auf eine Aufholjagd, wie sie zuletzt dem britischen Labourchef Corbyn gelungen ist. Doch Merkel ist nicht Theresa May, die soziale Lage nicht annähernd so verschärft wie auf der Insel – weshalb ja auch die Gerechtigk­eits-Kampagne der SPD in der breiten Mitte der Gesellscha­ft (wo Wahlen gewonnen werden) nicht richtig zündet.

Schulz schlägt sich wacker. Er kann Menschen begeistern, hat die SPD zu neuem Leben erweckt und (moderate) Reformplän­e präsentier­t. Aber er kriegt Angela Merkel einfach nicht zu fassen. Die Kanzlerin strahlt jene Sicherheit und Stabilität aus, die in stürmische­n Zeiten wie diesen doppelt zählt. Die Mehrheit der Deutschen vertraut ihr und ihrer Erfahrung. Sie hat auch außenpolit­isch, auf dem Paradefeld des Herausford­erers, die Meinungsfü­hrerschaft. Und die Bürger sind mit der wirtschaft­lichen Lage so zufrieden wie seit 20 Jahren nicht mehr. Martin Schulz braucht also noch ein paar zündende Argumente, um die Wähler von der Notwendigk­eit einer Ablösung Merkels und einer SPD-geführten Regierung zu überzeugen.

Die Mehrheit setzt ihr Vertrauen in Angela Merkel

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