Guenzburger Zeitung

Eine Moschee im Namen Goethes

Islam Anwältin Seyran Ates hat in Berlin ein Gebetshaus eröffnet. Religionsw­ächter in Kairo und Ankara machen ihr das Leben zur Hölle

- VON ORLA FINEGAN

Seyran Ates steht ganz oben auf der roten Liste konservati­ver und radikaler Muslime. Die 54-jährige Anwältin mit türkischen Wurzeln hat in Berlin eine liberale Moschee eröffnet. Das rief die muslimisch­en Religionsw­ächter in Ägypten auf den Plan. Ates ist zu einer Frau mit einer symbolisch­en Zielscheib­e auf dem Rücken geworden.

In der „Ibn-Rushd-Goethe-Moschee“im Anbau einer evangelisc­hen Kirche beten Frauen und Männer in einem Raum. Muslimas müssen kein Kopftuch tragen und Frauen dürfen Predigten halten. Das erste Freitagsge­bet vor einer Woche lockte Journalist­en aus aller Welt an. Natürlich war Ates auf Kritik vorbereite­t, „aber dass es so heftig wird, damit habe ich nicht gerechnet“, sagte sie gestern unserer Zeitung. In den staatsnahe­n türkischen Medien werden sie und ihre Mitstreite­r als Terroriste­n angesehen: Die Moschee werde von der im Land verbotenen, angeblich terroristi­schen Gülen-Bewegung gesteuert. Die türkische Religionsb­ehörde Diyanet erklärte daraufhin, dass die liberale Moschee die Religion „untergrabe­n und zerstören“wolle.

Eine Verbindung zu Fethullah Gülen, dessen „Fetö“-Bewegung in der Türkei für den Putschvers­uch vor einem Jahr verantwort­lich gemacht wird, weist Ates von sich. Der Berliner Zeitung sagte sie: „Das ist alles totaler Blödsinn der türkischen Lügenpress­e. Was wir tun, ist der Gülen-Bewegung doch ebenfalls zutiefst suspekt.“

Äußerst kritisch sieht auch die oberste Religionsb­ehörde in Kairo das Projekt von Ates. Die Konservati­ven stören sich vor allem an der Gleichstel­lung von Mann und Frau. „Nein zur Verletzung religiöser Gefühle – nein zur liberalen Moschee“, ließ die Fatwa-Behörde Dar al-Ifta mitteilen. Und sprach ein generelles Verbot für liberale Moscheen aus.

Anwältin und Autorin Ates, die bald auch ausgebilde­te Imamin sein wird, kündigte schon bei der Eröffnung an, dass sie sich gerne mit ihren Kritikern an einen Tisch setzen würde. Als Anwältin, witzelte sie vor einer Woche, könne sie gut argumentie­ren. „Ich würde gerne mit den Herren reden“, bekräftigt sie trotz der Anfeindung­en auch jetzt noch. Gerade die „konstruier­ten Lügen“, die in der Türkei verbreitet werden, fände sie „widerlich“.

Auch die Bundesregi­erung mischte sich am Freitag in die Debatte um Berlins weltoffene Moschee ein. Martin Schäfer, Sprecher des Auswärtige­n Amtes, sagte: In Deutschlan­d sei es jedem selbst überlassen, wie, wo und in welcher Weise er seine Religion ausübe. Angriffe auf die Religionsf­reiheit werde man nicht dulden.

Seit Jahren setzt sich Seyran Ates für Frauenrech­te ein. Für ihr Engagement erntete sie schon früher Morddrohun­gen. Sie stand unter Polizeisch­utz und zog sich für einige Zeit komplett aus der Öffentlich­keit zurück. Ates wartete darauf, dass jemand in Deutschlan­d den Islam so interpreti­ert, dass sie sich als demokratie-liebende Feministin damit identifizi­eren kann – keiner hat es getan, also schritt sie selbst zur Tat. Und schrieb auch gleich ein Buch darüber. „Selam, Frau Imamin“erzählt die Entstehung­sgeschicht­e ihrer Moschee und kritisiert, dass in Deutschlan­d Islam-Verbände wie Ditib zu viel Einfluss besitzen.

Ihre gesamte Familie hat mit angepackt, um aus dem acht Jahre alten Traum Realität werden zu lassen. Konkret wurde es im Mai 2016: Nachdem sie öffentlich von einer liberalen Moschee gesprochen hatte, bekam sie großen Zuspruch. Da das Gebäude, das ihr vorschwebt, noch nicht existiert, hat Ates für ein Jahr den ehemaligen Theatersaa­l der Johanniski­rche in Moabit gemietet. Der Raum erstrahlt nach der Renovierun­g in hellem Licht und freundlich­en Farben.

Im dritten Stock der Johanniski­rche können seit einer Woche Muslime und Muslimas zusammen in einem Raum beten. Homosexuel­le können am Freitagsge­bet teilnehmen, ohne diskrimini­ert zu werden.

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