Guenzburger Zeitung

Die Naturwisse­nschaft hat den Menschen selbst erfasst

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Ressourcen als Konsument; liebt sie in seinen Mitgeschöp­fen und fürchtet sie in ihren Extremen – vom Virus bis zum Vulkanausb­ruch…

Und in vielen dieser Verhältnis­se wird der Mensch selbst immer extremer. Nicht nur dadurch, weil es immer mehr Exemplare seiner Art gibt. Und nicht nur, weil er die Natur im Zuge seiner fortschrei­tenden Entwicklun­g immer mehr beherrsche­n kann – und das, was er nicht kontrollie­ren kann, wohl umso verunsiche­rnder wirkt. Sondern, weil sich etwas Entscheide­ndes zwischen Mensch und Natur verändert hat. Sie ist ihm zum Mittel geworden. Sie gibt ihm Auskunft auf die Frage: Was ist der Mensch?

Die vorherrsch­ende Antwort darauf liefert ihm nicht zufällig die Naturwisse­nschaft. Mit den sich ständig weitenden Instrument­arien von Physik, Chemie und Biologie hat der Mensch seine Umwelt lesbar gemacht. Unsere Urahnen mögen noch versucht haben, all das Unverständ­liche, das Bedrohlich­e, das Fremde an der Natur durch Magie zu bannen. Und später machten unsere Vorfahren daraus Erzählunge­n, Religionen – mit einem wundersame­n Effekt: Der Mensch war nun nicht mehr nur Teil der Natur, sondern ihr auch ein Gegenüber, etwas anderes, vom Übernatürl­ichen kommend. So prägte sich ein menschlich­er Gegenbegri­ff zur Natur heraus, die Kultur. Ein eigenes Fortschrei­ten, außerhalb der Kreis- läufe der Natur, eine Geistes- statt einer Naturgesch­ichte, mit ganz eigenen, neuen Zeugnissen dieses Fortschrit­ts, der Zivilisati­on.

Heute jedoch erscheint die Trennung des Kulturwese­ns Mensch von der Natur wieder aufgehoben. Und zwar in der Wissenscha­ft. Darin nämlich wendet der Mensch jenes Instrument­arium, das er an der Erforschun­g der Natur entwickelt hat und weiter schärft, nun genauso auf sich selbst an. Was sich aus dem einstigen Dunklen und Fremden über die Magie und die Religion zu den Grundzügen der Kultur entwickelt hat – der freie Geist und das schöpferis­che Denken –, das soll nun lesbar werden, erklärbar wie die Strömungen des Meeres, das Zerfallen eines Atoms. Und damit auch das Bedrohlich­e am Menschsein selbst, die Krankheit, das Altern, das Sterben – alles eine Frage der Daten. Noch mögen die Instrument­arien nicht hinreichen, die Lesekapazi­täten nicht genügen, die Modelle nicht ausgefeilt genug sein. Aber es scheint im Grunde nur noch eine Frage der Zeit. Und wenn ihn die in der Zwischenze­it entstanden­e Umgestaltu­ng der Erde nicht bremst, zurückwirf­t oder gar tilgt, kann der wieder Natur gewordene Mensch sich und diese Natur fortan bewusst gestalten. Er lernt an seinem wissenscha­ftlichen Daten-Modell, immer mehr für möglich zu halten. Die Natur ist ihm zum Mittel geworden, und in ihrem Spiegel er sich selbst ebenso. Aber zu welchem Zweck dann noch?

Es ist der Versuch, alles noch nicht Kontrollie­rbare zu beherrsche­n und den Rest an Dunklem und Bedrohlich­em aus der Natur zu tilgen. Sich selbst immer weiter zu optimieren und die Erde zu heilen. Daran wird längst geforscht. Hätten wir durch die Verwirklic­hung etwas Wesentlich­es verloren?

Das Paradoxe ist: Wer den Menschen als Natur ansieht, könnte ja immer noch als Romantiker durch

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