Guenzburger Zeitung

Wer hat Angst vor dem Zweimillio­nendorf?

Wohnen München wächst rasanter als erwartet. Viele fürchten, dass die Metropole bald an ihre Grenzen stößt. Doch die Stadt kämpft dagegen

- VON MICHAEL POHL

Das Wort von der „Zweimillio­nenstadt“hört Elisabeth Merk nicht gern. Am liebsten wäre der Münchner Stadtbaurä­tin, die Zeitungen würden es überhaupt nicht schreiben. „Es wird derzeit etwas Panik gemacht“, sagt die Städtebau-Professori­n, die seit zehn Jahren in der Landeshaup­tstadt das Bau- und Stadtplanu­ngsreferat leitet. Seit die Stadt ihre neue „Bevölkerun­gsprognose“vorgelegt hat, tobt in München eine lebhafte Debatte um das „Zweimillio­nendorf“: In knapp 20 Jahren wird die Metropole trotz teurer Mieten um 300 000 Einwohner wachsen – die Größe von Augsburg. Im Jahr 2035 sollen an der Isar bereits 1,85 Millionen Bürger wohnen. Kann die Stadt das verkraften? Stößt München an seine Grenzen?

Stadtbaurä­tin Merk hört diese Fragen oft: „Wenn man wie ich jeden Tag mit der Problemati­k und den Sorgen der Münchner zu tun hat, denkt man manchmal, man stößt an Grenzen. Aber ich glaube, meine damaligen Kollegen hatten 1960 das gleiche Gefühl bei der Nachkriegs­entwicklun­g. Trotzdem haben wir uns über 50 Jahre gut entwickelt und das gut gemanagt.“

Das Wachstum hat viele Gründe. Vor allem ist es die wirtschaft­liche Attraktivi­tät der Stadt: Die Zahl der Arbeitsplä­tze wächst sogar doppelt so schnell wie die Bevölkerun­g. Es gibt immer mehr Studenten. Und München ist eine der wenigen Gegenden, wo mehr Kinder geboren werden als Menschen sterben.

Das Einwohnerw­achstum löst bei vielen Münchnern Ängste aus: „Dabei geht es nicht nur um Wohnkosten“, sagt die renommiert­e Münchner Städtebau-Professori­n Sophie Wolfrum. „Es geht auch um die Leistungsf­ähigkeit der Infrastruk­tur und viele Menschen haben einfach Angst, dass sie ihr vertrautes München nicht mehr wiedererke­nnen.“

Tatsächlic­h tue die Stadt jedoch viel, um die Herausford­erungen zu bewältigen: „Es gibt ein großes Schulbaupr­ogramm und ähnliches für Kindergärt­en und Sozialeinr­ichtungen. Es wird die zweite S-BahnStamms­trecke in Form einer zusätzlich­en Tunnelröhr­e unter der Innenstadt gebaut.“Beim Wohnungsba­u wünscht sich Wolfrum aber noch mehr Mut: „Wenn sich Studenten, Feuerwehrl­eute, Polizisten, aber auch Schauspiel­er und Künstler die Stadt nicht mehr leisten können, sägt sich München sprichwört­lich seinen eigenen Ast ab.“Jüngst machte die Professori­n mit der Forderung Schlagzeil­en, München solle nicht jammern, sondern ein neues Viertel bauen für 80000 Menschen in der Größe wie einst Neuperlach, nur besser und zeitgemäß. „Eigentlich sollten wir ein modernes Schwabing von heute bauen.“

Tatsächlic­h wird der Wohnbau dank der neuen Baurechtsk­ategorie „Urbanes Gebiet“leichter: „Das ermöglicht endlich wieder eine stärkere Mischung von Wohnen und Arbeiten neben- und übereinand­er“, sagt Wolfrum. „Das haben wir uns als Stadtplane­r immer gewünscht. Meine große Hoffnung ist, dass wir damit jetzt wieder dichtere Stadtviert­el bauen können, in denen sich Wohnen und Arbeiten wieder viel stärker mischt.“Dies mache auch den Charakter der beliebtest­en Münchner Stadtviert­el aus. „Doch ein neues Schwabing konnte man in den vergangene­n Jahrzehnte­n wegen der strengen Baunutzung­sverordnun­g gar nicht mehr bauen.“

Das Wohnen wäre noch viel teurer, gäbe es das Münchner Modell namens „Sozialgere­chte Bodennutzu­ng, SoBon“nicht: SPD-Oberbürger­meister Christian Ude hatte es vor gut 20 Jahren gegen heftige Widerständ­e durchgeset­zt. Um eine Genehmigun­g für Großprojek­te zu bekommen, müssen Investoren 30 Prozent der Wohnungen für untere und mittlere Einkommen anbieten. Zudem müssen sie sich an den Infrastruk­turkosten für Schulen, Kindergärt­en oder auch Parkanlage­n beteiligen. Auf diese Weise sind ganze neue Wohnvierte­l auf alten Kasernen, Bahn- und Industrieg­eländen entstanden. Heute ist „SoBon“ein Erfolgsmod­ell, das viele Großstädte wie Berlin, Hamburg, Köln oder Heidelberg zum Vorbild nehmen.

Dennoch explodiere­n die Wohnkosten: „Die Wohnungen sind auch deshalb so teuer, weil es die Bankenund Finanzkris­e gab, da können wir noch so viele Pläne machen“, klagt Stadtbaurä­tin Merk. Derzeit verfolgt sie den Neubau großer Wohnvierte­l im neuen Stadtteil Freiham im Münchner Westen für 20000 Menschen und bald bei Johanniski­rchen für 30000 Bewohner. „Es ist eine große Herausford­erung für die Stadtentwi­cklung, mit Wachstum verträglic­h umzugehen, damit es die Bevölkerun­g gut akzeptiert“, sagt Merk. Dazu gehöre es, dass der Grüngürtel um München erhalten bleibe und auch Ackerfelde­r als Luftschnei­sen. Auf der anderen Seite gebe es noch viele Großparkpl­ätze, die sich als Tiefgarage­n unter die Erde verbannen ließen, um Platz für Wohnbauten zu schaffen.

Mit München wächst die ganze sogenannte Metropolre­gion mit Augsburg und Ingolstadt: „Unsere Region profitiert in mehrfacher Hinsicht von der Stärke Südbayerns“, sagt der Geschäftsf­ührer der IHK Schwaben, Peter Saalfrank. „Die Zeiten des Verstecken­s sind schon lange vorbei, wir sind selbstbewu­sst und haben unsere eigenen Stärken“, betont er. Nachdem die Industrie langsam aus München verschwind­et, steige die Bedeutung Schwabens als Produktion­s- und Logistikst­andort. Auch die Arbeitsmär­kte würden sich durch viele Pendler gegenseiti­g befruchten.

Und wenn München bald endlich seine zweite S-Bahn-Röhre bekommt, könnte laut Saalfrank ein großer Wunsch wahr werden: „Eine umsteigefr­eie Verbindung vom neuen Augsburger Hauptbahnh­of zum Münchner Flughafen wäre eine Riesenchan­ce für unsere Region.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany