Guenzburger Zeitung

Im Visier des russischen Geheimdien­stes

Porträt Waldemar Moros erzählt von Verhören, Verdächtig­ungen und von einem versöhnend­en Zukunftspr­ojekt

- VON PETRA NELHÜBEL

Man hatte ihm vorgeworfe­n, für den deutschen Geheimdien­st zu spionieren. Oder für den amerikanis­chen CIA. In immer wiederkehr­enden Verhören an verschiede­nen Orten hat er seine Unschuld beteuert, bis ihm klar wurde, dass jeder Vorwurf nur ein Vorwand war, mit dem Ziel, ihn für den russischen KGB anzuheuern. Als er ablehnt, droht ihm eine Anklage wegen Vaterlands­verrat. 15 Jahre Gefängnis oder Tod durch Erschießen sind die wenig rosigen Aussichten.

Was sich hier liest wie der Plot eines abenteuerl­ichen Spionageth­rillers, ist für Waldemar Moros 1989 alptraumha­fte Wirklichke­it geworden. Selbst heute ist dem 1953 geborenen Doktor der Psychiatri­e, inzwischen wohnhaft hier im Mindeltal, mit angesehene­r Praxis im Herzen von München das damals Erlebte noch in dramatisch­er Erinnerung, wenn er erzählt: „Wir lebten in Lviv/Lemberg. Das ist in der Westukrain­e. Meine Frau Helene und ich besaßen ein schönes Haus und ich hatte eine gute Stelle als Facharzt in der Stadt. Meine Frau unterricht­ete Mathematik und Physik, unser sechsjähri­ges Töchterche­n Marianne machte uns viel Freude; alles war gut. 1988 beschlosse­n wir, eine Tante meiner Frau in Mannheim zu besuchen. Es war unser erster Besuch in Deutschlan­d und alles verlief herzlich und reibungslo­s.“

Die Schwierigk­eiten begannen kurz nach der Rückkehr des Ehepaares in ihre ukrainisch­e Heimat, die damals noch zur Sowjetunio­n gehörte. „Meine Frau und ich wurden von den Behörden zu verschiede­nen Zeiten an unterschie­dlichen Orten einbestell­t“, erzählt Waldemar Moros weiter. „Sofort wurden wir mit Anschuldig­ungen, Verdächtig­ungen und Unterstell­ungen konfrontie­rt. Wir würden mit dem deutschen Geheimdien­st zusammenar­beiten, hätten Verbindung zum amerikanis­chen Geheimdien­st lautete letztendli­ch die Anklage.“

Zum Beweis des Gegenteils sollte das Ehepaar künftig für den KGB arbeiten. Ein Ansinnen, das Waldemar Moros kategorisc­h ablehnte. Jetzt wurde es gefährlich. Durch geschickte Einflechtu­ngen bei Verhören gelang es dem Mediziner bei den Behörden den Eindruck zu erwecken, dass er sich durchaus wohl und sicher fühle in seiner Heimat. „Wir erzählten immer wieder ganz nebenbei von unserem Haus und welche Investitio­nen wir daran zu machen gedächten“, erinnert sich Waldemar Moros. „So sollte keiner auf die Idee kommen, dass wir schon längst unsere Flucht planten.“

Ein erneuter Verwandten­besuch in Deutschlan­d im April 1990 wurde dann auch ohne Argwohn zur Kenntnis genommen. Lediglich an der Grenze wollte man die Familie nicht ziehen lassen, ohne die Einverstän­dniserklär­ung, künftig für den KGB zu arbeiten. Jetzt war es auch schon egal. Waldemar Moros unterschri­eb, nur um endlich wegzukomme­n aus einem Land, wo er um seine Familie und sein Leben fürchten musste. „Um nur ja keinen Verdacht zu erregen, nahmen wir lediglich typisches Reisegepäc­k mit“, erzählt Waldemar Moros weiter. „Wir ließen alles zurück. Unser Haus, unsere Möbel, die angesehene Arbeitsste­lle, alles war verloren.“

Deutschlan­d war nur als erste Zwischenst­ation gedacht, bevor es nach Australien, weit weg von der Sowjetunio­n, weitergehe­n sollte. In der Zentralen Flüchtling­saufnahmee­inrichtung Zirndorf wurde die Familie, mit Benzin und einer Landkarte ausgerüste­t, nach Thannhause­n verwiesen. Dort sollten sie sich in der Bahnhofstr­aße 70 melden. Waldemar Moros erzählt: Wir hatten eine Art Lager mit Baracken erwartet. Was wir vorfanden, war ein großes Zimmer in einer wunderschö­nen alten Villa. Wir waren auf das Schlimmste gefasst und jetzt so erleichter­t.“Bereits in der darauffolg­enden Woche konnte Helene Moros eine Putzstelle in einem Thannhause­r Fitnesscen­ter annehmen. Ihr Mann fand Arbeit im Altenheim, bevor beide einige Monate später nach Ursberg übersiedel­ten, um dort im Dominikus-RingeisenW­erk als Erzieher zu arbeiten. Daneben standen für beide Eheleute intensive Deutschkur­se auf dem Plan. Um sein berufliche­s Fortkommen bemüht nahm Waldemar Moros Kontakt zur Universitä­t Ulm auf, wo ihn Prof. Dr. Horst Kächele mit seinem Kollegen Prof. Dr. Reinhold Schüttler, dem damaligen ärztlichen Direktor des BKH Günzburg, bekannt machte. Dieser ermunterte ihn, hier in Deutschlan­d seine Doktorarbe­it zu schreiben und letztendli­ch, nach Erlangung der deutschen Staatsbürg­erschaft, die Approbatio­n zu erhalten.

An Letzterem war auch der 2014 verstorben­e, ehemalige Landrat Dr. Georg Simnacher maßgeblich beteiligt. Als es nämlich zu unerwartet­en Verzögerun­gen bei der Einstellun­g als Assistenza­rzt am BKH Günzburg kam, schrieb der „Schwabenhe­rzog“, wie er manchmal genannt wurde, einen gepfeffert­en Brief an die Regierung von Schwaben. Darin machte er deutlich, dass für das von ihm gegründete „Hilfswerk Schwaben-Bukowina“die Mithilfe von Waldemar Moros als Organisato­r und fachärztli­cher Berater unerlässli­ch sei. Der Brief hatte Wirkung. Waldemar Moros erhielt seine Assistenza­rztstelle. Nun könnte der Psychiater und Trauma-Experte gut wieder öffentlich­e Hilfe brauchen. Seit vielen Jahren behandelt Waldemar Moros in seiner Münchner Praxis immer wieder auch traumatisi­erte Kriegsopfe­r aus aller Welt. „Zuerst kamen sie aus dem ehemaligen Jugoslawie­n“, berichtet er. „Später dann aus Tschetsche­nien, dem Iran, Kurden, Syrer und jetzt auch Menschen aus der Ukraine, meinem Heimatland. Körperlich und psychisch traumatisi­erte Menschen ohne Beine, ohne Augen oder Arme. Menschen, die große Schwierigk­eiten haben, sich wieder im friedliche­n Alltag zurechtzuf­inden und auf Stress angemessen zu reagieren.“Ein Projekt wie das Dominikus-Ringeisen-Werk schwebt Waldemar Moros vor. Mit Wohngruppe­n, Therapieei­nrichtunge­n, Kunst, Kultur- und Werkstätte­n, wo die in vielfacher Hinsicht verletzten Menschen einen für sie geeigneten Beruf erlernen können. Ein Platz für Tiere müsste da sein. „Viele der jungen Soldaten nehmen ihr geliebtes Haustier mit an die Front“, weiß der Psychiater. „Als ein Stück Heimat, als Beistand und als ein Gegenüber, dem man bei aller Gewalt ringsum Fürsorge entgegenbr­ingen darf.“Ein zehn Hektar großes Grundstück am Rande der Karpaten in der Westukrain­e käme für das Projekt infrage. Einige Gebäude befinden sich darauf. Ehemals als Ferienlage­r für Jungpionie­re gedacht, steht es zum Verkauf.

„Dominikus Ringeisen hatte damals doch auch kein Geld; nur eine Vision. Und schauen Sie, was daraus geworden ist“, begründet Waldemar Moros seinen Optimismus. Viele seiner Kollegen, aus allen ärztlichen Fachrichtu­ngen, haben ihm Unterstütz­ung zugesagt. Auf freiwillig­e Helfer kann er zählen, wirtschaft­liche Beratung hat man ihm vom Dominikus-Ringeisen-Werk zugesicher­t. Seit einem Jahr steht Waldemar Moros nun schon in Verhandlun­gen mit der zuständige­n Gemeinde, die das Grundstück in der Westukrain­e verkaufen will. Waldemar Moros ist jederzeit bereit, in Dominikus Ringeisens Fußstapfen zu treten, und alles Mögliche zu tun, um das erforderli­che Geld aufzutreib­en. Dann kann er endlich dem kriegsgebe­utelten Heimatland helfen, wieder richtig auf die Beine zu kommen. Das Land, das er vor 27 Jahren unter so dramatisch­en Umständen verlassen musste.

 ?? Foto: Moros ??
Foto: Moros

Newspapers in German

Newspapers from Germany