Guenzburger Zeitung

„Ich wollte nie dünn sein“

Sie sagt: „Auch eine fette Frau darf stolz auf ihren Körper sein.“So wurde Beth Ditto zur Pop-Ikone. Jetzt ist sie zurück – auch mit Mode

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Sie haben Ihre zweite Modekollek­tion in Übergrößen vorgestell­t, und jetzt kommt nach fünf Jahren Veröffentl­ichungspau­se und dem Ende der Band Gossip Ihr erstes Soloalbum. Nach Faulsein sieht das nicht aus.

Rumgammeln kann ich nur in der Theorie. Ich fühle mich besser, wenn ich in Arbeit ertrinke. Das Tollste ist: Ein neues Hobby habe ich auch. Welches denn?

Häkeln! Ich kann jetzt häkeln wie eine Weltmeiste­rin. Echt wahr. Ich habe uns den ganzen Hausstand gehäkelt, Schals, Mützen, Sweater, eine warme Decke. Ich kann alles häkeln. (auf Deutsch): I häkel it.

Die Songs Ihre Albums, „Fire“zum Beispiel oder die Fifties-Soulnummer „In And Out“, hören sich echt heiß an

Yeah. Sex, Leidenscha­ft und Energie. Wow. Das ist genau das, was ich erreichen wollte (rückt näher). Komm, lass uns endlich häkeln!

Sie stammen aus einem Kaff namens Searcy in Arkansas. Ist Ihre Direktheit typisch für die Menschen aus den US-Südstaaten?

Ja. Wir sind nett, warm, freundlich, liebenswür­dig… – und verdammt laut. Beschreibe­n Sie sich da gerade selbst?

Bin ich nett? Oder doch eher furchtbar? Bin ich peinlich? Ich wette. Wir sind nicht sehr fein und vornehm, dafür haben wir ein großes Herz.

Woran denken Sie sonst noch, wenn Sie an Ihre Heimat denken? Es war ja nicht alles schön in Ihrer Kindheit. Sie sind zwar mit sechs Geschwiste­rn und einer liebevolle­n Mutter, aber auch mit wechselnde­n Stiefväter­n großgeword­en, Ihr Onkel hat Sie missbrauch­t.

Das ist alles richtig, aber das ist nicht das erste, woran ich denke. Ich denke lieber an die schönen Sachen. An die Musik, die Kultur, das Essen, die großen Familien. Bei uns im Süden lachen alle so laut wie ich. Aber die Schattense­iten kann man nicht weg reden. Wir waren arm, und wir waren wirklich viele. Ich habe heute früh noch versucht, alle meine Neffen und Nichten aufzuzähle­n. Ich kenne die alle, aber ich weiß gerade nicht, wie viele es sind. Gerade erst ist wieder einer zur Welt gekommen.

Trotz der Vorzüge konnten Sie es nicht abwarten wegzukomme­n. Mit 18 sind Sie in den Nordwesten der USA gezogen, seit 15 Jahren leben Sie im liberalen Portland in Oregon.

Ja, ich verließ Arkansas, so schnell ich konnte. Es gab so vieles auf der Welt, das ich unbedingt sehen wollte. Und Arkansas ist echt eine komische Ecke. Es ist sehr rassistisc­h, nicht sehr divers, nicht besonders tolerant, die Menschen haben kein Interesse, sich zu entwickeln. Homosexual­ität wird von vielen als Sünde empfunden. So nach dem Motto: „Gott mag es nicht.“Die Schönheit meiner Heimat ist herrlich, aber die dunkle Seite des Südens ist wirklich stockfinst­er, so hoffnungsl­os. Man will diesem Dunkel nicht zu nahe kommen.

Sie sind eine Frau mit vielen Talenten. Sie machen Musik, entwerfen Mode, modeln, sind Aktivistin und eine Ikone der Genderbewe­gung.

Ja, ja, ich sage immer zu meiner Frau, wenn sie mich ärgert: Weißt du eigentlich, wen du hier vor dir hast? Model, Schauspiel­erin, Sängerin, Songwriter­in, Autorin, Tochter, Köchin, Mutter… – ich bin das gesamte Paket (lacht). Mutter?

Okay, bald. Sie sagten vor Jahren, dass Sie mit 37 gern Kinder hätten. Dann wird’s Zeit.

Das hat sich etwas verschoben. 38 ist das neue Ziel. Vielleicht auch erst 40. Ja, ich glaube, das wird wohl erst mit 40 passieren. vielleicht

Was wollen Sie mit allem, auch mit Ihrer Offenheit, eigentlich erreichen. Die Welt verbessern?

Ich will den Leuten einfach aufzeigen, dass sie sein können, wie sie wollen. Dass sie fühlen und empfinden können, was immer sie möchten. Es gibt Optionen! Ich bin fett, ich bin lesbisch, ich bin für viele kaum zu ertragen. Aber hier sitze ich. Klar, nicht alle Menschen können so sein wie ich, ich war immer irre selbstbewu­sst, es hat mich nie gestört, dick zu sein, ich wollte nie einen anderen Körper haben. Dünn sein macht dich nicht zu einem glückliche­ren Menschen, das ist meine Überzeugun­g. Rede ich zu viel?

Nein, nein.

Also, ja, ich will die Welt verbessern. Wir haben diese Lagerfeuer-Regel, sie besagt: Du sollst das

Sie haben geheiratet, gleich zwei Mal: Im Juli 2013 gaben Sie ihrer langjährig­en Lebensgefä­hrtin Kristin Ogata auf Hawaii das Ja-Wort und am 31. Dezember 2014 dann daheim in Portland. Warum?

Als wir auf Hawaii heirateten, war die gleichgesc­hlechtlich­e Ehe noch nicht offiziell legal, deshalb holten wir das nach – am letzten Tag des Jahres, wegen der Steuern. Spießig, ich weiß, egal. Meine Frau kommt aus Hawaii, die Feier dort war richtig schön und herrlich und ausschweif­end.

Und wie ist die Ehe so?

Etwas komplett anderes. Mir egal, was die anderen sagen, ich fand es eine richtig große Umstellung. Warum das? Sie waren doch vorher fünf Jahre mit Ihrer Frau zusammen.

Trotzdem. Es ist weder besser noch schlechter. Es ist einfach anders. Wenn du verheirate­t bist, merkst du echt, dass du erwachsen bist. Und du kapierst, dass das Leben eine endlose Aneinander­reihung von Kompromiss­en ist. Und das ist gut. Interview: Steffen Rüth

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