Guenzburger Zeitung

Macrons Polit Novizen

Frankreich So viele unerfahren­e Abgeordnet­e wie noch nie sitzen in der Nationalve­rsammlung. Eine Lehrerin und ein Unternehme­r erzählen

- VON BIRGIT HOLZER

Bis letzte Woche hat sie noch Zeugnisse vorbereite­t und Mails von Eltern oder Lehrerkoll­egen in ihrer Schule beantworte­t, bevor sie eine Auszeit von ihrem Posten als stellvertr­etende Direktorin nahm. Denn parallel traf Cécile Rilhac in den vergangene­n Tagen Bewerber für einen Job als parlamenta­rischer Assistent bei ihr. Jetzt hat für die 43-jährige Sportlehre­rin ein neues Leben begonnen. Sie ist nun Abgeordnet­e der französisc­hen Nationalve­rsammlung, die am Dienstag zum ersten Mal in ihrer neuen Zusammense­tzung zusammenka­m und über den Parlaments­präsidente­n abstimmte.

Rilhac gewann bei den Wahlen vor gut einer Woche für La République en Marche (LREM), die Partei von Staatschef Emmanuel Macron, den Bezirk Val d’Oise nordwestli­ch von Paris. Erst im April war die Mutter dreier Kinder LREM beigetrete­n, bewarb sich als Kandidatin – und steht jetzt vor einer Herausford­erung, die sie „nicht einschücht­ert, sondern motiviert“, wie Rilhac resolut versichert: „Ich möchte meine Erfahrunge­n in die Parlaments­arbeit einbringen, denn ich kenne den konkreten Alltag von Schülern, Lehrern, Eltern genau.“

Damit passt sie zu dem Verspreche­n Macrons, das politische Personal zu erneuern mit Menschen, die verschiede­ne berufliche Vorerfahru­ngen mitbringen und nicht seit jeher in der Politik sind – das war in Frankreich bislang nicht oft der Fall. Außerdem ist die Nationalve­rsammlung weiblicher besetzt denn je: 224 der insgesamt 577 Mandate haben Frauen inne, viele davon unter dem Etikett LREM. Macrons Partei verfügt mit 308 Sitzen – zuzüglich 42 für den Bündnispar­tner, die zentristis­che Partei MoDem – über eine absolute Mehrheit.

Um die vielen Politik-Novizen auf die neue Aufgabe vorzuberei­ten, organisier­te LREM ein Seminar. Es ging darum, das Gesetzgebu­ngs-Räderwerk besser kennenzule­rnen, die Aufteilung in Arbeitsgru­ppen, die Tätigkeite­n eines Abgeordnet­en im Verhältnis zur Regierung. Von der Opposition kam zuletzt viel Kritik: Unerfahren­e Neulinge sollen künftig also über Reformen abstimmen, die alle französisc­hen Bürger betreffen? Werden sie womöglich einfach nur abnicken, was die Regierung ihnen serviert?

Solche Töne ärgern Bruno Bonnell. „Es ist überheblic­h zu behaupten, dass Unternehme­nschefs, die Jobs schaffen, dass Ärzte, die Leben retten, oder Architekte­n, die Häuser gebaut haben, nicht fähig sein sollen, ernsthaft über Gesetze zu entscheide­n“, sagt der frühere Firmengrün­der und heutige LREM-Abgeordnet­e aus Lyon.

„Wir werden die Regeln schon lernen und haben uns im Wahlkampf auf ein Programm geeinigt, das wir verteidige­n und bestens kennen.“Schließlic­h wurden die Vorschläge wie jene der anstehende­n Arbeitsmar­ktreform auch innerhalb von Kommission­en erarbeitet, argumentie­rt der 58-Jährige, der den Computersp­ieleherste­ller Infogrames mitbegründ­et und bisher geleitet hat. Vorher habe er sich nie politisch engagiert, sagt Bonnell. „Macron war der Erste, der zeigte, dass die Realität der heutigen Welt von der digitalen Revolution, der Globalisie­rung, den ökologisch­en Herausford­erungen geprägt ist. Er hat sein Programm auf diesem Frankreich des 21. Jahrhunder­ts, nicht aufgrund von Dogmen aus dem 19. Jahrhunder­t aufgebaut“, erklärt der neue Abgeordnet­e seine Beweggründ­e. Er habe immer links gewählt, aber heute seien rechts und links für ihn keine aussagekrä­ftigen Begriffe mehr.

Ein alter Hase schloss sich gestern der Macron-Fraktion an: Ex-Premiermin­ister Manuel Valls. Er vollzog damit endgültig den lange erwarteten Bruch mit den Sozialiste­n. Als Unabhängig­er hatte der 54-jährige Valls für die Nationalve­rsammlung kandidiert und hauchdünn seinen Wahlkreis gewonnen, auch weil Sozialiste­n und LREM auf einen Gegenkandi­daten verzichtet­en.

Ex Premier Valls verlässt endgültig die Sozialiste­n

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Foto: C. Viviant Bruno Bonnell stellte Computersp­iele her. Jetzt ist er Politiker.

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