Guenzburger Zeitung

Das Dorf, das eine Chance gibt

Interview Sie lernen hier Metzger, Koch, Automechan­iker: Nach Dürrlauing­en kommen Jugendlich­e mit Rucksäcken voller Probleme. Die Ausbildung ist teuer, aber lohnend, sagt der Leiter

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Herr Fath, die Wirtschaft brummt. Sind das nicht auch für das Berufsbild­ungswerk gute Zeiten? Die Betriebe reißen sich um die Auszubilde­nden, weil sie dringend Fachkräfte benötigen.

Konrad Fath: Das hört sich in der Theorie gut an. In der Praxis ist es aber so, dass Firmen, die auf der Suche nach Nachwuchsk­räften sind, inzwischen junge Menschen ausbilden, die sie früher nie genommen hätten. Und natürlich gehen junge Leute, die eine Sehnsucht nach Normalität haben, zuerst dahin. Das böse Erwachen kommt später – dann beispielsw­eise, wenn sich herausstel­lt, dass der Auszubilde­nde etwa psychologi­sche Unterstütz­ung braucht. Das können Unternehme­n mit ihren Betriebsab­läufen in aller Regel nicht leisten. Am Ende wird in solchen Fällen die Ausbildung oft abgebroche­n oder der Auszubilde­nde dann nicht übernommen. Die Enttäuschu­ng auf beiden Seiten ist groß. Integratio­n ist das jedenfalls nicht.

Was bedeutet das dann für Ihre Einrichtun­g?

Fath: Wir haben nicht mehr so hohe Anmeldezah­len. Um die 30 Berufe in neun Berufsfeld­ern bieten wir an. Eigentlich. Wir müssen verwandte Tätigkeite­n zum Teil zusammenle­gen. Das hat zur Folge, dass wir auch einen Teil unserer Belegschaf­t abbauen mussten. In den vergangene­n Jahren sind es ungefähr zehn Prozent gewesen. Meistens sind Stellen, die aus Altersgrün­den frei wurden, nicht wiederbese­tzt worden. Nur sehr selten hat es betriebsbe­dingte Kündigunge­n gegeben. Aber Fakt ist: Mit unseren 350 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn sind wir im Jahr 2017 weniger als noch vor einiger Zeit.

Und dabei scheinen die Anforderun­gen an diejenigen, die mit den Jugendlich­en zu tun haben, gestiegen zu sein.

Fath: Sie sind es. Jeder unserer Ausbilder hat eine rehapädago­gische Zusatzqual­ifizierung, um zu wissen, wie man mit den uns anvertraut­en Personen auch in brenzligen Situatione­n umgehen muss.

Wie kann so eine Situation aussehen?

Fath: Nehmen Sie einen Jugendlich­en, beispielsw­eise einen traumatisi­erten Flüchtling, der für eine berufliche Tätigkeit in der Küche ausgebilde­t wird. Plötzlich steht der mit gezücktem Messer vor seinem Meister und sieht ihn mit starrem Blick an. Es kann sein, dass der junge Mann gerade einen Flashback erlebt – dass ihn ein Geräusch, ein Geruch, irgendein Moment in den Bürgerkrie­g nach Syrien zurückvers­etzt und er um sein Leben fürchtet. Wenn man hier nicht Fachwissen und Gespür mitbringt, kann so etwas in einer Katastroph­e enden.

Die Einrichtun­g in Dürrlauing­en gibt es seit 1921. Sie war gedacht, so steht es in der Gründungsu­rkunde, für „bildungsfä­hige schwachsin­nige Knaben“. Abgesehen davon, dass man das heute so nicht mehr nennen würde: Ist Ihr Klientel schwierige­r geworden?

Fath: Ja. Früher war es möglich, Gruppen relativ problemlos zu führen. Heute ist das alles viel individuel­ler. Außerdem kommen zu uns Kinder und Jugendlich­e – etwa 15 Prozent sind weiblich –, die im sozialen und emotionale­n Bereich massive Schwierigk­eiten haben. Das geht zum Teil mit psychiatri­schen Krankheits­bildern einher. Oft mussten die Menschen, die zu uns kommen, psychische und körperlich­e Gewalt gegen sich erfahren oder wurden Opfer sexuellen Missbrauch­s. Das, was wir heute erleben, ist für das Personal im Vergleich zu früher belastende­r und ein Stück weit unberechen­barer geworden.

Opfer von Gewalt werden später nicht selten Täter.

Fath: Mit all den Vorgeschic­hten unserer Klienten kann Weglaufen, Gewalt, Kriminalit­ät und Vandalismu­s nicht auf einmal verschwind­en, nur weil die jungen Leute bei uns gelandet sind. Wir haben einen sehr guten Kontakt zur Polizei in Burgau, der intensiver geworden ist. Ich schätze, dass wir mindestens zweimal in der Woche mit der Inspektion im Austausch sind. Was alles auf dem kleinen Dienstweg erledigt wird, weiß ich nicht.

Was ist mit Drogen?

Fath: Wohl in jeder Einrichtun­g unseres Zuschnitts sind Drogen ein ernst zu nehmendes Thema. Da ist dann für uns eine Grenze erreicht beziehungs­weise überschrit­ten. Wer mit Drogen dealt, wird entlassen.

Wie oft kommt das pro Jahr vor? Fath: So zwei bis drei Mal. Wie ist es um die Akzeptanz des Berufsbild­ungsund Jugendhilf­ezentrums in Dürrlauing­en bestellt?

Fath: Wir sind voll integriert. Natürlich gibt es die eben geschilder­ten Schattense­iten. Aber wir sind auch der größte Arbeitgebe­r und betreiben den einzigen Laden am Ort. Und die Bevölkerun­g weiß, dass hier viel Herzblut investiert wird, um junge Menschen fit zu machen für den ersten Arbeitsmar­kt. Ohne uns hätten sie wohl keine Chance.

Was kostet so eine Ausbildung eines Jugendlich­en?

Fath: Das kommt auf den Umfang der Förderung an. Jemand, der ausgebilde­t wird, eine heilpädago­gische Wohnform benötigt und zusätzlich kinderpsyc­hiatrisch behandelt werden muss, ist ein Extremfall. Die Kosten dafür können sich im Jahr auf über 100000 Euro summieren.

Das ist ein Haufen Geld.

Fath: Schon. Aber wer danach eine Arbeit bekommt, zahlt Steuern und Sozialabga­ben und muss nicht vom Staat finanziell gestützt werden. Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat nachgerech­net, dass sich nach neun Jahren die Investitio­nen in eine solche Ausbildung amortisier­en. Wir sind das letzte Netz, das diejenigen auffängt, die sonst keine Chance haben, einen Beruf zu erlernen. Unserer Profession­alität in Dürrlauing­en ist es zu verdanken, dass die Integratio­nsquote in den Arbeitsmar­kt 70 Prozent beträgt. Das ist spitze unter den elf Berufsbild­ungswerken in Bayern und den 52 in Deutschlan­d.

Interview: Till Hofmann

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Foto: Winfried Karg/KJF
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Konrad Fath, 62, ist seit dreieinhal­b Jahren Ge samtleiter des Berufsbil dungs und Jugendhilf­e zentrums St. Nikolaus.

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