Ein Freudentag für die berühmte Jettingerin
Geburtstag Marie-Gabriele Schenk Gräfin von Stauffenberg wird 103 Jahre alt. Wie die Komtess heute lebt – und was sie über den prägendsten Tag ihres Lebens denkt
Die Erinnerungen an früher lassen Marie-Gabriele Schenk von Stauffenberg nicht los. Gerade jetzt kommt eine ganz bestimmte Erinnerung wieder besonders hoch. Dann jährt es sich wieder, das Attentat ihres berühmten Verwandten Claus von Stauffenberg auf Adolf Hitler. Dieser 20. Juli hat das Leben der Jettingerin komplett verändert und bis heute geprägt. Doch vor diesem geschichtsträchtigen Tag liegt ein anderer, für die unverheiratete Gräfin (Komtess) viel entscheidenderer Tag: Heute hat sie Geburtstag und wird 103 Jahre alt. Sie ist damit nicht nur die älteste und bekannteste Bürgerin der Marktgemeinde, sie ist auch eine der wenigen noch lebenden Zeitzeugen von damals.
Dass die alte Dame noch immer in Jettingen wohnt, zwar nicht wie einst direkt im Schloss, sondern in einer Wohnung eines früheren Verwaltungsgebäudes, mag vielen gar nicht bewusst sein. Bis zu ihrem 100. Geburtstag hat sie sich sogar selbst versorgt, nach einem schweren Sturz kümmert sich Pflegerin Maria um die Gräfin. Die jetzt 103-Jährige ist in der Marktgemeinde kaum noch zu sehen – weil sie schlecht hört und sieht, wagt sie sich nicht mehr ins Dorfzentrum. Nur bis zum nahegelegenen Haus ihres Neffen Franz marschiert sie täglich eisern zum Mittagessen. Und im Schlosspark dreht sie bei gutem Wetter ihre Runden.
Den hat sie immer schon als „wunderschön“empfunden. Hier hat sie ihre Kindheit und Jugend verbracht, es war eine unbeschwerte, eine „sehr schöne Zeit“, wie sie heute rückblickend selbst sagt. Zu Claus Schenk Graf von Stauffenberg, 1907 in Jettingen geboren, hatte die Gräfin aufgrund des geringen Altersunterschieds von sieben Jahren ein gutes Verhältnis. Ihr Opa und der Bruder von Claus waren Brüder, sie selbst bezeichnet Claus immer als Vetter. Sie sei wahnsinnig stolz gewesen, wenn er sie besucht habe. „Ich habe ihn sehr geschätzt“, sagt sie. Dass Claus zum Kopf der Widerstandsbewegung gegen Adolf Hitler zählte, habe sie nicht gewusst. Vom Attentat hat sie sogar erst einen Tag später am 21. Juli 1944 erfahren. Dabei hätte Marie-Gabriele im Gegensatz zum Rest ihrer Familie durchaus etwas von den Attentatsplänen wissen können. Bis 1943 war sie für einige Monate mit Joachim Kuhn verlobt gewesen, dem Mann, der später den Sprengstoff für das Attentat beschafft hatte. Doch ihre Liebe zu Kuhn endete tragisch, im August 1943 löste er die Verlobung. Grund dafür waren die unterschiedlichen Konfessionen der beiden, die Gräfin war katholisch, ihr Geliebter evangelisch. Seine Mutter hatte ihr Veto gegen eine katholische Trauung und Kindererziehung eingelegt. Marie-Gabriele sollte Kuhn nach dem gescheiterten Attentat nie wiedersehen, er kam in sowjetische Gefangenschaft.
Und sie selbst? Ihr Leben geriet nach dem 20. Juli 1944 aus den Fugen, „ist ein bisschen gescheitert“. Sagt ihr Neffe Franz – „Tante Gagi“, wie er sie liebevoll bezeichnet, würde es so nie ausdrücken. Die Gräfin selbst sagt heute über das Attentat: „Es war ganz richtig, Claus hat richtig gehandelt. Er ist ein wichtiger Teil der Geschichte.“Doch statt wie geplant im Herbst ihre Ausbildung zur medizintechnischen Assistentin in Freiburg zu beginnen, begann für sie eine traumatische Leidenszeit mit Gefängnis, Sippenhaft und einer elfmonatigen Odyssee durch zahllose Konzentrationslager. „Es war eine harte Zeit“, gibt sie zu, zum Glück habe sie ihre Familie um sich gehabt. Erst im Juni 1945 ist sie wieder eine freie Frau.
Was sie in dieser Haftzeit erlebt hat, hat sie stenografisch in einer Art Tagebuch aufgezeichnet und in ihrem Gepäck versteckt. Erst kurz nach ihrem 100. Geburtstag sind diese Aufzeichnungen für die Öffentlichkeit als Buch erschienen. Darauf ist sie „sehr stolz“, verrät sie im Gespräch. Auch Neffe Franz ist unglaublich stolz auf die Tante, auch mit 103 sei sie noch geistig fit, bestens über das Thema Widerstand informiert, interessiere sich für Politik, insbesondere Außenpolitik.
Zeitung könne sie zwar nicht mehr lesen, aber dann lässt sie sich eben daraus vorlesen oder hört Radio. Wenn ihr das aktuelle Zeitgeschehen doch zu viel wird, versenkt sie sich einfach in Mozarts wohltuende Werke. Und wer sie hören möchte, dem erzählt sie schon mal ihre eigene Geschichte. Sie möchte, dass die Erinnerung an das von ihr selbst erlebte Unrecht wach gehalten wird.
Ihr Leben nach der Sippenhaft lässt sich relativ schnell zusammenfassen. Zurück in Freiheit, kümmerte sich die Gräfin auf Wunsch eines Verwandten um das Gut Rißtissen bei Ehingen sowie um seine drei Kinder. Erst im Alter von 65, als Pensionärin, kehrte sie nach Jettingen zurück. In eine Wohnung im Offiziantenhaus mit Blick auf ihr Elternhaus. Mit Kopftuch, Wurzelbürste und Schürze habe sie selbst Hand angelegt und geschrubbt. Als alles zu ihrer Zufriedenheit fertig war, setzte sie sich zur Ruhe. Heute feiert sie ihren 103. Geburtstag, in ganz kleinem Rahmen. Eine große Feier wie vor drei Jahren gebe es diesmal nicht, sagt ihr Neffe Franz. Er selbst und Töchterchen Wilhelmine, 6, singen der Jubilarin ein Liedchen und kredenzen den Geburtstagskuchen, den die Gräfin seit Jahrzehnten so liebt: Prinzregententorte.
Was sie sich denn für die kommende Zeit noch wünscht? Einigermaßen gesund wolle sie bleiben und noch lange laufen können, sagt Marie-Gabriele von Stauffenberg. Immer an das Größere denkend, fügt sie hinzu, dass Europa zusammenhalten und von Krieg verschont bleiben möge.