Guenzburger Zeitung

Martin Schulz im Interview: Leidenscha­ftlich und angriffslu­stig

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Irgendwann wird es buchstäbli­ch zu heiß. Schon fast eine Stunde scheint dem Kanzlerkan­didaten der SPD auf der Dachterras­se eines

die Sonne auf den Kopf, als er mit seinem Stuhl in den Schatten rückt. „Sonst hab ich hinterher noch einen Sonnenbran­d auf der Glatze“, schmunzelt er. Seine eigene Betriebste­mperatur dage gen hält er auch anschließe­nd hoch.

er bei hohen Einkommen von 42 auf 45 Prozent.

Sie haben Ihren Ton gegenüber Angela Merkel deutlich verschärft. Liegt das auch daran, dass Sie sie nicht wirklich zu fassen bekommen, weil alles an ihr abprallt oder weil sie in weiten Teilen sozialdemo­kratische Politik macht?

Angela Merkel hat eine Botschaft. Hier bin ich – das muss reichen. Diese Verweigeru­ng jeder Debatte schadet dem demokratis­chen Wettbewerb. Ich glaube auch nicht, dass sie in diesem Wahlkampf mit dieser Strategie Erfolg haben wird.

Viele Menschen fühlen sich bei ihr irgendwie gut aufgehoben. Ist das nicht Ihr größtes Handicap im Wahlkampf, diese gefühlte Zufriedenh­eit?

Nein, das glaube ich nicht. Deutschlan­d ist ein starkes Land. Aber Deutschlan­d kann mehr. Ich verstehe Eltern, die sagen: Es kann doch in einem so reichen Land nicht sein, dass es in die Schulen reinregnet. Ich verstehe das junge Paar, das sich trotz zweier Einkommen in einer Großstadt keine Wohnung mehr leisten kann. Wir haben konkrete Konzepte vorgelegt. Von CDU und CSU kommt nichts, ja, die sind sogar komplett zerstritte­n. Die CSU muss einen Bayernplan vorstellen, der die Bad Bank der CDU-Programmat­ik ist, weil man sich nicht mal in zentralen verfassung­srelevante­n Fragen einig ist. Leidenscha­ftlich und angriffslu­stig atta ckiert der Kandidat der SPD im Inter view mit unserer Zeitung die Kanzlerin, räumt auch eigene Fehler ein und will sich selbst durch Umfragewer­te von 25 Prozent und weniger nicht ent mutigen lassen. Die Botschaft dahinter ist klar: Zu sicher soll sich lieber noch nicht fühlen. Schulz ist ein aufmerksam­er Zuhörer und ein ausgesproc­hen streitbare­r

Warum soll jemand, der bislang die Union gewählt hat und damit Frau Merkel, diesmal die SPD und Sie wählen? Wer von ihr enttäuscht ist, ist es wegen der Flüchtling­spolitik oder ihrer Europapoli­tik. Bei der SPD bekommt er im Zweifel noch mehr Flüchtling­e und noch mehr Europa.

Sehen Sie: Frau Merkel hat erklärt, sie habe Großes mit Europa vor – aber was genau, das sage sie dann nach der Wahl. Das halte ich für einen Skandal. Ich sage vor der Wahl, was ich will: Ich will einen europäisch­en Finanzmini­ster, der die Steuerfluc­ht bekämpft. Ich will Investitio­nen in der Eurozone und ein eigenes Budget. Ich bin bei den Menschen und ihren Problemen, Angela Merkel läuft über rote Teppiche. Angela Merkel steht für Taktik, ich stehe zu meinen Überzeugun­gen.

Noch mehr Kompetenze­n an Europa abgeben – das ist in Deutschlan­d nicht sonderlich populär.

Das sagen Sie! Ich sage: Ein europäisch­er Finanzmini­ster kann endlich dafür sorgen, dass nicht nur der Bäcker um die Ecke seine Steuern bei uns zahlt, sondern auch ein multinatio­naler Konzern, der seine Gewinne bisher ins Ausland schafft.

Wie das Thema Europa spielt auch die Flüchtling­skrise in diesem Wahlkampf bisher kaum eine Rolle: Wie soll unser Land in fünf Jahren aussehen, was Gesprächsp­artner. Am Ende dauert das

deutlich länger als vorher verabredet. Zwei Monate vor der Wahl beginnt für Schulz jetzt die heiße Phase des Wahlkampfs, in die er aller dings ohne seinen vielleicht wich tigsten Mitstreite­r geht. Sein Kampa gnen Chef ein en ger Vertrauter aus Brüsseler Zeiten, fällt wegen einer Krankheit mehrere Wo chen aus. (rwa)

können wir an Zuwanderun­g noch verkraften? Warum so zurückhalt­end, Herr Schulz?

Ich spreche offen über die Flüchtling­spolitik. Als Kanzler werde ich mein Veto einlegen gegen einen EU-Haushalt, der Ländern Geld gibt, die in der Flüchtling­sfrage unsolidari­sch sind. Die Flüchtling­sfrage ist nicht gelöst. Italien braucht dringend Hilfe. Wir müssen jetzt handeln, wenn wir nicht wieder ungeordnet­e Zustände wie 2015 wollen. Mit Panzern am Brenner, wie manche in Österreich glauben, werden sich die Leute jedenfalls nicht aufhalten lassen. Das wahre Drama in der Flüchtling­spolitik ist die europäisch­e Passivität. Frau Merkel sagt, wir haben alles unter Kontrolle, tatsächlic­h ist kein Problem gelöst.

Machen wir es konkret: Wie hält es die SPD mit dem Thema Begrenzung?

Wir wollen ein Zuwanderun­gsgesetz und am besten ein europäisch­es. So können wir ein System der Hoffnungsl­osigkeit durch ein System der Hoffnung ersetzen. Im Klartext: Wir schaffen legale Wege, aber nicht jeder kann kommen. USA, Kanada, Australien: alle Einwanderu­ngsländer haben solche Gesetze. Sie können sich bewerben, und wenn sie nicht genommen werden, können Sie sich weiter bewerben. Wer es aber illegal versucht, verspielt seine Chancen.

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