Auf ein Glas Gelben zum Aperitif
Genuss Die Winzer im französischen Jura stellen seit Jahrhunderten eine Weinspezialität her, die ebenso gewöhnungsbedürftig wie faszinierend ist
„Möchten Sie ein Glas Rot- oder Weißwein? Wir haben auch Rosé. Oder lieber Vin Jaune – gelben Wein?“Gelber Wein? Die Frage fällt selbst im Weinland Frankreich und im französischen Jura, wo er hergestellt wird. Denn sogar dort, so heißt es, kann das Getränk auf Überraschung stoßen, ja auf Abwehr. Sonnengelb schimmert es, mal intensiv golden, mal blasser, sodass es fast wie Weißwein erscheint – bis zum ersten Schluck. Am ehesten ähnelt das nussig-herbe Aroma noch dem von Sherry. In eine besonders geformte „Clavelin“-Flasche passen genau 620 Milliliter, wie es die Tradition will. Geöffnet wird sie am besten bereits über zwölf Stunden vor der Verkostung.
„Wer Vin Jaune anbietet, sollte immer auch erklären, woher er kommt und wie man ihn verköstigen sollte. Sonst verschreckt man die Leute“, sagt Jean-Charles Tissot, Vorsitzender des Verbands der Jura-Weine, schmunzelnd. „Er passt nicht als Begleitung zum Essen wie normaler Wein, sondern eignet sich für den Aperitif, etwa mit Nüssen oder mit einem guten Comté.“Auch der Hartkäse Comté stammt aus der Region im Südosten des Landes, die Kombination liegt also nahe, während die kulinarische Vereinigung „Le Septième Goût“(„Der Siebte Geschmack“) iberischen Schinken dazu empfiehlt.
Nur vier Prozent aller Verkäufe der Jura-Weine macht der Vin Jaune aus; ein großer Anteil wird in die USA und Kanada exportiert, ansonsten verfeinern Küchenchefs Gerichte mit dem verhältnismäßig teuren Getränk – die Preise beginnen bei rund 30 Euro pro Flasche. „Wir trinken ihn selbst eher selten, Vin Jaune bleibt etwas Rares“, sagt Tissot. So rar, dass die „Percée du Vin Jaune“im Frühjahr, das größte kostenpflichtige Weinfest Frankreichs, in diesem Jahr zum ersten Mal seit der Gründung 1997 ausfiel: Die Produktion ist zu gering, um einen großen Teil bei der Riesenfeier aufzutrinken. Nächstes Jahr soll sie wieder stattfinden.
Das Mysterium des Vin Jaune wurde vor Jahrhunderten entdeckt: Anders als bei anderen Weinen muss bei seiner Lagerung im Fass nicht regelmäßig der Anteil nachgefüllt werden, der verdunstet – er verliert rund ein Drittel seines ursprünglichen Volumens und verdirbt dennoch nicht. Diese Besonderheit liegt an der weißen Rebsorte Savagnin, die nur im Jura existiert, wo sie die notwendigen Klimabedingungen bekommt.
An der Oberfläche des Weins bildet sich eine Hefe-Schicht, die vor Oxidation schützt. Mindestens sechs Jahre und drei Monate muss er nach der Vergärung des Mosts im Fass bleiben, bevor er in Flaschen gefüllt werden darf; er kann sogar mehrere Jahrzehnte lagern. Da Vin Jaune ein AOP-Siegel trägt, gibt es klare Regeln für die Herstellung. Geografisch ist die geschützte Herkunftsbezeichnung auf einige Dörfer im Jura um das mittelalterlich anmutende Dorf Château-Chalon begrenzt. In diesem Bereich liegen auf einer Fläche von knapp neun Hektar die Weinberge der Familie Credoz. Sie stellt in der vierten Generation neben süffigen Weißweinen auch Vin Jaune her. Eine Tradition sei das, ja ein Muss in der Region, sagt Annie Credoz, die gemeinsam mit ihrem Mann Jean-Claude den Betrieb schmeißt. „Es handelt sich um einen Entdeckungswein, der am besten zu einer Käseplatte passt. Aber ich mache auch Coq au vin jaune damit oder gebe ihn in eine Pilz-Sahne-Soße.“Vorbeikommende Touristen macht sie gerne damit vertraut.
Aber Vorsicht, warnt auch Annie, die gelbe Köstlichkeit gießt man nicht ohne Weiteres in jedes Gericht und in jedes Glas eines Kunden ohne Erklärung und Vorwarnung. Gelber Wein bleibt ein Getränk für sich – und für Liebhaber jener sehr französischen Art, stets die ideale Kombination zu finden.