Guenzburger Zeitung

Typisch Yasmina Reza

Literatur Die Französin lässt in ihrem Roman „Babylon“mal wieder die bürgerlich­en Fassaden krachen. Das gelingt ihr gekonnt, routiniert und mit viel Wortwitz. Und doch schießt sie ein bisschen übers Ziel hinaus

- VON STEFANIE WIRSCHING

Es gibt Schriftste­ller und Schriftste­llerinnen, deren erzähleris­ches Strickmust­er erkennt man schon am Klappentex­t. „Als Elisabeth eine Frühlingsp­arty gibt, stimmt das Datum, 21. März, aber draußen schneit es.“So wird der Leser vom HanserVerl­ag auf den neuen Roman von Yasmina Reza vorbereite­t, und da weiß er schon: Frühling, Schnee. Das kann nur eine Katastroph­e geben. Weil es bei Reza doch immer so ist: Da kündigt sich etwas als harmlose Sache an. Da organisier­t eine Frau mittleren Alters in einem Pariser Vorort ein kleines Fest, sorgt sich um Gläser und Stühle, solche Sachen, dann schneit es, die Gäste treffen ein, und wer weiß, was die leichten Flocken in Bewegung bringen, plötzlich stürzen die bürgerlich­en Fassaden krachend zusammen. „Babylon“heißt der Roman, in dem am Ende die Leiche von Lydie, der New-Age-Therapeuti­n mit den wilden Locken, im Koffer aus dem Haus geschleift wird.

Typisch Yasmina Reza also. In einem ihrer berühmtest­en Werke, dem Theaterstü­ck „Der Gott des Gemetzels“, lässt die Französin zwei Ehepaare sich behacken, weil der folg, dem gelungenen Sohn – „Content Champion in einer Werbeagent­ur“– eine in der Welt verlorene Heldin. Eine, die sich gerne die Fotografie­n im berühmten Bildband „The Americans“von Frank Arnold ansieht, weil da ebenso einsame Seelen abgebildet sind, wie sie selbst eine ist. Um gegen das Alter anzugehen, bestellt sie sich gerne Kosmetikpr­odukte, die von Hollywoods­tars angepriese­n werden, ahnt über sich selbst: „Irgendwo muss ich einen kleinen Knall haben. Im Radio sprachen die Leute kürzlich über die seelische Erschöpfun­g der Franzosen. So schwammig der Begriff auch ist, dass die übrigen Franzosen in derselben Lage sind wie ich, hörte ich gerne.“

Dass ihre Mutter vor wenigen Tagen erst gestorben ist, erfährt der Leser eher en passant. Für Elisabeth ist auch das kein Drama, der Vorteil einer lieblosen Erziehung, aber wie Reza das formuliert, zeigt eben wieder ihren feinen Umgang mit den Worten. Es habe sich für ihr Leben wenig geändert, „abgesehen davon, dass sich eben irgendwo auf der Welt meine Mutter befand“. Womit klar wird: Natürlich geht es um Liebe, um unerwidert­e, um unerwünsch­te, um sehnlich erhoffte.

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Foto: Peer Grimm, dpa

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