Guenzburger Zeitung

Biohühner – oder worüber Ehepaare so streiten

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eine Sohn dem anderen mit einem Stock zwei Schneidezä­hne ausgeschla­gen hat. Die Eltern wollen anfangs vernünftig den Versicheru­ngsfall klären, sind ja schließlic­h nur Kinder, etwas später aber hauen sie sich mit Furor gegenseiti­g die Rübe ein. Nach ähnlicher Strickart, als Roman in etwas komplizier­tem Muster gearbeitet, funktionie­rt nun auch „Babylon“, nur dass sich alle Beteiligte­n so wie Yasmina Reza selbst, 58, schon in etwas vorgerückt­em Alter befinden. Elisabeth, die Ich-Erzählerin, ist Patent-Ingenieuri­n – „sagt keinem Menschen etwas, und ich versuche nicht mehr, es so zu erklären, dass es attraktiv klingt“–, ihr Mann Pierre ein Lehrer. Sie ist mit ihm nicht unglücklic­h. Die Sache mit dem Frühlingsf­est kommt ihr so in den Sinn, etwas Ähnliches haben sie noch nie gemacht. Also fehlen Gläser, Stühle. Die könnte man bei den Nachbarn in der Wohnung darüber leihen, dann müsste man sie aber auch einladen. Warum auch nicht, man mag sich, trifft sich hin und wieder: JeanLino Manoscrivi, sanftmütig­er Elektroger­äteverkäuf­er, der sich die Haarsträhn­en über den halbkahlen Schädel klebt, und seine Frau Lydie, etwas schräg, will die Menschheit mit Pendeln heilen und macht sich für den Tierschutz stark. Während des Festes, das sich gut anlässt, fragt Lydie dann aber nach, ob in dem von anderen Gästen mitgebrach­ten Hühnchen-Cake auch ein glückliche­s Tier verarbeite­t wurde. Und da weht plötzlich ein kalter Hauch mitten hinein ins Frühlingsf­est.

Dass Jean-Lino seine Frau später umbringen wird, das erzählt der Verlag übrigens schon im Klappentex­t. Es nimmt dem Roman nichts, schließlic­h hat Yasmina Reza keinen verfasst, sondern ist in ihrem Genre geblieben: „Babylon“ist eine routiniert und gekonnt geschriebe­ne Gesellscha­ftssatire, in der nahezu keine Seite ohne Pointe auskommt. Einmal erinnert sich die Erzählerin an das Lieblingss­piel ihres kleinen Sohnes am Meer. Der Junge stellte sich ins Wasser, die Mutter musste einen Namen nennen, zum Beispiel den eines Lehrers, dann schlug das Kind aufs Wasser ein. „So brachten wir sie einen nach dem anderen um.“Das genau ist Yasmina Rezas Trick: Erst zaubert sie eine wunderbar glatte Wasserober­fläche, dann spritzt es von allen Seiten. Aber wie mit allen Tricks, so verhält es sich auch mit diesem: Er nutzt sich ab. Die Kunst, die sie so perfekt beherrscht, verliert an Wirkung. Und wird zur Masche.

Das bringt die Komödie gelegentli­ch in die Nähe der Klamotte. Sie flutet den Roman förmlich mit einer Wortwitzwo­ge, sodass die andere große Stärke von Rezas Schreiben unterzugeh­en droht. Was die Französin nämlich mit ebensolche­r Perfektion beherrscht, ist das kaltschnäu­zige Sezieren ihrer Figuren, der mitleidlos­e Blick ins Innere.

Elisabeth ist trotz ihrer funktionie­renden Ehe, dem berufliche­n ErKrimi

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