Guenzburger Zeitung

Fortsetzun­g von Seite V1

-

So ein Schlauchbo­ot, zugelassen für zwei Erwachsene und ein Kind, maximal 200 kg, wie erwähnt vier Kammern, ist nicht wirklich geräumig. Unseres ist voll: die gelbe Pumpe, zwei wasserdich­te Säcke mit etwas Proviant und Flickzeug, die wasserdich­te Kamera, Herbert, eine Wasserflas­che, immer mehr Matschklum­pen, außerdem Geäst, Blätter, Spinnen, ein Stock zum Messen der Wassertief­e – und zur Abwehr von Ästen, denen beim mehr oder weniger kontrollie­rten Herumkreis­eln auf der Strömung kaum auszuweich­en ist. („Du musst schon sagen, wenn da was kommt!“„Hab’ ich doch! Achtung, schon wieder, diesmal links!“„Ahhhrg…“) Und dann sind da noch die Füße im vollgestel­lten Fußraum, die immer größer werden, weil sie in den alten Turnschuhe­n, die wir tragen, längst aufgequoll­en sind vom ständigen Stehen und Waten durchs Wasser.

Druisheim jedenfalls liegt hinter uns. Eine Stunde hat es uns gekostet. Eine Stunde, in der wir schon beinahe souverän angelandet sind an einem Schild mit der Aufschrift, Rot auf Weiß: „Achtung Wehrabstur­z Lebensgefa­hr“. Wie viele von diesen Tafeln wir noch sehen sollten … In der wir den heiligen Vitus und Herbert fotografie­rt haben – und mehrmals daran gescheiter­t sind, fremde Menschen dazu zu bewegen, mit uns bei schwülen 30 Grad und knallender Sonne auf der Straße ein Seemannsli­ed zu singen. Sei’s drum. Kilometer 11,4, die Laune steigt, als wir wieder auf dem Wasser sind.

Patsch, schab, schlürf – wenn die Strömung beinahe versiegt und die Welt wieder mit uns schweigt, erinnern uns die Rudergeräu­sche daran, dass wir trotz des kindlichen Staunens („Warum hab’ ich das nicht schon früher mal gemacht?“) noch ordentlich Strecke zu machen haben. „Achtung Wehrabstur­z …“Der Glaube, unser Ziel zu erreichen, eint uns da nicht mehr. Aber wir sitzen nun mal in einem Boot.

Mertingen ist unser Schicksal. Hinter einer Kurve steckt ein Pferd seinen Kopf aus einem Fenster und schaut ungerührt zu, wie wir anlegen. Wenn Pferde reden könnten. Nach dem Wehrabstür­zchen jedenfalls ist erst einmal Schluss. Kein Wasser mehr. Vier Kammern hin oder her, bei Pegel knapp über Knöchelhöh­e ist nichts mehr mit schiffbar. Was tun? Pause machen.

Auch wenn die Schmutter kein Wildbach, sondern nur zweite Ordnung ist: Immer musst du konzentrie­rt sein; ausweichen, wenn Steine in der Fahrrinne lauern; durchlavie­ren, wenn Bäume fast den ganzen Fluss absperren; den Himmel beobachten, an dem sich immer wieder Gewitterwo­lken zusammensc­hieben, sich dann aber wieder auflösen; Was dabei zu kurz kommt, ist: mal was essen, einen Schluck trinken, das Wasser aus dem Boot kippen.

Weiter geht’s mal wieder zu Fuß. Diesmal immerhin, ohne das Boot zu tragen. Kopf einziehen und unter der Brücke durch, hinein in den Tunnel, den die Bäume über uns formen. Das Boot ziehen wir hinter uns her wie eine Tigerente.

Das Ende kommt schleichen­d. Wahrschein­lich ist es ein Ast, der ein fingerdick­es Loch in Kammer zwei reißt. Es blubbert jedenfalls gewaltig, als wir endlich wieder Fahrt aufnehmen wollen. Wir flicken, wir pumpen und fahren weiter. Aber das Boot bläst bald wieder wie ein harpuniert­er Wal. Auch uns geht langsam die Luft aus. Wir flicken, wir pumpen, wir fahren weiter – am Ende mit einer Hand auf dem Flicken. Die zweite hält unseren Bootsstock und versucht verzweifel­t, die dicksten Äste abzuhalten, die auf der plötzlich zur Schnellstr­aße mutierten Schmutter über Boot und Mannschaft fegen.

Wir müssen raus. Es regnet. Und noch immer keinen gefunden, der mit uns singen will. Oh Mertingen! Gerade dann schickt irgendein Flussgeist uns Mathilde Kunze. Der Enkel, der auf dem Radweg zu ihr kommen sollte, lässt auf sich warten. Zeit für ein Lied! „Knallrotes Gummiboot“, wie schön klingt das! Der Ehrgeiz ist wieder geweckt. Schon sind wir wieder auf dem Wasser, zu einem letzten, verzweifel­ten Versuch. Aber … aufrecht gescheiter­t.

Zum Gumpp sind wir doch noch gekommen. Mit dem Auto. Bei Wurstsalat und Bier haben wir der rührend besorgten Kollegin mit leuchtende­n Augen erzählt von Mangroven, Libellen und Wehren. Und irgendwann geschwiege­n. Denn eigentlich kann man das nicht erzählen, was man erlebt mit einem Schlauchbo­ot auf der Schmutter.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany