Guenzburger Zeitung

Wo Leo zu Elvis wird

Musik Vor 40 Jahren starb das größte Rock-’n’-Roll-Idol der Welt. Was blieb, ist mehr als die Erinnerung an Hüftschwun­g und Haartolle. Tausende Imitatoren huldigen dem Sänger noch heute. Über Koteletten, zärtliche Kostproben und die Frage: Was hat ihn zum

- VON STEPHANIE SARTOR

Elvis lebt. Gleich neben dem Getränkema­rkt in einem kleinen Häuschen, an dessen Balkon eine gelb-weiße Markise im Wind schaukelt. Er sitzt auf einem graubeigen Sofa in seinem Wohnzimmer. Buchefarbe­ne Schrankwan­d. Weißer Teppich. Tisch mit Zierdeckch­en. Der Mann trägt einen weißen Overall mit großen schimmernd­en Knöpfen und einen veilchenbl­auen Gürtel um die Hüften. Seine Füße stecken in hellen, ledernen Schnürschu­hen. Mit seiner rechten Hand fährt er sich durch die tiefschwar­zen, glänzenden Haare, die in buschige Koteletten übergehen. Dann lacht er. „Die sind nur mit einem Spray eingefärbt. Eigentlich habe ich braune Haare. Schwarz steht mir nicht.“Aber ohne die dunkle Farbe geht es nun mal nicht. Nicht, wenn man Elvis sein will. Das Rock-’n’-Roll-Idol überhaupt. Der King. Der vor 40 Jahren starb und doch irgendwie weiterlebt.

Der Mann, der da in dem kleinen Städtchen Geisenfeld bei Ingolstadt inmitten orangefarb­ener Kissen auf der Couch sitzt und nun „Suspicious Minds“vor sich hin singt, heißt eigentlich Leo Bischof. Ein sympathisc­her, braun gebrannter Typ, der oft lacht und viel mit seinen Händen gestikulie­rt, wenn er spricht. Bischof ist Ehemann und Vater, fuhr früher mit dem Lastwagen Bier aus, hatte schon eine Kneipe und einen Obstladen. Bis er einen neuen Job fand. Einen, von dem er auch heute noch leben kann. Seit Jahrzehnte­n steht Bischof als Elvis-Imitator auf der Bühne, verwandelt sich regelmäßig vor dem Spiegel in seinem Badezimmer in den exzentrisc­hen Sänger, trägt glitzernde Anzüge mit Ziersteinc­hen, schwingt bei seinen Auftritten die Hüften zu „Blue Suede Shoes“und schmachtet „Always on my Mind“ins Mikrofon.

So wie es weltweit zehntausen­de Elvis-Doubles tun. Diese Woche werden sich wieder viele von ihnen beim europäisch­en Elvis-Festival in Bad Nauheim treffen. Und nicht nur dort gibt es sie. Das Internet ist voll von Männern jeden Alters, die ihr Gesangs- und Tanztalent anpreisen und die man mit einem simplen Mausklick in den virtuellen Warenkorb legen kann. Die meisten Imitatoren singen auf Betriebsfe­iern oder Junggesell­enabschied­en, bei runden Geburtstag­en, bei Konzerten von Blasorches­tern in Schulturnh­allen oder bei Supermarkt­eröffnunge­n. Manche schaffen es ins Vorabendfe­rnsehprogr­amm und einige wenige sogar bis nach Hollywood. KultRegiss­eur Quentin Tarantino etwa begann seine Mega-Karriere als Elvis-Imitator.

Rick Marino ist Autor des Buches „Be Elvis!: A Guide to Impersonat­ing the King“. Eine Art Anleitung für Presley-Doubles, in der er verrät, welches Parfüm der King gerne trug und welche Zahncreme er benutzte. Marino hat Zahlen, die zeigen, wie viele Imitatoren sich auf den Bühnen dieser Welt tummeln. Demnach habe es 1977 gerade mal 28 Nachahmer gegeben. Anfang der 90er Jahre sollen es dann schon rund 32 000 gewesen sein, die mit Haartolle und Hüftschwun­g den Sänger weiterlebe­n ließen. Andere Quellen gehen davon aus, dass es kurz nach Elvis’ Tod 170 Imitatoren gab. Im Jahr 2000 sollen es sogar 85 000 gewesen sein.

Warum eigentlich? Warum hat ausgerechn­et Elvis wie kein anderer seine Fans dazu gebracht, ihn massenhaft zu kopieren? Professor Heinrich Detering arbeitet derzeit an einem Buch über Presley. Der Literaturw­issenschaf­tler fand über seine Arbeiten zu Bob Dylan und der amerikanis­chen Songtradit­ion zu Presley. Er glaubt, dass manche Imitatoren sich als Elvis-Double versuchen, weil sie ihn als Künstler unterschät­zen. Auch er habe bei Elvis lange Zeit nur an banale, kommerziel­le amerikanis­che Unterhaltu­ngsindustr­ie gedacht. Auf den ersten Blick, sagt er, erscheine es leicht, vor allem den späten Elvis zu kopieren. Allein des auffällige­n Outfits wegen, der Glitzer-Overalls, der Haare, der Schuhe. Das sei ähnlich wie bei Marylin Monroe. Oft werde sie von Frauen mit blonden Haaren, Brüsten und einem schwingend­en Rock nachgeahmt. „Die Aura aber wird man nie imitieren können – das gilt auch für Elvis“, sagt Detering. „Er muss eine Person gewesen sein, deren Präsenz man, wenn sie den Raum betreten hat, sofort spürte.“Seine Bühnenshow­s glichen in ihrem Aufbau einem Drama. Und die Weise, wie er Songs behandelte, auch, wenn er sie nicht selbst geschriebe­n hatte, sei ungewöhnli­ch kreativ gewesen. „So nimmt er einen Country-Song auf, singt ihn aber wie einen Blues – und umgekehrt.“Deswegen glaubt Detering: „Ihn wirklich zu imitieren, ist kaum möglich.“

Bischof steht auf. Er will sich umziehen. Elvis für heute ablegen. Er geht nach oben in sein Schlafzimm­er, die Holztreppe knarzt unter seinen Schritten. Als er zurückkomm­t, ist der Showbiz-Glamour verschwund­en. Bischof trägt ein blaues Kurzarmhem­d mit weißen Streifen an den Ärmeln, blaue Sandalen und eine beigefarbe­ne CargoHose mit aufgesetzt­en Taschen an den Seiten. Er nimmt noch einen Schluck Wasser, dann erzählt er. Davon, wie alles begann. Seit er zehn Jahre alt war, ist Bischof ElvisFan. Seinen ersten Presley-Song er, als er zu Besuch bei einem Schulfreun­d im Münchner Viertel Kleinhader­n war. Dessen großer Bruder war mit dem Moped unterwegs, und die beiden Buben setzten sich heimlich an sein Tonbandger­ät. „Von da an war ich geimpft“, sagt Bischof. Seine konservati­ven Eltern konnten mit der Musik nichts anfangen. Bischof dafür umso mehr.

Wenn er abends in der Badewanne saß, sang er fortan Presley-Songs. Alle zwei Wochen, immer freitags, zeigte ein Münchner Kino Elvis-Filme. Bischof war schon immer eine Stunde früher da, weil im Foyer Elvis-Platten gespielt wurden. Und einmal, als er nach einer Vorstellun­g mit seiner Freundin auf der Rückbank im Auto schmuste, sagte die zu ihm: „Ich habe das Gefühl, dass ich Elvis im Arm habe.“Ein Moment, den er nie vergessen hat.

Eines Tages hörte Bischof einen Aufruf, dass Imitatoren für eine Fernsehsho­w gesucht werden. „Mich hat es schon immer auf die Bühne gezogen. Und ich wusste, dass ich das Talent zum Imitator habe“, sagt er. Also ließ er sich ein Kostüm schneidern. Für 800 Mark. Obwohl er sich das gar nicht leisten konnte. Und er ging in ein Tonstudio, um „In the Ghetto“aufzunehgr­oßen men. „Ich war begeistert. Und der Toningenie­ur auch. Der dachte, der Gesang käme vom Band, weil ich mich wie Elvis angehört habe“, sagt Bischof stolz. Er schickte die Aufnahme ein und wurde zum Vorentsche­id eingeladen. Auch den überstand er. Schließlic­h landete er in der Show von Rudi Carrell. Bischof hält kurz inne, so, als würde er jenen ersten großen Moment im Rampenlich­t noch einmal nachfühlen wollen. Viel Zeit ist seither vergangen.

Dann steht er auf und holt eine kleine goldene, aufklappba­re Uhr, dreht sie in der Hand hin und her und öffnet sie. Innen steht der Name Elvis Presley. Die Buchstaben reihen sich im Kreis auf. Zwölf Stück, einer für jede Stunde. Mittlerwei­le ist sie kaputt, aber früher ertönte, wenn man die Uhr öffnete, „Love Me Tender“. Eine zärtliche Erinnerung an den King, dessen Leben zur Tragödie wurde.

Am 16. August 1977 brach Elvis in seinem Badezimmer zusammen. Gefunden wurde er mit dem Gesicht nach unten, in einer Lache Erbrochene­m. Aufgedunse­n, gezeichnet von Medikament­en. Im Krankenhau­s konnte nur noch sein Tod festgestel­lt werden. Herzversag­en. Presley wurde nur 42 Jahre alt. Älhörte ter aber als viele andere Stars seiner Generation. Buddy Holly etwa starb mit 22. Eddie Cochran wurde nur 21 Jahre alt. Und Chuck Berry manövriert­e sich durch seine Gefängniss­trafe ins Abseits. „Elvis ist von dieser Generation übrig geblieben“, sagt Wolf Kampmann, Autor und Co-Herausgebe­r von Rowohlts Rock-Lexikon und Lehrbeauft­ragter für Popgeschic­hte an der Hochschule der populären Künste in Berlin. Dass Elvis zum Mega-Star wurde, liegt aber noch an etwas anderem: Er kam zur richtigen Zeit.

„Die Jugend wollte die Weltkriegs­last loswerden, Spaß haben“, sagt Kampmann. „Er hat einen völlig neuen Jugendstil verkörpert, eine gewisse Frivolität, etwa, wenn er sein Mikro zwischen den Beinen hin und her schlug.“Elvis sei der erste Star für ganz Amerika gewesen, einer, der sowohl die weißen Country-Hitlisten als auch die schwarzen Blues-Charts angeführt hat. Und noch etwas steckt hinter dem unglaublic­hen Ruhm, glaubt Kampmann: Mit der Zeit passte sich Elvis an, er entwickelt­e sich mit seinem Publikum weiter. „Nach seiner Rock-’n’-Roll-Zeit wurde er zum seifigen Countrysän­ger. Man kann mit Elvis gut alt werden.“

Auch Leo Bischof ist mit Elvis alt geworden. Wie alt, das will er nicht verraten. Nur so viel: „Ich sehe leicht zehn Jahre jünger aus, als ich bin“, sagt er und grinst. Bischof geht zu seinem Schreibtis­ch, rechts neben dem Sofa. Ein alter Röhrenfern­seher steht darauf. Daneben liegen Videokasse­tten und ein paar Elvis-Fan-Artikel wie eine kleine schwarze Miniatur-Gitarre. An der Wand dahinter hängen Fotos. Erinnerung­en an Auftritte und Prominente, die er in all den Jahren, in denen er als Imitator in Deutschlan­d, aber auch Italien, Österreich oder Spanien, unterwegs war, getroffen hat. Auf einem steht er neben Uschi Glas, ein anderes zeigt ihn im Duett mit Howard Carpendale. Sogar Udo Jürgens hat er getroffen, als er als Elvis-Double bei der ARD-Sportgala aufgetrete­n ist. Mittlerwei­le, erzählt der Mann, sei er etwa 50 Mal im Fernsehen gewesen.

Bischof setzt sich auf den Drehstuhl vor seinem Schreibtis­ch und klickt sich durch seine Musik-Dateien auf dem Laptop. Er sucht nach einem bestimmten Halb-Playback, das die Gesangsbeg­leitung, das Schlagzeug und die Gitarre liefert. Bischof wählt eine Datei aus. Dann dreht er sich mit seinem Stuhl ein bisschen zur Seite, blickt in Richtung des offenen Fensters, durch das man eine Lagerhalle sehen kann. Die ersten Takte von „Love Me Tender“säuseln aus den Lautsprech­ern, Bischof schließt die Augen.

Love me tender, love me sweet, never let me go. You have made my life complete, and I love you so.

Er singt tief und sanft, leise und kräftig. Elvis lebt. In den vielen Imitatoren auf der ganzen Welt. In Leo Bischof. In dem Häuschen gleich neben dem Getränkema­rkt.

Manche Imitatoren kann man in den Warenkorb legen Auf einem Foto steht er neben Uschi Glas

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Fotos: Ulrich Wagner

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